Ein theatergeschichtliches Dokument mit der Rysanek
Nach der ersten Aufführung an der MET 1886 wurde Lohengrin über 600 mal gespielt und mir scheint fast, man hat die Kulissen und Kostüme von anno dazumal 100 Jahre lang brav bis 1986 aufgehoben und wieder verwendet. Das macht diese Aufnahme als theatergeschichtliches Denkmal richtig sehenswert: So wurde an der MET 100 Jahre lang Oper inszeniert! Und sogar auch noch von einem der bekanntesten Theatermacher in Europa, nämlich dem August Everding. Vor allem die Wagnerpuristen werden deshalb natürlich bestens auf ihre Kosten kommen. Musikalisch ists sowieso ziemliche Spitzenqualität, denn Levine donnert wahre Wagnerwonnen aus dem Orchestergraben, so dass das permanente akustische Gänsehautgefühl jeden Romantiker begeistert. Und dann brennt im 2. Akt Leonie Rysanek als Ortrud ein stimmliches und darstellerisches Furioso sondergleichen ab, so dass man alle Kulissen und Helme und Ritter vergisst. Und Peter Hofmanns Lohengrin ist nicht nur optisch überwältigend als himmlischer Gralsbote. Alle anderen haben bestes Gesangsniveau, das versteht sich an so prominenter Stelle ja von selbst. Alle Nostalgiker werden jubeln! DGG DVD, Met New York 1976/1986
Das Meisterwerk des Regie – Altmeisters.
Die ja nicht mehr so ganz neue Aufnahme ist so gekonnt zeitlos, dass sie immer noch besticht. In den abstrakten Kulissen des damals so berühmten Nagelkünstlers Günther Uecker zaubert Götz Friedrich ein Opern-Märchen hin, mit so psychologisch durchdachter Personenführung, dass es immer noch richtig aufregend ist. Und das alles, ohne dem Werk einen neuen Inhalt überzustülpen, wie es ja inzwischen üblich ist. Großartig, packend und auch notengetreu werkgerecht. Allen voran realisiert Karen Armstrong die Ideen ihres Ehemannes, ergreifend als rührende Elsa. Und was ihr vielleicht stimmlich zum Weltniveau fehlt, ersetzt sie voll durch ihre Hingabe an das Werk. Wie sie ängstlich zögernd den Traumritter nur vorsichtig mit einem Finger zu berühren wagt, das muss ihr erst mal jemand nachspielen. Peter Hofmann ist wieder Lohengrin, eine optische Inkarnation und er singt auch noch großartig. Elizabeth Connell und Leif Roar agieren psychologisch durchdacht eher unterschwellig gemein böse, was noch spannender ist. Zeitlos meisterhaft und erhaben über alle Moden. Euroarts DVD, Bayreuther Festspiele 1982
Domingo for ever
Diese Einspielung ist wohl wegen Placido Domingo als Lohengrin entstanden, und der singuläre Sänger hat sicher verdient auch in dieser Rolle dokumentiert zu werden. Er rechtfertigt sie jede Sekunde voll und ganz. An Stimmgewalt und Schönheit kommt ihm keiner gleich und sein spanischer Akzent passt hier sogar zum exotischen Sendboten. Aber er steht nicht allein. Cheryl Studers feine Elsa, Dunja Vejzovic und Hartmut Welker als intensives böses Paar und dann der sensible Claudio Abbado am Pult in der gediegenen Regie von Wolfgang Weber, ein Genuss ohne Reue, zwar oft schon so gesehen aber garantiert ohne Ärger über Regieunsinn. Arthaus Musik DVD, Wien 1992:
Wie im Opernhimmel: Romantische Oper für Träumer.
Der großartige Maler Henning von Gierke hat schon einige Opern mit seinen wunderbaren Bildern genial ausgestattet (Holländer, Freischütz, Giovanna d‘Àrco) und liefert auch für diese wunderschöne Produktion romantische Bilder und Schneelandschaften von so zauberhafter Intensität, dass sie geradezu kongenial zur Musik harmonieren. Das Schlussbild, in dem die Welt in eisiger Schneekälte erstarrt, wenn Lohengrin abreist, dieser poetisch erschütternde Anblick ist allein schon die ganze Aufnahme wert. Nicht nur so hoffnungslose Romantiker wie ich kommen da ins Träumen und könnten vor Glück abheben. Denn auch musikalisch ist alles aufs Beste bestellt und die Regie von Herzog nimmt sich sehr klug zurück, was umso wirkungsvoller ist. Der hervorragende Praktiker Peter Schneider sorgt am Pult für gefühlvoll dramatische Musik, Paul Frey singt ebenso gut wie er aussieht, Cheryl Studer ist hier tausendmal besser als in der Wiener Aufnahme mit Domingo, Gabriele Schnaut und der großartige Ekkehard Wlaschiha (der beste Telramund den ich kenne) sind als böses Paar absolute Spitzenklasse. Ja und des „Basses Grundgewalt“ von Manfred Schenk lässt das alte Festspielhaus geradezu erbeben. Also ungefähr so wie diese Inszenierung stelle ich mir meinen ganz privaten Opernhimmel vor. DGG DVD, Bayreuther 1993
Lohengrin im Klassenzimmer – einfach herrlich!
