Nachträge aus dem Sommer
TURANDOT
Im zweiten Puccini-Blockbuster des Puccini Festival Torre del Lago, dieses Jahr zu Gast beim Savonlinna Opera Festival, zeigte die company aus Italien ihre sehenswerte „Turandot“ in der Regie von Enrico Stinchelli sowie den Bühnenbildern und Kostümen der Fondazione Festival Pucciniano. Für das diesmal noch viel fantasievollere Lichtdesign mit facettenreichen Lichtspielen auf der riesigen Burgwand hinter der Bühne zeichnete ebenfalls Enrico Stinchelli verantwortlich. Es war damit größte optische Harmonie und eine mit den Lichtspielen nachvollziehbare Interpretation mit dem Geschehen auf der Bühne gegeben. Auch die „Turandot“ wurde im Prinzip traditionell inszeniert. Das leading team wartete aber mit einigen artistischen Sondereinlagen auf, die die Handlung bisweilen doch künstlerisch aufwerteten. Insbesondere die Kostüme trugen zu manch interessanten Assoziationen, zumal mit der im Stück angesprochenen chinesischen Ästhetik, bei.
Das Bühnenbild wird im Prinzip vom Palast der Prinzessin Turandot dominiert. Von Akt zu Akt werden einige Säulen und andere Bauelemente umpositioniert. Aber es sieht alles schön klassisch nach chinesicher Herrschaft für 10.000 Jahr‘ aus. Eine besondere Rolle spielt der Fächer, der ja für die chinesische Kultur der höheren Schichten Symbolkraft hat. Er wird hier mit viel Ornamentik immer wieder dramaturgisch geschickt eingesetzt. Bedeutender ist die Rolle des riesigen Chores, des Puccini Festival Choirs, der die weite Bühne von Olanvanlinna mit guter Choreografie ausspielt, so dass die Bilder immer in ansprechender Bewegung sind. Salvo Sgrò ist auch hier wieder für die Chorleitung verantwortlich. Er konnte mit seiner Arbeit einmal mehr unter Beweis stellen, dass die „Turandot“ auch eine klassische Choroper ist.
Auch bei „Turandot“ wartete das Puccini Festival Torre del Lage mit sehr guten Sängern auf. Zvetelina Vassileva singt eine sehr gute Turandot mit kraftvollem Sopran und etwas verhaltenem Spiel, durchaus der Rolle entsprechend. Eine kleine Sensation ist Amadi Lagha als Calaf, der das Publikum nicht nur mit seiner Arie „Nessun dorma“ zu Recht so begeisterte, dass er sie nach kurzer Absprache mit dem wieder äußerst lebhaften Maestro Veronesi sogar drei Mal sang. Die Leute standen nach dem zweiten Mal fast Kopf. Nach dem dritten Mal dirigierte Veronesi Gott sei Dank gleich weiter, sonst wäre es ein Zirkus geworden…
Die beste Sängerin des Abends war jedoch Lana Koss als Liù, die die Anbeterin Calafs mit einer wunderschön lyrischen Stimme und einem emotional einnehmenden Spiel verkörpert. Sie bekam auch den meisten Applaus. George Andguladze singt den Timur mit einem etwas zu dumpfen Bass. Dafür konnte man endlich mal einen auch ansprechend singenden Kaiser Altoum erleben, denn Alberto Pedricca kann die Rolle sowohl stimmlich wie auch darstellerisch in einem großartigen goldenen Gewand interpretieren. Man konnte den Wunsch des Volkes, das er noch 10.000 Jahre leben möge, durchaus nachvollziehen. Raffaele Raffio als Ping, Tiziano Barontini als Pong und Marco Voleri als Pang geben sowohl sängerisch wie mit einem herrlich lebhaften Spiel ein exzellentes Minister-Terzett ab, auch sie in eindrucksvollen Gewändern. Claudio Ottino singt diesmal einen souveränen Mandarin. Roberto Ardigò leitet den Puccini Festival Choir.
