am 1. Januar 2019
Essener Philharmoniker, Tomás Netopil
Emil Nikolaus von Reznicek: Ouvertüre zu "Donna Diana"
Josef Strauß: "Brennende Liebe", op. 129
Johann Strauß: Ouvertüre zu "Waldmeister"
Josef Strauß: "Buchstaben", op. 252
Josef Strauß: "Ohne Sorgen", op. 271
Johann Strauß: "Kaiserwalzer", op. 437
Johann Strauß: "Pizzikato-Polka", op. 234
Johann Strauß: "Freikugeln", op. 326
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Johann Strauß: "Frühlingsstimmen-Walzer", op. 410
Johann Strauß: "Im Krapfenwaldl", op. 336
Johann Strauß: "Tritsch-Tratsch-Polka", op. 214
Johann Strauß: "Freut euch des Lebens", Walzer, op. 340
Johann Strauß: "Seufzer-Galopp", op. 9
Josef Strauß: "Die tanzende Muse", op. 226
Johann Strauß: "Furiosa Polka", op. 260 RV 260
Johann Strauß: "Vergnügungszug", op. 28
Johann Strauß: "Unter Donner und Blitz", op. 324
Zugaben:
"An der schönen blauen Donau"
"Radetzky-Marsch" als Publikums-Mitklatscher und Rauswerfer
WALZERLAWEIA!
Dankenswerter Weise mußte man in Essen nicht Beethovens unbekannte 9. Sinfonie zum hundertsten Male hören. Stattdessen boten Tomas Netopil und seine Essener Musici dem Publikum ihre Wiener Ode an die Freude mit sagenhaften 20 Strauß-Preziosen inklusive kleinen netten humorvollen Neujahrs-Einlagen.
Auch die Zuschauer durften mitmachen. Bei Josef Strauß‘ Buchstaben Polka wurden sie geradezu animiert, laut deklamierend ihre Kenntnisse des deutschen Alphabets zu zeigen: Was für eine Gaudi, wenn auch nicht so schön, wie bei Don Schulze und Kermit in der Sesamstraße.
Richtig lärmend wurde es zur Radetzky-Marsch–Zugabe am Ende – nun wurde geklatscht, daß man es vermutlich noch bis nach Wien hören konnte. Das neue Jahr 2019 wurde mit schon fast tannhäuserischer Inbrunst im Herzen begrüßt, und die vorher meist noch recht trüben Gesichter des überwiegend auf Opergala konfektionierten Edelpublikums hellten sich – finallement – doch merklich auf.
Dabei hatte es völlig straußfrei angefangen mit der Titelmusik zu einer der schönsten TV-Rate-Sendungen der 60-er Jahre mit dem Titel Erkennen Sie die Melodie – Emil Nikolaus von Rezniceks Ouvertüre zu Donna Diana. Was waren das damals noch für wunderbare Fernsehzeiten, als das Publikum im Studio zu einem kurzen, extra gedrehten Opernfilmchen raten musste:
a) Um was für eine Oper handelt es sich hier den Noten nach ?
b) Welche Inszenierung zeigt dieser kurze Filmstreifen tatsächlich ?
Natürlich stimmten a) und b) nicht überein; das war ja der Witz. Die kurzen Streifen waren echte Kleinodien. Köstlich, wenn etwa der Holländer auf seinem Schiff holde Aida sang. Reliquien gibt es noch auf Youtube.
Man stelle sich bitte so etwas heute vor:
Gezeigt wird ein Schrottplatz mit Wohnwagen, oben eine riesige Autobahnbrücke – Szene aus Wagners Siegfried natürlich. Wir erkennen es sofort. Und unten singt ein Marsmensch mit Maschinengewehr Auf in den Kampf aus Bizets Carmen.
Zurück zum Konzert: Maestro Netopil erwies sich als humorvoller Sachwalter der Musik. Sehr lustig, als er sich zur Pizzikato-Polka von einem Geiger aus der hinteren Reihe dessen Instrument auslieh und in guter alter André-Rieu-Manier am Dirigentenpult vorweg zupfte. Merke: Für viele Stücke braucht es keinen Dirigenten, sondern nur Taktschläger bzw. Taktzupfer! Das Orchester folgte ihm willig, frei und genüßlich, ohne sich zu verspielen…
Als extrem authentisch empfand ich die Seufzer der Musiker in Johann Strauß‘ Seufzer-Galopp op. 9. Hier durften sie alles rauslassen, was sie so menschlich und arbeitsmäßig quälte. Das war keine Realsatire. Das war das pure Leben, denn Musiker ist ein Streß-Beruf. Viele, wahrscheinlich die meisten, Besucher projizieren ihre Entspannung – jenes schöne Gefühl, im Konzert zu sein – fälschlicher Weise auch auf die Musiker.
Die Vorstellung von spielen hat oft wenig mit der Realität im Orchester zu tun, denn Musiker arbeiten. Und sie arbeiten hart und streßreich. Die falsch gespielte Note hört das Publikum nicht unbedingt – aber die Kollegen und der Dirigent schon. Außerdem sitzen sie bei ihrer Arbeit immer auf dem Präsentierteller einer 360-Grad-Beobachtung – auch gestern war die Choristen-Galerie voll belegt mit Publikum. Dann gibt es da noch die bösen Kritiker, die geradezu auf klappernde Einsätze, Hornverblaser oder andere Spielfehler warten… .
Ungeachtet der Abschweifungen des Rezensenten – man muß eben auch mal eine Lanze für die Musiker brechen 😉 – kann man einen gelungenen Abend attestieren. Einfach schön war es. Herr Thielemann in Wien hat mich im TV nicht derart überzeugt. Möge es in der neuen Konzertsaison so weiter gehen!
Hojottoho
Ihr Peter Bilsing 4.1.2019