Im Jahre 1996 hatte ich mir für „Der Opernfreund“ eine Glosse als Lohengrin Parodie ausgedacht, die in der Schule spielen sollte. Wie erstaunt war ich, etwas später genau meine Parodie in HH als Inszenierung zu erleben. Und ich habe mich prächtig amüsiert, vor allem im 1. Akt, wenn Elsa dauernd wieder im Schrank verschwindet und die kurzbehosten hehren Helden mit Holzschwertchen aufeinander losgehen. Und dann Elsa und Ortrud, die sich unter den Schulbänken statt vor dem Münster balgen und an den Haaren ziehen. Witzige Ideen meisterhaft ausgeführt. Und ganz allmählich ohne es zu wollen wird man dann aber doch vom wirklichen Drama umfangen und staunt über Konwitschny, der aus dem Ulk unmerklich echtes packendes Theater entstehen lässt. Oder ists doch Wagners Theaterpranke, die da wieder zuschlägt? Ein Theater-Genie, das sogar noch Klamauk zum packenden Drama werden lässt??? Wer Humor hat und auch über seine Idole (und Wagner ist für mich der Größte) mal lachen kann, der wird sich über die 2 DVDs bestimmt freuen. Zumal die Sängerdarsteller mit allergrößter Begeisterung dabei sind, voran Emily Magee als köstlich naives, aber auch ganz liebes Elsa-Dummchen, der es sogar gelingt, hinter der Parodie das Drama aufzuzeigen. Großartig! Luana DeVol als bezopftes Klassenmonster mit Riesenstimme. Blasser der Telramund H.J.Ketelsen und sehr solide aber kein Aufreger der Lohengrin John Treleavens. Alles spannend und verblüffend anders bis zum total überraschenden Schluss! Euroarts, DVD, Barcelona/HH, 1998/2006
Die ideale zeitgemäße Musteraufführung
„Ortrud“ müsste diese Aufführung eigentlich heißen, denn die unvergleichliche Waltraud Meier überragt hier das Ensemble und das will bei dessen hohem Standard schon was bedeuten! Auf einzigartige Weise fasziniert sie sowohl im souverän ausdrucksvollen Gesang mit fulminanter Höhe als auch im schleichend intriganten Spiel. Die rührend liebevolle und verliebte Elsa der Solveig Kringelborn hat da keine Chance. Dieses Zusammenspiel ist ganz große packende Oper, ebenso ergreifend wie das des kühlen schlank singenden Klaus Florian Vogt, der wirklich aus einer anderen Welt zu kommen scheint, mit dem sehr irdischen Bilderbuchbösewicht von Tom Fox. Das sind wahre Sternstunden und lassen in ihrer Vollkommenheit den wortdeutlichen Roman Trekel als Heerrufer und gewaltigen Hans-Peter König beinahe zu Stichwortgebern verkümmern. Kent Nagano sorgt für sensible ätherische Klänge aber auch für die nötige Dramatik. Da die kühl moderne Inszenierung Nikolaus Lehnhoffs in der abstrakten weißen Arena vom Geschehen nicht ablenkt, konzentriert sich die Aufmerksamkeit ohne ablenkende Regiemätzchen direkt auf das psychologisch dichte und spannende Geschehen. Das Wundervolle dieser Geschichte allerdings, das kommt hier, wie meistens, zu kurz. Dennoch: die Musteraufführung des 21. Jahrhunderts wäre hier gefunden. 6.Opus Arte/Naxos, DVD, Baden-Baden, 2006
Häuslebauerin und Zimmermann
Ich habe mich, als es endlich Opern DVDs gab, riesig gefreut, jetzt die Opernwunder auch sehen zu können. Aber diese Aufnahme hätte besser nur als CD erscheinen sollen, denn musikalisch ist sie eine richtige Jahrhundert Einspielung. Kein Wunder, bei dem Traum-Ensemble!!! Als DVD jedoch ist sie ein Ärgernis. Wieder mal ist ein unfähiger Regisseur schuld daran, der unbedingt eine andere Geschichte erzählen will als Musik und Textbuch vorgeben! Da stimmt dann wirklich überhaupt nichts mehr. Elsa als Häuslebauerin!!! Ja um Gottes Willen hat der nicht begriffen, dass sie von einem Ideal träumt, und nicht von einem kleinspießigen Reihenhaus. So wie Wagner einst ja auch vom Ideal der Kunst als politische Kraft träumte. Naja, was soll‘s, Ignoranten gibt’s halt immer wieder! Das Musikalische dagegen ist großartig und die Piani von Jonas Kaufmann können glatt süchtig machen. Zusammen mit Anja Harteros haben wir wieder mal ein Traumpaar. Aber auch die beiden bösen Michaela Schuster und Wolfgang Koch überzeugen stimmlich und in der Darstellung total. Natürlich parodieren die Zimmermannskostüme und banalen T-Shirts ganz blödsinnig die hochpathetische gewaltige Musik. Dabei nimmt Kent Nagano Wagner wirklich wunderbar ernst. Augen zu und hören: dann tun sich wahre Wunder auf! Decca DVD München 2009
Kein Rattengift nötig!
