Landshut: „Wiener Blut“

Besuchte Aufführung: 21.2.2016, Premiere in Landshut: 18.8.2015

Heiteres Versteckspiel auf der Toilette

Sicherlich handelt es sich bei „Wiener Blut“ um eine der gelungensten Operetten von Johann Strauß. Nun wird so mancher einwenden, dass eine Operette mit diesem Titel von dem Walzerkönig doch niemals geschrieben wurde. Das mag stimmen, der Widerspruch löst sich indes rasch auf, wenn man die Entstehungsgeschichte des Werkes einmal näher unter die Lupe nimmt. Im Jahre 1899 stand es um Strauß’ Gesundheit nicht mehr zum Besten. Er war zu müde und gebrechlich, um nach all seinen anderen Kompositionen noch eine weitere abendfüllende Operette zu schreiben. Aus diesem Grund lehnte er das diesbezügliche Ansinnen von Franz Jauner, des Leiters des vom Bankrott bedrohten Wiener Carl-Theaters ab. Jauner gab aber nicht auf.

Ensemble

Schließlich einigte man sich auf folgenden Kompromiss: Die Librettisten Victor Léon und Leo Stein, von denen auch das Libretto zu Lehars „Die lustige Witwe“ stammt, schufen eine sog. Pasticcio-Operette, indem sie bereits vorhandene Walzer von Johann Strauß mit Texten ausstatteten, das Ganze zu einer einheitlichen Handlung zusammenfügten und daraus letzten Endes die Partitur erstellten. Dieses Potpourri aus den bekanntesten Strauß-Walzern wie beispielsweise das titelgebende „Wiener Blut“, „An der schönen blauen Donau“, „Geschichten aus dem Wienerwald“ und „Wein, Weib und Gesang“ ist sehr ansprechend. Dennoch fiel das Stück bei seiner Uraufführung am 26. Oktober 1899, die Strauß selbst nicht mehr miterleben konnte, bei Publikum und Presse durch. Jauner beging Selbstmord. Der Erfolg trat erst sechs Jahre später mit einer Neuproduktion am Theater an der Wien ein. Danach war der Siegeszug des Werkes nicht mehr aufzuhalten. Seitdem ist das „Wiener Blut“ an zahlreichen Bühnen zu sehen gewesen.

Kathryn J. Brown (Gräfin Zedlau), Emily Fultz (Franziska Cagliari), Kyung Chun Kim (Fürst von Ypsheim-Gindelbach)

So auch jetzt am Landestheater Niederbayern mit seinen Spielstätten Passau, Landshut und Straubing. Die hier zu besprechende Aufführung fand im Opernzelt in Landshut statt. Zumindest in szenischer Hinsicht geriet der Nachmittag zu einer recht beachtlichen Angelegenheit. Konventionen wurden von Regisseur Markus Bartl nicht gepflegt. Seine Herangehensweise an die fulminante Operette war durchaus moderner Natur und reichlich ungewöhnlich. Er hat zwischen den Ereignissen aus der Zeit des Wiener Kongresses, in dem die Handlung sich ursprünglich abspielt und solchen der Gegenwart mannigfaltige Parallelen entdeckt und aus dieser Erkenntnis heraus das Ganze in einem heutigen Rahmen angesiedelt. Der Wiener Kongress spielt keine Rolle mehr, die amourösen Abenteuer eines jungen Lebemannes, der sich gleichzeitig auf drei Damen einlässt, sehr wohl. Dieses Thema ist durchaus zeitloser Natur und kann sich in den unterschiedlichsten Ären abspielen. In ihm sieht der Regisseur das Bindeglied zu unserer heutigen Gesellschaft.

Maria Pitsch (Pepi Pleininger), Peter Tilch (Josef)

Zusammen mit Bühnen- und Kostümbildner Philipp Kiefer wählt er einen auf den ersten Blick extravagant anmutenden Weg, der indes im Lauf der Aufführung voll aufging. Der Fokus liegt auf den Personen, deren Lebensgefühl sich von unserem heutigen nicht sonderlich unterscheidet. Mit Blick darauf, dass der Adel in der Gegenwart keine sonderliche Rolle mehr spielt, hat das Regieteam die amüsante Handlung dann auch kurzerhand in ein eher bürgerliches Ambiente transferiert. Im ersten Akt sind die Handlungsträger gänzlich auf die Vorderbühne verbannt. Eine im Stil der 1890er Jahre gehaltene kachelartige Wand trennt sie vom restlichen Teil des Raumes ab. Der beengte Rahmen tut der an den Tag gelegten immensen Spielfreude der Protagonisten indes keinen Abbruch. Auf- und Abgänge erfolgen durch sechs Türen in der Wand. Als die im Trenchcoat auftretende Gräfin Zedlau sie bei ihrem ersten Auftritt nacheinander öffnet, erblickt man hinter ihnen verschiedene moderne Einrichtungsgegenstände sowie eine Bibliothek.

