Besuchtes Konzert in der Alten Oper Frankfurt am 25. Oktober 2020
Anton Bruckner
Sinfonie Nr. 4 Es-Dur (Fassung von 1878/80)
Musikalisches Hochamt
Coronabedingt musste das Orchestre Philharmonique de Radio France sein Gastspiel in der Alten Oper Frankfurt absagen. Die Alte Oper Frankfurt bot als Veranstalter mehr als nur eine Alternative. Denn mit den Bamberger Symphonikern und deren Chef-Dirigenten Jakub Hrůša agierten herausragende Künstler, die bereits im Januar mit einer unvergesslichen Wiedergabe von Gustav Mahlers vierter Sinfonie beglückten.
Und dazu gab es…., kaum zu glauben, in Zeiten von Corona, eine große Orchesterbesetzung auf dem Podium, bei leicht reduzierter Streicherbesetzung. Beste Voraussetzungen also für ein besonderes Konzerterlebnis!
Anton Bruckner bezeichnete seine vierte Sinfonie als „Romantische“. Seine Versuche, den Satzbezeichnungen einen sinngebenden Kontext der Programmmusik zu geben, wurden jedoch wieder von ihm zurückgezogen. Dennoch ist die Naturromantik in seiner Sinfonie gut zu erahnen. Bruckner war sehr beeindruckt von der Waldlandschaft in Österreich. Gerade in den beiden Mittelsätzen lässt sich seine Faszination gut nachvollziehen.
Quälend lang muss der Schaffensprozess für den unsicheren Komponisten gewesen sein. Allein vier Fassungen komponierte er, die zwischen 1874 und 1888 entstanden. Robert Haas destillierte daraus eine Version im Jahr 1936, die am häufigsten aufgeführt wird, so auch bei diesem Konzert.
Prägendes Instrument dieser Sinfonie ist das Horn, Sinnbild für Jagd-Klänge, Naturstimmungen und Romantik. Ob im einleitenden geheimnisvollen Hornruf oder im wilden Scherzo des dritten Satzes, die Hörner sind außerordentlich gefordert und müssen zudem in der beschließenden Coda des Finales alle Kräfte mobilisieren.
Anton Bruckner gehört zum Kernrepertoire der Bamberger Symphoniker. Mitgrößter Ruhe und Klangschönheit breitete das bayerische Eliteorchester einen unendlichen Klangkosmos aus. Bereits der einleitende Es-Dur-Akkord wurde von Jakub Hrůša l äußerst leise und damit spannend eröffnet. Im kaum vernehmbaren Misterioso der tremolierenden Streicher intonierte dann das Solo-Horn klar seinen Ruf aus, der mehrfach wiederholt wurde. Warm und prächtig ausbalanciert erklang der Choral in der Durchführung und majestätisch gesteigert dann die Coda am Ende des Satzes.
Der zweite Satz, hier einmal nicht ein „Adagio“, sondern ein „Andante quasi allegretto“, erinnert in seiner dunklen Tönung zuweilen an späte Sinfonien von Franz Schubert, dessen „Unvollendete“ lässt grüßen. Hier nahmen die wohltönenden Celli der Bamberger Symphoniker sehr für sich ein, sekundiert von den exakten Pizzicato-Figuren der übrigen Streicher, abermals gesteigert durch die majestätischen Choräle der Blechbläser.
Auf, auf zur Jagd! Dies kommt einem leicht in den Sinn, wenn das mitreißende Scherzo erklingt. Hier hatten die Blechbläser der Bamberger Symphoniker ihre besonders beeindruckenden Momente. Hörner, Trompeten, Posaunen und Tuba ergötzen sich in unendlichen Triolen und faszinierenden Trugschlüssen. Die Bläser des Orchesters zeigten ihre große Klasse: schlank, kompakt, auftrumpfend im Klang, aber niemals lärmend. Wunderbar!
Für kurze Entspannung sorgt dann der Ländler im Trio, welcher vor allem von dem feinen Spiel der Holzbläser bestimmt war. Selten sind die Holzbläser so klar und deutlich als Vogelstimmen zu vernehmen, wie es die Bamberger Symphoniker an diesem Abend vermochten.
Im vierten Satz sorgte der äußerst engagierte Dirigent Jakub Hrůša wieder für besondere Spannung. Permanente Streicherbewegungen in der langen Einleitung gipfelten in einem machtvollen Unisono des Orchesters. Und doch wurde in diesem Höhepunkt von Jakub Hrůša dynamisch noch nicht alles ausgegeben. Es war die gewaltige Schluss-Coda, in welchem das Hornsignal des Anfangs wieder ertönte, die mit großem Atem eine mächtige alles beschließende symphonische Kulmination dem Zuhörer darbot. Damit war alles gesagt. Was für ein Abschluss!
Die Bamberger Symphoniker agierten mit größter spielerischer Kompetenz und hoher Homogenität. Das gemeinsame Musizieren wurde bewegend eindrucksvoll demonstriert. Das Orchester hörte deutlich aufeinander und bescherte einen unwiderstehlich warmen, reichen Klang. Die dynamische Bandbreite aller Spielgruppen war ungemein groß. Die Farbunterschiede in den Forte-Ballungen waren bestens ausbalanciert, einmal warm, golden und zuweilen auch schneidend scharf.
Es ist ein Glück für dieses Orchester, mit Jakub Hrůša einen musikalischen Leiter an der Spitze zu wissen, mit dem sich eine so glückliche Symbiose ergibt. Von dieser Harmonie ausgehend, sind außerordentliche musikalische Erlebnisse erfahrbar. So geschehen an diesem Abend. Bruckner, die Bamberger Symphoniker und Jakub Hrůša, eine perfekte Kombination! Ein musikalisches Hochamt, über das Meister Bruckner sehr erfreut gewesen wäre!
Das Publikum zeigte sich ergriffen, dankbar und feierte alle Beteiligten.
Dirk Schauß, 26. Oktober 2020
Bilder (c) Tibor Florestan Pluto