Selten ist mir bei anderen Inszenierungen so deutlich geworden, wie großartig Wagners Werk ist, da es ja sogar diese Regie mit all ihren „witzigen“ Ideen problemlos überlebt. Dabei sind es ja gar nicht so sehr die berühmten „Ratten“, denn die passen zu den martialischen Aufmarschszenen geradezu genial. Nein, blöd sind die Mätzchen, die Neuenfels seinem Ruf als „Schocker des spießigen Publikums“ wohl schuldig zu sein glaubt. So das Herumtorkeln des offenbar besoffenen Königs. Georg Zeppenfeld führt das mit geradezu selbstloser Disziplin aus. Auch der Brautzug zum Münster soll dann ja wohl mit den heraushängenden Rattenschwänzen karikieren. Dumm die primitiven Comiceinspielungen, die die Vorspiele zu den Akten verblödeln. Schade, denn zwischendrin gibt’s auch packendes Musiktheater. Zum Beispiel in der furios als Loriotschen Ehekrach inszenierten Brautgemach Szene. Nun sind aber auch fulminante Singschauspieler am Werk. Klaus Florian Voigt gefällt mir als Gralsritter, der wirklich wie nicht von dieser Welt singt, und Annette Dasch mit ihrem schauspielerischen Totaleinsatz. Das böse Paar ist überzeugend böse mit Petra Lang und Jukka Rasilainen, der leider stimmlich etwas matt klang. Andris Nelsons als sängerfreundlichen und liebenswerten Dirigenten zu loben fällt einem sehr leicht. Fazit: Wagner, mal nicht ganz so ernst genommen, das allein rechtfertigt ja schon den Kauf dieser 2 DVDs. Opus Arte/Naxos, 2 DVDs Bayreuther Festspiele 2011
Anna for Elsa! Ein wirklicher Superabend!
Wenn das nicht ein Abend der Superlative war! Hervorragende Sänger-Persönlichkeiten, ein wunderbares Orchester, und noch dazu keine blödsinnigen Einfällen der Regie. Denn Regie gab es ja eigentlich gar keine. Von der uralten Mielitz-Inszenierung von 1983 waren wohl nur das langweilig öde Bühnenbild übriggeblieben und martialisch militante Aufmärsche des herrlich singenden Chors. Aber so ganz ohne Regie geht’s halt auch nicht. Schon gar nicht mit gleich 2 Rollen-Debütanten: Netrebko meistert das Problem natürlich mühelos, sie folgt ihrem grandiosen Bühneninstinkt und zieht alle in ihren Bann. Schwer dagegen tut sich der eher steife Piotr Beczala, der wie immer grandios singt, aber doch als Darsteller etwas langweiliger ist. Er könnte durch eine gute (!!) Regie nur gewinnen. Bleibt aber dennoch die Frage, ob er wirklich genügend Durchschlagskraft für den Gralsritter hat? Im 2. Akt ging er in den Orchesterfluten manchmal etwas unter. Allerdings haut da Thielemann schon richtig drauf, verzaubert aber sonst wie immer emphatisch mit „seiner“ Dresdner „Wunderharfe“. Neben der gewaltigen Elsa dominierte Evelyn Herlitzius als wie immer grandiose Ortrud in ihrem ausgefeilten Rollenporträt. Zusammen mit dem interessanten Tomasz Konieczny als Telramund sind die beiden ein richtiges Traumpaar des Bösen. Den König orgelt Georg Zeppenfeld sehr edel und präsent wie immer. Aufgewertet wird der Heerrufer durch die Persönlichkeit von Derek Welton. Insgesamt auf jeden Fall ein sehr schönes Dokument eines hochgefeierten, spannenden und vermutlich wirklich einmaligen Musikevents. DGG 2 DVDs, Dresden 2017
Der Elektromonteur und die Kleidermotten