Auch diesmal heizte Maestro Alberto Veronesi mit intensiver Gestik die Atmosphäre im Burghof der Ovanlaninna wieder auf. Das Puccini Festival Orchestra ertönte von seiner besten Seite und bewies seine langjährige Erfahrung mit der Musik des Meisters von Torre del Lago. Sowohl die großen Chorszenen gelangen eindrucksvoll als auch die diversen Zwischentöne. Veronesi konnte mit seinen engagierten Händen und großer Emotion die Musiker zur Bestleistung antreiben und bekam dafür – mit dem gesamten Orchester auf der Bühne – auch enormen, ja am Ende sogar rhythmischen Schlussapplaus. Das Gastspiel des Festival Puccini in Savonlinna war ein voller Erfolg!
TOSCA
Das Puccini Festival Torre del Lago gab zum Abschluss seiner Saison wie jener des Savonlinna Opera Festivals in Savonlinna, Finnland, ein Gastspiel mit „Tosca“ und „Turandot“, beide zwei Mal. Die imposante mittelalterliche Burg Olavinlinna liegt genau im Zentrum des Saimaa-Sees, einer überaus eindrucksvollen Seenplatte mit Tausenden von Inseln. Sie beruht auf einer Erhebung nach dem Rückzug der Gletscher der letzten Eiszeit und trennte sich somit vom Finnischen Meerbusen der Ostsee. Die sogenannte Saimaa Ringelrobbe hat sich aus jener Zeit ins Süßwasser hinüber gerettet. Noch soll es etwa 250 Exemplare von den putzigen dunklen Tieren mit den charakteristischen Kringeln auf dem Fell geben. Natürlich steht es unter größtem Schutz! Genau am neuralgischen Punkt dieser Seenplatte begannen die Schweden mit dem Bau der Burg 1475. Sie wurde später auch von den Russen eingenommen. Wer immer von Nord nach Süd auf dem Wasserwege fahren wollte, und es gab eigentlich keinen anderen, musste auf wenige Meter an dem imposanten Bollwerk vorbei.
Vor etwa 60 Jahren hatte die damals berühmte Sopranistin Aino Ackté die Idee, im großen Innenhof der Wasserburg das Savonlinnan Oopperajunlat zu gründen, das Savonlinna Opera Festival. Die Stadt hat mittlerweile 30.000 Einwohner, und es sind wegen des Festivals viele Hotels entstanden. Die Preise sind generell gesalzen. Auch die der Eintrittskarten, von €95 bis €280. Alljährlich zieht das Festival mit 60.000 Besuchern aus aller Welt sogar etwas mehr Besucher an als die Bayreuther Festspiele. Es ist fast immer lange zuvor ausverkauft. Das Festival produziert eigene Inszenierungen, lädt aber regelmäßig auch andere ein. So war es diesmal u.a. das Puccini Festival Torre del Lago. Sie lieferten zwei Puccini-Blockbuster ab, die von Enrico Vanzina, der Fondazione Festival Pucciniano mit dem Bühnenbild sowie der Fondazione Cerratelli mit ihren Kostümen total traditionell inszeniert wurden, das aber auf erstklassigem Niveau. Und dann kann man sich so etwas auch mit Vergnügen und Spannung ansehen, wie es dem Publikum in der ausverkauften Wasserburg auch ging. Das dazu passende Lichtdesign stammte von Valerio Alfieri.
Im 1. Akt „Tosca“ sehen wir drei hohe Wandbilder, die in ihrer Motivik auf die Kirche Sant‘Andrea della Valle verweisen, in der ja die Handlung beginnt. Sie vermitteln trotz des somit reduzierten Bühnenbildes gleich eine intensive Stimmung und bringen einen unmittelbar in das Stück. Natürlich darf seitlich die Madonna nicht fehlen, zu deren Füßen Tosca die Blumen niederlegt und auch nicht die große Staffelei mit dem Gemälde, an dem Cavaradossi dann einige symbolische Pinselstriche vollzieht. Den 2. Akt beherrscht der riesige scharlachrot gedeckte Dinner-Table Scarpias mit dem Stuhl davor, seitlich das große Fenster durch das man den Gesang der Diva bis zum bewussten Zeitpunkt hört. Man blickt in den Innenhof des Palazzo Farnese. Selbst dieses begrenzte Bühnenbild vermag, auch mit den gut choreografierten Bewegungen der Akteure, die enorm lange Bühne der Burg auszufüllen. Der 3. Akt spielt auf der Engelsburg mit dem angedeuteten Riesenengel an der Seite und der Kuppel des Petersdoms im Hintergrund. Nun ja, so kennen wir es im Prinzip auch von Margarete Wallmann in Wien, wo es ja auch für so gut gehalten wird, dass man schon auf die 600. Vorstellung zusteuert, und auch von einigen anderen Bühnen.
