Zu lang und zu laut
An Glitter und Glamour hat es nicht gefehlt in Barrie Kosky’s All-Singing, All-Dancing Yiddish Revue an der Komischen Oper, die der scheidende Intendant dem Haus und seinem Publikum zum Abschied schenkte. Und alle waren sie da – die Mitstreiter der vergangenen zehn Jahre, die vielen seiner Produktionen zum Erfolg verholfen hatten: Dagmar Manzel, Katharine Mehrling, die Geschwister Pfister, Helmut Baumann, Max Hopp…, ergänzt um einige Ensemblemitglieder des Hauses. Am Pult des Orchesters der Komischen Oper Berlin stand der im Genre der Operette und des Musicals erfahrene Dirigent Adam Benzwi, der die vielfältigen Musiktitel mit Schmiss und Schwung, aber wo nötig auch mit Sentiment und Nostalgie präsentierte. Denn das Programm bot in seiner Fülle ganz unterschiedliche Stimmungen – von glamourös und crazy, schrill und schräg bis zu still und berührend, empfindsam und traurig. Zu hören war Musik jüdischer Künstler, die Deutschland nach 1933 verlassen mussten und im New York der 1950er Jahre – in Clubs, Theatern und Studios – ihre nationale Kultur wieder aufleben ließen. Das mit Glühlämpchen eingefasste Bühnenportal bot die passende optische Atmosphäre wie auch mehrere Glitzervorhänge in verschiedenen Farben im Hintergrund der Bühne. Und nicht zuletzt waren es die opulenten, phantasievollen Kostüme von Klaus Bruns, die in ihrer Extravaganz für Effekte sorgten. Selbstverständlich war auch der Choreograf Otto Pichler mit von der Partie, der zu Koskys ständigen Mitarbeitern zählt und an diesem Abend wieder mit flotten Auftritten und verrückten Einlagen für seine sexy Tänzer imponierte.
Als Mizzi Rubenstein eröffnete Ruth Brauer-Kvam in weißer, mit schwarzen Pailletten-Ornamenten verzierter Robe den Abend, begrüßte das Publikum und kündige die nächste Nummer an: Katharine Mehrling. Dagmar Manzel und Christoph Marti als The Bagelman Sisters in Pelzmänteln und Turbanen als exaltiertes Trio. Eine Ikone in der Berliner Unterhaltungsszene ist Helmut Baumann, der mit dem Lied „Bay mir bistu sheyn“ den ersten stillen (und berührenden) Moment einbrachte. Denn die meisten Titel waren von den Sounddesignern Sebastian Lipski und Simon Böttler über Gebühr verstärkt mit dem Ergebnis eines dröhnenden, oft fast schmerzenden Klanges. Als The Beth Shalom Singers kamen auch die Chorsolisten des Hauses (Einstudierung: David Cavelius) zum Einsatz und boten mit Solowjow-Sedois „Moskauer Nächte“(hier als „Bloye nekht fun Tel Aviv“) einen unvergänglichen Evergreen. The Otto Pickle Dancers in schwarz/gelb gestreiften Badehosen, Pfauenfedern und Blumengirlanden boten eine ihrer schrägen Nummern, die von der folgenden noch übertroffen wurde – eine Elvis-Parade mit nicht weniger als vier Doubles des Rockstars, die in dem Herb Albert Medley “A Waste of Money“ mit köstlichen Auftritten für Lachsalven im Publikum sorgten: Ivan Tursic, Peter Renz, Philipp Meierhöfer und hinreißend, weil besonders schräg und überdreht Dagmar Manzel. Danach gab es mit der schlichten Interpretation des Liedes „Ikh bin a mame“ von Helene Schneiderman alias Sylvie Sonitzki im schwarzen Trauerkleid mit Hut und Schleier wieder einen anrührenden Moment, wie es überhaupt ein Pluspunkt der Programmkonzeption war, zwischen glamourösen, komischen und ernsten Titeln zu wechseln und dabei eine Balance zu finden. So präsentierten sich nach dem sensiblen Mutter-Lied mit Ruth Brauer-Kvam und Katherine Mehrling zwei Stimmkanonen als Peggy and Cindy Rosenfeld im Duett „Nu, zog mir shayn ven“. Auch Sigalit Feig als Lola Levenshuss setzte eher auf Lautstärke und brachte sich mit grölendem Vortrag des Musical-Songs „Ikh vel vartn oyf dir“ in die Nähe der Minelli. Den Schluss des ersten Teils gestalteten Alma Sadé und Dominik Köninger aus dem Ensemble des Hauses (A Romantic Couple) mit einem schwelgerischen Operetten-Duett.
Nach der Pause stellte sich das Gefühl von Ermüdung ein, die Titel wirkten im Timing überzogen, manche im Inhalt auch geschmäcklerisch. Der geschätzte Max Hopp hatte einen überlangen Auftritt als Cowboy und musste gar noch jüdische Witze zum Besten geben, die ihren Effekt beim Publikum zumeist verfehlten. Danach konnte Dagmar Manzel als A Mother im schwarzen Taftkleid mit „A brivele der mamen“ mit Schlichtheit und Klarheit anrühren. Nicht enden wollend und im Sound überdreht war das Barry Sisters Medley mit The Barrie Kosky Sisters (Helene Schneiderman, Alma Sadé, Sigalit Feig, Katharine Mehrling, Ruth Brauer-Kvam). Alle Mitwirkenden vereinten sich dann zum großen Show-Finale „Der nayer sher“ und ernteten stürmischen, anhaltenden Applaus. Bejubelt wurde auch Barrie Kosky, der im Publikum saß und künftig für zwei Inszenierungen pro Spielzeit dem Haus als Regisseur erhalten bleibt.
Bernd Hoppe 15. 6. 2022