Konzert am 22.02.2019
Johannes Brahms
Sinfonie Nr. 3 in F-Dur
Claude Debussy
JEUX
Richard Wagner
WESENDONCK-LIEDER
Während bei der ersten, der zweiten und der vierten Brahms-Sinfonie im Rahmen der Perspektiven-Konzerte des Deutschen Symphonie-Orchesters Berlin die Sinfonie jeweils den Schlusspunkt des Konzerts bildet, macht Robin Ticciati bei der dritten eine Ausnahme und stellt sie an den Anfang. So kommt man gerade zu Beginn zum Höhepunkt des Abends. Denn wie Ticciati und das wiederum herausragend die Intentionen seines Chefs umsetzende DSO diese Sinfonie interpretieren, ist atemberaubend. Nur schon der Beginn reisst vom Sitz: Der „Juchzer“-Einstieg (oder Jodel, wie Brahms ihn selbst mal schelmisch genannt hatte) ist von einer pure Freude verströmenden, bassgrundierten Kraft, mit präziser Rasanz gespielt. In der Interpretation von Robin Ticciati wird Brahms nicht betulich zelebriert, sondern mit Intensität aufgeladen gelebt. Wie frappierend erklingt da die Genauigkeit, mit welcher die Themen durch die Streichergruppen huschen, mit welcher Dramatik wird bei der Reprise das Kernthema wieder aufgenommen, mit bedrohlicheren Untertönen ausstaffiert. Herrlich schlagen die Holzbläser im Andante den Volkslied-Ton an, spinnen die Phrasen weiter Richtung Kunstlied, markant werden Steigerungen aufgebaut, mannigfaltige Zwischentöne von Licht zu Schatten in perfekter Balance hörbar gemacht. Das so eindringlich melancholische Allegretto (Lieben Sie Brahms?) wird ohne jegliche Larmoyanz in zügigem Tempo interpretiert, da ist kein Drücken auf die Tränendrüse zu hören, wohl aber eine klug analysierte, sehnsuchtsvolle Grundstimmung. Blitzsauber nimmt das Horn das Hauptthema auf, welches dem Satz seinen Puls vorgibt, gefolgt von der Oboe. Das letzte Aufseufzen wird praktisch körperlich spürbar. Aufpeitschend und erneut sehr rasant geht’s ins Finale, das ist Hochdramatik pur, unterbrochen von der bezaubernd glitzernden Flöte. Ticciati setzt Akzente, die wie gequälte Schreie aufhorchen lassen. Doch dann das überraschende Ende: Keinen Triumph, keine Apotheose setzt Brahms hier an den Schluss, sondern lässt die Sinfonie ganz ruhig (und mit einem leicht düsteren Fragezeichen) verklingen – und Ticciati gelingt erneut das Kunststück (wie später bei Wagners Wesendonck-Liedern), den Saal in einem langen Moment der Stille und Besinnung verharren zu lassen, bevor der begeisterte Applaus aufbrandet.
Nach der Pause verleiten Ticciati und das DSO erneut zu intensivem Zuhören: Debussys selten gespieltes Poème dansé JEUX verblüfft mit betörenden Klangfarben, laden quasi ein zum erotischen Voyeurismus in einem Zaubergarten (mit klanglichen Parallelen zu Stravinskys FEUERVOGEL). Dezent und subtil lässt Ticciati den Riesenapparat glitzern und funkeln, ermöglicht ein Versinken im impressionistischen Klangzauber und in erotischen Fantasien (wie gerne würde man das Ballett mal wieder auf der Bühne sehen). Die orchestrale Raffinesse lässt Verführung, Spiel (im doppelten Sinne) und Orgie aufblühen und erschöpft zurücksinken, untermalt von grandios gespielten solistischen Einwürfen. Und wie bei Brahms (ansonsten hatte Brahms ja mit den Franzosen wenig gemeinsam, um es mal vorsichtig auszudrücken) scheint am Ende ein witziges Fragezeichen aufzuschimmern. Debussys Programmmusik JEUX stellt ansonsten eher einen Kontrast zu Brahms’ absoluter Musik dar.
Auch mit Wagner können die Gemeinsamkeiten (gegenseitiger Respekt war aber zweifellos vorhanden) kaum auf einen Nenner gebracht werden – wäre da nicht Mathilde Wesendonck, Wagners Muse aus seiner Zürcher Zeit, deren Gedichte er voller Inbrunst vertont hatte und als Studie zum TRISTAN betrachtete. Nachdem ihm Mathilde den Geldhahn (Wagner war aber auch ein gieriger, verschwenderischer Mensch …) zugedreht hatte, wandte sich die Mäzenin eben auch Brahms zu, versuchte mit ihren zum Teil kruden Dichtungen, Brahms zu deren Vertonung anzuregen, was gründlich misslang und letzten Endes auch zu einer Distanzierung des Meisters von Mathilde Wesendonck führte. Nun standen also die fünf Wesendonck-Lieder (in der Orchestrierung von Wagner – Nr. 5 – und Felix Mottl) am Ende dieses Konzerts. Als Solistin konnte man Dorothea Röschmann erleben, die voller Emphase und für meinen Geschmack etwas viel Vibrato in den Zyklus einstieg (DER ENGEL). Im zweiten Lied STEHE STILL wirkte sie zu Beginn fokussierter, doch erneut störte mich persönlich das Vibrato in den leiseren Passagen. Highlights waren in allen Liedern jedoch die Orchesterbegleitung und vor allem die eindringlichen, zauberhaften orchestralen Nachspiele. Sehr schön gelang der Sopranistin IM TREIBHAUS, dieser wunderbaren Tristan-Studie, welche sie mit großem Atem interpretierte. Das Nachspiel war dermaßen schön, wie nicht von dieser Welt. Den vokalen Höhepunkt setzte Frau Röschmann mit SCHMERZEN – hier passte ihre dunkel timbrierte Stimme mit dem hochdramatischen Aplomb hervorragend. Das Schlusslied TRÄUME war für meinen Geschmack wieder ein wenig zu affektiert und zu grell interpretiert, das mag ich persönlich gerne etwas runder intoniert. Nichtsdestotrotz verfehlen die Wesendonck-Lieder aus Wagners Feder ihre Wirkung auf den Zuhörer nie, vor allem wenn sie vom Orchester so sinnlich interpretiert werden.
Kaspar Sannemann 1.3.2019