Was aber in diesen Bildern an diesem Abend stattfand, war Verismo vom Feinsten! Man glaubte aufgrund der exzellenten und ganz klar auf spannende interpersonelle Aktion ausgerichteten Personenregie manchmal, das Drama würde sich tatsächlich vor einem abspielen. Also, wie es das Publikum in Leoncavallos „I Pagliacci“ dachte, als Canio im Finale auf Nedda und Silvio losgeht…
Zu einer solchen darstellerischen Intensität gehören aber auch intelligente und begabte Schauspieler, die auch noch singen können. Auch damit konnte das Puccini Festival Torre del Lago aufwarten. Svetlana Kaysan singt und spielt eine Diva par excellence mit attraktivem Aussehen und einem schönen Sopran, der auch zu eindrucksvoller Attacke fähig ist. Sie kann sowohl die Eitelkeit, die Eifersucht, aber auch die existentielle Betroffenheit der Floria Tosca im 3. Akt nachhaltig über die weite Rampe bringen. Der Serbe Zoran Todorovich, der vor vielen Jahren den Cavaradossi auch in Bregenz spielte, singt den revolutionären Maler mit bis an die Grenzen gehender Leidenschaft und einem bestens geführten lyrischen Spinto, der auch absolut höhensicher ist. Allein, es fehlt der Stimme doch an Italianità, die man hier von den Tenören gewohnt ist – sein Timbre klingt etwas herb. Das mag aber auch eine Geschmackssache sein, denn Todorovich singt erfolgreich immerhin das ganze dramatische italienische Fach bis zum Otello. Der dritte erstklassige Protagonist im Bunde ist Alberto Gazale als Baron Scarpia mit einem ungewöhnlich ausdrucksstarken und facettenreichen Bariton, den er spielend auch mit der Darstellung des in seiner Begierde niemals nachgebenden römischen Polizeipräsidenten einzusetzen versteht. Mit gutem Aussehen, einer bestechenden Mimik und großer schauspielerischer Agilität bildet er das dramatische Zentrum des 2. Akts – sein Tod geht unter die Haut.
Claudio Ottino singt klangvoll und mit viel Spielwitz den Messner. Davide Mura ist ein die Ängste des Verfolgten beklemmend ausdrückender Angelotti, der auch einen schönen Bass erklingen lässt. Marco Voleri ist ein richtig fieser Spoletta mit hellem Tenor, der schon ins Charakterfach geht. Alessandro Ceccarini gibt den hörigen Sciarrone ebenso gut wie Massimo Schillaci den Schließer. Ein kleiner Höhepunkt ist der Gesang des Hirten aus der Höhe links oben in der Burgmauer, den Anna Russo mit einem klangschönen Sopran singt.
Nun aber zu Alberto Veronesi, dem Dirigenten, der das ganze Geschehen durch eine unglaublich intensive Gestik noch zusätzlich „aufheizt“. Schon wenn er von hinten auf die Bühne zuläuft, reckt er mit seinem schwarzen „Wuschelkopf“ gestikulierend die Arme in die Höhe, als wolle er wie ein Fußballspeiler nach dem Tor das Publikum mitreißen. Wenn er sich dann weiter gestikulierend vom Pult zum Publikum umdreht, ist die Show perfekt. Engagierter Applaus bis zum Trampeln, noch bevor überhaupt eine Note erklungen ist! Das war umso beeindruckender, als er mit dem Festival Puccini Orchestra eine mitreißende musikalische Interpretation der „Tosca“ bietet und den starken und bestens choreografierten Festival Puccini Choir (Salvo Sgrò) inklusive des Savonlinna Opera Festival Children’s Choir (Leena Astikainen) kompetent führt. Er konnte das italienische Flair in der Musik Puccinis, auch das gelegentliche gewisse „Schmachten“, eindrucksvoll zum Klingen bringen, so besonders bei „O dolci mani…“ oder auch bei „E lucevan le stelle…“. Das Publikum war am Ende begeistert und gespannt auf die „Turandot“ dieser company am Tag darauf.
Fotos: Kuva Anne-Katri Hänninen
Klaus Billand, 23.11.2018