am 10.4.16
Das hat fast symbolische Bedeutung. Nicht endenden wollender Jubel nach dem Konzert von Anne-Sophie Mutter und ihren Virtuosen in der Philharmonie Essen holt sie immer wieder auf die Bühne zurück. Anne-Sophie Mutter ist von der Euphorie des Publikums so angesteckt, dass sie auf die Schleppe ihres eleganten, leuchtend blauen Kleides tritt und sie verlängernd zerreißt.
Es ist wie ein Bildkommentar zur ihrem Engagement für dieses besondere Konzert. Inmitten der Eleven ihrer Stiftung ist sie La Grande dame du violin, die sich gemeinsam mit dem Kammerorchester Mutter’s Virtuosi für die Musik schier zerfetzt. Der Name Mutter ist Programm im besten Sinne.
Das Konzert d-Moll für zwei Violinen, Streicher und Basso continuo, BWV 1043 von Johann Sebastian Bach ist dafür beispielhaft, wie sie sich als Dirigentin und Solistin auf Augenhöhe mit den 2. Violinen versteht. Im 1. Satz Vivace spielt Mikhail Ovrutsky mit Anne-Sophie Mutter in absoluter Gleichberechtigung beider Stimmen selbstbewusst und gleichzeitig darauf bedacht, sie miteinander zu einem kontrapunktisch dichten Satz zu verbinden.
Im berühmten Largo in F-Dur verdichtet Fanny Clamagirand hymnisch Bachs Musik. Im Dialog mit dem stabilen Energiezentrum Mutter hat ihr Spiel etwas Elegisches, Zerbrechliches, als würde ihre ätherisch durchscheinende Jugendlichkeit das Bild zur Musik sein. Das abschließende Allegro gestalten Noa Wildschut und Anne-Sophie Mutter in einem weiblichen, sich aufmunternd zulächelnden Einverständnis. Temperamentvoll antworten die Violinen wechselweise mit kanonischen Energieschüben.
Begonnen hatte das Programm mit dem Nonett für zwei Streichquartette und Kontrabass von André Previn, das Anne-Sophie Mutter gewidmet ist. Uraufgeführt 2015 im Rahmen des Edinburgh International Festivals, überzeugt es in Essen mit orchestraler Klangopulenz. Kontrastreich zwischen Fortefortissimo und Pianissimo piano wechselnd, durchsetzt von Pizzicati-Passagen der Streicher, dialogischen Basslinien sowie Duetten zwischen Solo-Geige und Cello, schafft die Previn-Komposition assoziationsreiche Klangbilder. Von dezidiert gesetzten Generalpausen gerahmt, raunt das Orchester metaphorisch dunkle Wolken herbei. Mit einer Solo-Kadenz setzt Mutter den Schlusspunkt unter eine überzeugende Komposition.
Von Antonio Vivaldis 12 Violinkonzerten Il cimento dell’armonia e dell’inventione op. 8, zwischen 1700 und 1721 entstanden, sind die ersten vier die berühmtesten: Die vier Jahreszeiten – Konzert für Violine, Streicher und Basso continuo. In der 40jährigen Bühnenpräsenz von Anne-Sophie Mutter hat dieses Konzert eine Initialfunktion. Das Bild von Herbert von Karajan mit der kleinen Anne-Sophie auf der Bühne ist inzwischen Teil des kulturellen Gedächtnisses von mehreren Generationen. Wie weit sie sich vom Karajanschen Großorchesterklang entfernt hat, ist in der kammermusikalische Besetzung und Artikulation von Mutter’s Virtuosi an diesem Abend hörbar – und sichtbar. Mit ihr steht eine gereifte Künstlerin als prima inter pares auf der Bühne, um die sich ihre Schülerinnen und Schüler, ihre musikalischen Kinder zu einem eindrucksvollen Musizieren versammeln. Das Blau ihres Kleides und das Dunkelblau der Decke in der Philharmonie korrespondieren als Klammer zwischen ihr und dem Publikum. Ihre gestaltende Rolle ist, farblich konnotiert, eindeutig, so wie das Kostümschwarz ihrer Virtuosi die musikalische Gemeinschaft symbolisiert. Zu hören ist eine nuancenreiche Klangfarbigkeit.
Die von Vivaldi in die Partitur geschriebenen Sonette unbekannter Herkunft machen Die vier Jahreszeiten zu einer Programmmusik, deren Stimmungsbilder jeder Zuhörer für sich ausmalen kann. Man spürt unmittelbar, mit welchem Esprit Mutter Vivaldis Jahreszeiten kammermusikalisch einerseits explodieren lässt, um im nächsten Moment mit einem gedehnten Pianissimo unerhörte Hör-Räume zu schaffen. Von Vogelgezwitscher, durchbrochen von Sommergewittern, bis zum Schlummerlied eines Hirten, beendet durch Hundegebell, bis zum Finale, das mit Allegro. Danza pastorale bezeichnet ist, bringen Mutter’s Virtuosi die Musik prachtvoll zum Klingen.
Weder die zerfetzte Schleppe noch das atemlos staunenden Nachhören des letzten Jahreszeiten-Tons sind dem Publikum Grund genug, Anne-Sophie Mutter und das Kammerorchester ohne Zugaben zu entlassen. Am Ende sind es drei. Mit dem Air aus Bachs 3. Orchestersuite verabschieden sie sich von einem begeisterten Publikum.
Peter E. Rytz 17.04.2016
Fotos (c) Philharmonie Essen / Alfonso Salgueiro