Besuchte Premiere am 22.07.19
Erinnerungen an eine Liebe
So könnte man den Rahmen von Anthony Pilavachis Inszenierung von Gaetano Donizettis "Der Liebestrank" am Staatstheater Cottbus bezeichnen, doch verraten werde ich die Pointe dazu nicht. Dabei wird ganz hervorragend der musikalische Gestus der Opera Buffa aufgegriffen, der doch ständig am Rande der Melancholie schwebt. Wie immer , wenn ich dieses Stück erlebe, bewundere ich die einfache und doch geniale Struktur dieser Oper, die Handlung schlichter geht es kaum; an der Musik nichts Überfüssiges, dabei stets inspiriert. Ein echtes Meisterwerk seiner Gattung, dessen man nicht müde wird zu erleben.
Unter die vielen gelungenen Aufführungen dieser Oper, die ich erleben durfte, reiht sich die Cottbuser nahtlos ein. Denn Pilavachis Inszenierung ist stets dicht an Libretto und Partitur. Diese "Erinnerung an eine Liebe" führt uns in ein imaginäres Italien der Dreißiger Jahre. Markus Meyers Bühnenbild ist ein "Bühnenbild" am Meer, wie Pilavachis Inszenierung nicht mehr als eine "Opera Buffa" sein will, was Lachen und durchaus Gefühlstiefe nicht ausschließt. Nicole Lorenz`stattet die Spieler mit den attraktiven Kleidern dieser Zeit aus, daß der Sergeant Belcore eine faschistische Uniform trägt ist dabei (fast) lediglich der historischen Zeit geschuldet, ohne irgendwelches Pseudokritisches zu betonen.
Das Ensemble ist aus weitgehend jungen und sehr erfreulichen Talenten bestückt, die teilweise ihre ersten großen Partien singen, da merkt man schon mal eine leichte Nervosität. Die Krone des Abends gebührt der ausgezeichneten Adina von Mirjam Miesterfeldt, da ist alles am rechten Platz: eine junge selbstbewußte Frau, die sich so nach der Liebe sehnt und ihr gleichzeitig nicht traut, jede Nuance im Gesang bedeutet etwas: Koketterie , Abschottung, Gefühl und Selbstschutz immer als Aussage im Gesang, bei schönem agilen Sopran mit toller Höhe – Belcanto in Reinkultur. Dazu ein junger, russischer Tenor (29!) als Nemorino mit beachtlichem Stimmpotential , schöner Tenorfarbe, der als stimmlich saftiger Nemorino debutiert, von durchaus leuchtendem Schmelz, wie man so sagt "goldener" Höhe, ab nächster Spielzeit fest an der Deutschen Oper Berlin, da darf man sich freuen. Auch spielerisch sehr präsent; ein Nemorino mit dem man schier mitleidet, weil er so knuddelig ist. Der Belcore ist da ein recht unangenehmer Macho in seiner historischen Uniform, dabei in sich unsicher, was den Charakter sehr glaubwürdig macht. Er wird von Adina als Werkzeug benutzt, was er spürt, aber verdient hat er es freilich schon. Nils Stäfe bringt das ganz prima auf die Bühne und erfreut dabei mit üppigem Baritonschmelz.
Der Dulcamara ist die einzige wahre Buffo-Praline a la Commedia dellàrte mit weißlich geschminktem Gesicht, doch er hält das Rädchen der Handlung am Laufen. Matthias Henneberg hat eine gute Bühnenpräsenz und einen echten Bassbuffo, doch ist er am Premierenabend scheinbar sehr nervös, was sich in leichten Intonationproblemen und Schludereien äußert. Ganz hervorragend auch die in jeglicher Hinsicht präsente Gianetta, von Rahel Brede mit feinem hohem Mezzosopran gesungen, szenisch ein echtes Kabinettstück vom häßlichen Entlein zum stolzen Schwan.
Eine Bank auch der Opernchor unter Christian Möbius, vor allem die Damen in der Szene mit Gianetta, das ist wirklich überbordende Spielfreude, gesanglich stets auf den Punkt. Sergey Simakow am Pult des Philharmonischen Orchesters Cottbus gefällt mir auch sehr gut, vielleicht manchmal etwas laut oder sogar ruppig. Doch wie oft habe ich Dirigenten in der Oper erlebt, die eine Partitur zelebrieren und dabei vergessen, das Oper eine dramatische Kunst ist. Simakow ist ein echter Operndirigent und immer bei der Szene, er beweist mit wahrlich teilweise rasanten Tempi ordentlich Mut, das Orchester und die Sänger dabei immer auf Augenhöhe. Die Rezitative mit manchmal erstaunlich langsamen, aber nie langweiligen Tempi immer am Text. Hier scheinen Regie und musikalische Leitung hervorragend zusammengearbeitet zu haben.
Ein wirklich toller Saisonschluss für die Cottbusser Oper: italienische Oper mit wunderbaren Stimmen, einer spannenden Regie und tollen Szene. Nach dem Abend mit viel Hören, aber auch viel Gelächter über die Situationen auf der Bühne ein begeistertes Premierenpublikum mit langen, herzlichen Ovationen; der Kritiker war auch dabei. Ein Abend der zeigte, wieviel wahres Leben doch in der Oper stecken kann; aber auch wieviel Oper oft in unserem wahren Leben ist.
Martin Freitag, 27.6.2019
Fotos (c) Marlies Kross