Chor des Landestheaters Niederbayern

Am Ende des ersten Aktes fährt die Wand in den Hintergrund und gibt dann im zweiten Aufzug den Blick auf einen Ballsaal frei, der von einem Podest und zwei riesigen Pflanzentrögen gesäumt wird. Hier wendet der Regisseur gekonnt die Filmtechnik des Zoomens an. Später darf das Wandmuster auch mal seine Konturen verlieren und verschwimmen. Den Höhepunkt dieses Bildes bildet der von Pepi angeführte Tanz der Comtessen. Ihr männliches, uniformiertes Erscheinungsbild samt Bärten à la Fidel Castro geben dieser Szene eine äußerst amüsante Note. Wenn die Uniformen der Damen schließlich fallen, kommen darunter ansehnliche Tanzkleider zum Vorschein. Die Bärte werden allerdings nicht abgelegt. Das lässt sich als Zeichen einer Entdifferenzierung der Geschlechter deuten. Den Höhepunkt erreicht Bartls kurzweilige Regiearbeit dann im dritten Aufzug, den er völlig überraschend in eine Toilettenanlage verlegt. Das muntere Versteckspiel zwischen den Beteiligten spielt sich in deren Kabinen ab und eine Anzahl von Klofrauen wartet mit einer munteren liedhaften Einlage zu Akkordeon, Gitarre und Cello auf. Das war ein in gleichem Maße neuer wie erheiternder Einfall, der dem heiteren Geschen noch zusätzlich eine feine ironische Note verlieh. Von sanfter Ironisierung war auch die muntere Personenführung geprägt. Operettenseligkeit wich in diesem Ambiente anspruchsvollem Musiktheater. Insgesamt hat die Regie das Stück durchaus ernst genommen. Bartl und Kiefer haben alles auf eine imposante Gratwanderung gesetzt und auf der ganzen Linie den Sieg davon getragen.

Bemerkenswert war, dass sich von den Sängern keiner in den Vordergrund drängte. Vielmehr stand der Ensemblegedanke voll und ganz im Vordergrund; es wurde durchweg ein homogenes Zusammenspiel gepflegt. Von der darstellerischen Warte aus gab es bei sämtlichen Beteiligten nicht das Geringste auszusetzen. Die gesanglichen Leistungen waren indes durchwachsen. Stefan Reichmann gab mit gut gestütztem, hellem Tenor einen soliden Grafen Zedlau. Eine sehr volkstümlich gezeichnete, überdrehte Pepi Pleininger war Maria Pitsch, die ihren Part mit bestens fokussiertem, kraftvollem Sopran auch ausgezeichnet sang. Neben ihr fielen die dünn und kopfig intonierenden Kathryn J. Brown als Gräfin Zedlau und Emily Fultz in der Partie der Franziska Cagliari ab. Peter Tilch war ein sehr wienerischer Kammerdiener Josef, wobei der Dialekt einen etwas variablen Sitz seines eigentlich angenehmen Baritons nach sich zog. Sonor und ausdrucksstark sang Kyung Chun Kim den Fürsten von Ypsheim-Gindelbach. Als ausgemacht köstlicher Karl-Lagerfeld-Verschnitt präsentierte sich der ebenfalls starken Wiener Dialekt pflegende Schauspieler Reinhard Peer als Kagler. Den Grafen Bitowski, der ständig allen Damen die Hände küsst, gab überzeugend Hanse Gastinger. Aufgrund einer reichlich schrillen Stimmführerin bei den Damen blieben bei dem von Christine Strubel einstudierten Chor des Landestheaters Niederbayern Wünsche offen.

Am Pult pflegte Kai Röhrig einen lockeren und flüssigen Dirigierstil in insgesamt zügigen Tempi. Die gut aufspielende Niederbayerische Philharmonie animierte er zudem zu einer recht transparenten Tongebung.

Fazit: Ein Nachmittag, der sich insbesondere wegen der gelungenen Inszenierung gelohnt hat.

Ludwig Steinbach, 23.2.2016

Die Bilder stammen von Peter Litvai