Es gab mal eine Zeit, da war Bayreuth weltweit beispielgebend für allerhöchste Qualität und Integrität das Werk Richard Wagners betreffend. Nur die Besten, die sich anderswo schon bewiesen hatten, wurden eingeladen und garantierten Spitzenaufführungen von denen man noch lang zehren konnte. Wenn ich nun diese dilettantische Inszenierung damit vergleiche, erfasst mich gleichermaßen Trauer und Zorn. Trauer über die Inkompetenz eines blutigen Anfängers, der nicht mal sein Handwerk beherrscht und sich wohl zum ersten Mal mit Wagner beschäftigt hat, und Zorn über die unprofessionelle Festspielleitung, die so etwas veranlasst. Aber genug damit. Musikalisch konnte man dagegen ja wirklich sehr zufrieden sein, dafür sorgte allein schon Christian Thielemann, von dem ich aber erwartet hätte, dass er solch eine dilettantische Regieblamage verhindert. Piotr Beczala hat sich seit seinem Rollendebut in Dresden gewaltig gesteigert und scheint sich wirklich zum idealen Lohengrin unserer Zeit zu mausern. Anja Harteros war in der Müncher Aufführung wohl besser disponiert, vielleicht störte sie hier die wirrgraue Hexenperücke. Waltraud Meier zeigt dass sie noch immer faszinieren kann, auch wenn die Höhenlage nicht mehr so präsent ist. Tomas Konieczny und Georg Zeppenfeld, inzwischen Telramund und König Heinrich vom Dienst, überzeugen auch als Kleidermotten. Als CD wärs sicher eine Spitzenaufnahme. DGG 2 DVDs, Bayreuth 2018
Ein Wunder – leider aber nur im Orchestergraben
Das einzige Wunder in dieser Inszenierung (Arpad Schilling) spielt sich im Orchestergraben ab. Dafür sorgt der grandiose Cornelius Meister, Nomen est Omen, geradezu meisterhaft! Und auch der Chor blüht richtig festspielwürdig auf. Das allein ist schon diese Einspielung wert. Auf der Bühne aber herrscht 3 Akte lang gekonnt anspruchsvolle Finsternis ägyptischen Ausmaßes. Statt eines Gralsritters wird einer aus der Mitte der ärmlich gekleideten Werktätigen zum Retter bestimmt. Obwohl der Chor doch eben noch von einem Wunder mit einem Schwan sang! So geht es dann 3 Akte lang weiter: auf der Bühne wird ein ganz anders Stück gespielt als Musik und Textbuch erzählen. Nun können solche Brüche ja einen ganz spannenden Kontrast erzeugen, aber hier ist die Diskrepanz einfach zu groß und es wirkt unfreiwillig erheiternd, wenn zu der banalisierten Handlung sphärisch abgehobene Musik ertönt, und sich die Werktätigen in hochtrabendstem Wagnerpathos äußern. Das wäre etwas für die Parodisten. Die Sänger schlagen sich trotzdem sehr achtbar: allen voran Simone Schneider als sehr gefühlvoll spielende und singende Elsa. Mit ihrer Prachtstimme wuchtet Okka von der Damerau eine mächtige Ortrud auf die Bühne,. Gestalterisch bleibt sie etwas blass. Ihr Telramund, wird von Martin Gantner sehr überzeugend dargestellt, und Goran Juric orgelt als König mit balsamischem Bass seine Gesänge. Lohengrin ist hier der sympathische Antiheld und Michael König ist dafür der überzeugendste Darsteller, der auch sehr schön auf Linie singt.Naxos/BelAir, DVD/Blu-ray Stuttgart 2020
Peter Klier 8. Mai 2023
Fazit: Was tun? Wieder ganz einfach, denn es gibt für jeden etwas:
Traditionalisten werden mit den DVDs aus der Met selig werden.
Intellektuelle mit Gefühl mögen sicher die Aufnahme aus Bayreuth von 1982.
Intellektuelle ohne Gefühl werden bei der Stuttgarter nichts vermissen.
Domingo-Fans langweilen sich ihm zu Liebe gerne in der braven Wiener Aufnahme
Waltraud Meier-Fans werden in Baden Baden mitreißende Perfektion erleben.
Kaufmann-Fans wählen die Münchner und ärgern sich dort über die Regie.
Netrebko-Fans wird die fehlende Regie der Dresdener nicht im geringsten stören.
Wagnerianer, die Humor haben, amüsieren sich bei Konwitschny oder bei Neuenfels und seinen Ratten.
Romantiker, falls es die noch gibt, beglückt die Bayreuther Aufnahme von 1993!
Neugierige, die genug Mottenpulver haben, könnten die Bayreuther von 2018 mit Freude anhören. Na denn viel Spaß.