Aufführung am 16. Februar 2020
Nemanja Radulović (Violine), Evgeny Svetlanov (Leitung)
Anatol Ljadow
Der verzauberte See op. 62
Piotr Iljitsch
Tschaikowsky Konzert für Violine und Orchester D-Dur op. 35
Anatol Ljadow
Kikimora op. 63
Igor Strawinsky
„L’Oiseau de feu“ (Der Feuervogel), Ballett-Suite für Orchester (1945)
Ein kontrastreiches Programm russischer Musik präsentierte das aktuelle Konzert der Pro Arte Konzertdirektion in der Frankfurter Alten Oper.
Im Mittelpunkt stand hierbei vor allem Musik der Märchen- und Sagenwelt. Besonders erfreulich war die Begegnung mit der Musik von Anatol Ljadow, Schüler von Nikolai Rimsky-Korsakoff, der sich einerseits dem musikalischen Impressionismus verschrieben hatte. Andererseits liebte er es, Naturschilderungen und Märchengestalten musikalisch zu portraitieren. Am Beginn stand seine Tondichtung „der verzauberte See“, ein Sinnbild der reinen, unberührten Natur, fern von der Begegnung der Menschen.
Das 1909 entstandene Werk zählt zu den bekanntesten Tondichtungen Ljadovs. Selten gelingt es einem Komponisten, in wenigen Sekunden ein klares Bild seiner imaginativen Vorstellung zu vermitteln. Ljadov verstand dies meisterhaft und so kann sich der Zuhörer an der bestechenden illustrativen Klarheit seiner Tonsprache leicht orientieren.
Mit schwebenden Streicherklängen, die durch die auf- und absteigenden Tonlagen geführt werden, entsteht ein fortwährendes Bild leicht wogender Wellenbewegung in glitzernd funkelnden Farben. Zauberhaft. Und doch zeigen die fortwährenden pulsierenden Schläge auf die große Trommel, dass dieses Naturbild doch nicht so heil erscheint…..
Mit dieser Preziose gelang es dem Staatlichen Sinfonieorchester Russland, seine besondere Spielqualität an allen Pulten zu demonstrieren. Das berühmte Orchester wurde maßgeblich von dem herausragenden Dirigenten und Komponisten Evgeny Svetlanov geprägt. Von keinem russischen Orchester gibt es derart viele Aufnahmen. In den letzten Jahren ist Vladimir Jurowsky der Chef dieses Klangkörpers.
Beim Konzert in der Alten Oper zeigte Gast-Dirigent Andrey Boreyko einen äußerst sensiblen Zugang zur Klangmalerei Ljadows. Er lies die Musik atmen und kümmerte sich genau um kleinste Details in der Farbgebung. Dazu ließ er die Streicher in feinsten Pianofärbungen bestechend sauber musizieren. Selten gelingt diese so besondere Komposition derart schlüssig. Ein hinreißender Beginn für einen besonders ereignisreichen Abend!
Mit dem Violinkonzert von Pjotr I. Tschaikowsky, entstanden 1878, erlebte das Publikum das bekannteste Werk seiner Gattung in der russischen Musik. Erkennbar ist der wieder gewonnene Optimismus des Komponisten, der sich in jener Zeit in einer tiefen Phase der Depression steckte und im Rahmen eines erfolgreichen Kuraufenthaltes wieder zu neuer Schaffenskraft fand.
Die Anforderungen für den Solisten sind außergewöhnlich und so ist es eines der schwersten Violinkonzerte. Leise Melancholie und warme Kantabilität stehen dynamischen Orchesterausbrüchen gegenüber, gesteigert in einem mitreißend virtuos komponierten Schlusssatz. Und doch ist es vor allem die poesievolle Canzonetta, die dieses Werk so unwiderstehlich macht. Hier treffen Sehnsucht und Melancholie in diesem einzigartigen zweiten Satz aufeinander.
Im Mittelpunkt des Interesses stand der Solist des Abends: der Geiger Nemanja Radulović. Der vielfach ausgezeichnete Musiker hat bereits international stark auf sich aufmerksam gemacht. Radulović ist ein ganz besonderer Interpret, der sich zu keinem Zeitpunkt als Solist inszenierte. Selten gibt es eine derart offensive Interaktion zwischen Solist und Orchester zu erleben. Radulović suchte permanent den Kontakt zu Orchester und Dirigent. Fortwährend musizierte er in das Orchester hinein. Heraus kam dabei eine Sternstunde in der Interpretation dieses herrlichen Konzertes!
Nemanja Radulović hatte keinerlei technische Schwierigkeiten und spielte dieses so schwere Werk mit atemberaubender Lässigkeit. Wie leicht gelangen ihm die vielen Doppelgriffe und die hoch virtuos dargebotenen Läufe. Aber das Virtuosentum stand bei ihm nicht zentral im Vordergrund. Ungewöhnliche Rubati bekundeten immer wieder sein besonderes Interesse daran, die Musik auszubremsen, inne zu halten und musikalisch über den Verlauf zu reflektieren. Somit war es kein Wunder, dass er die Kadenz des ersten Satzes in Teilen sehr langsam musizierte, so als wolle er die Musik befragen. Dadurch gelangen ihm außergewöhnliche Momente, die besondere Spannung erzeugten und sehr berührten.
Seine Phrasierung war stets kantabel und erkennbar in die musikalische Struktur hinein hörend. Mit unendlicher Ruhe und weitem Atem verzauberte er mit einem innig dargebotenen zweiten Satz.
Überwältigend schnell sein rasantes Tempo im beschließenden Allegro vivacissimo. Es war ein Glück, einem solchen Ausnahmekünstler zu begegnen, der mit seiner überbordenden Energie Orchester und Publikum überreich beschenkte.
Dirigent Andrey Boreyko war an seiner Seite ein perfekte Partner. Mit klarer Geste gab er dem Solisten alle Freiräume. Dazu sorgte er aber auch dafür, dass die Qualitäten des Orchesters jederzeit hörbar wurden. Schneidige Trompeten im Hauptthema im ersten Satz gefielen sehr, ebenso die warm abgetönten Holzbläser, wie z.B. die weich abgetönte Klarinette im zweiten Satz. Große Klangpracht entfalteten die kultivierten Streicher. Ein sensibler Dialog, ein echtes Miteinander wurde zwischen Solisten und mit dem flexibel agierenden Orchester sehr gut realisiert.
Das Publikum zeigte völlig zurecht rasende Begeisterung und konnte sich kaum beruhigen! Radulović dankte seinerseits mit einer sehr gefassten, persönlichen "Sarabande" aus Johann Sebastian Bachs Solosuite Nr. 2 d-Moll, BWV 1008.
Nach der Pause gab es abermals eine Komposition von Anatol Ljadow zu bestaunen. Seine 1905 entstandene Tondichtung „Kikimora“ beschreibt einen Poltergeist, der Menschen durch Geräusche und Lärm in den Wahnsinn treibt.
Die ungemein illustrative Musik mit einleitenden dräuenden Bässen wurde von Andrey Boreyko und dem Staatlichen Sinfonieorchester Russland sehr gut getroffen. Der Spannungsaufbau geriet mustergültig. Kecke, spitz tönende Holzbläser und ein flottes Allegro öffneten dann dem Erscheinen „Kikimora“ eindrucksvoll die Türe. Furios zugespitzt in Tempo und Dynamik begeisterten die Künstler mit großer Klangpracht.
Anatols Ljadows Faulheit stand im oft im Wege. Besonders prominentes Beispiel war der an ihn formulierte Auftrag, die Musik zu einem neuen Ballett „Der Feuervogel“ zu komponieren. Da Ljadow zu lange zögerte, entschied sich der berühmte Direktor des Russischen Balletts, Sergej Diaghilev, für Igor Stravinsky.
Und Igor Stravinsky schrieb mit dieser Musik sicherlich sein populärstes Werk, das 1910 in Paris uraufgeführt wurde. Der Komponist schrieb sodann noch drei Orchestersuiten. Die letzte große Orchestersuite stammt aus dem Jahr 1945. Andrey Boreyko entschied sich für diese finale Suite.
Und nun konnte das Staatliche Sinfonieorchester Russland seine ganze Meisterschaft und vor allem die hörbar intensive Erfahrung mit dieser Musik bestens ausspielen. In dieser Komposition gibt es zahlreiche Soli, z.B. in der Flöte, die den Feuervogel versinnbildlicht oder im Solo-Horn, das dass Werk mit einer herrlich friedvollen Melodie in eine grandiose Apotheose führt.
Sowohl die solistischen Leistungen im Orchester, als auch die einzelnen Orchestergruppen, boten superbe Leistungen. Mit unaufhörlicher Energie und auch großer Sensibilität bediente das Orchester alle Farben dieser Komposition. Auch hier überzeugte Dirigent Andrey Boreyko mit klarer Zeichengebung und viel Energie am Pult mit einer schlüssigen Interpretation. Klar arbeitete er die Lyrismen der Partitur heraus. Überwältigend die Wucht und der Klangreichtum im Höllentanz. Danach dann noch ein Höhepunkt mit einem tief bewegenden Wiegenlied, dass mit dem sehr weich intonierenden Solo-Horn in die grandiose Schlusshymne mündete. Was dieses Orchester hier noch einmal an überragender Klangkultur und perfektem Zusammenspiel bot, das zeigte, warum es vermutlich der beste Klangkörper seines Landes sein dürfte.
Das Publikum zeigte auch hier starke Begeisterung. Als Zugabe gab es dann noch eine schneidige Version des Trepaks aus dem Ballett „Der Nussknacker“ von P. Tschaikowsky.
Wahrlich eine Sternstunde in der Alten Oper Frankfurt!
Dirk Schauß, 17. Februar 2020
Bilder (c) Radulovic Awiszus