Alte Oper Frankfurt, 27. März 2019
Rudolf Buchbinder (Klavier)
Pjotr I. Tschaikovsky
Klavierkonzert No. 1 b-moll
Dmitri Schostakowitsch
Symphonie No. 5 d-moll
Tschaikowsky‘s beliebtes Klavierkonzert No. 1, welches 1875 in Boston uraufgeführt wurde, erlebte durch den Komponisten mehrere Überarbeitungen. Insgesamt gibt es drei Fassungen nebst einer Fassung für zwei Klaviere. Die dritte Fassung aus dem Jahr 1888 wird am häufigsten aufgeführt. Der Komponist war tief getroffen über das vernichtende Urteil von Nikolai Rubinstein, Freund und Mentor, dem das Klavierkonzert gewidmet war. Wie unterschiedlich Meinungen sein können, nun, das erlebte Tschaikowsky dann als er sein Werk, ohne einen Ton zu ändern, dem Dirigenten Hans von Bülow zur Begutachtung schickte, der restlos davon begeistert war.
Solist des Konzertabends in der Alten Oper Frankfurt war der große Rudolf Buchbinder, eine eher ungewöhnliche Wahl. Denn Buchbinder hat sich vor allem als herausragender Interpret der Werke von Beethoven, Brahms und Mozart in den Olymp der großen Pianisten gespielt. Spannend ihn nun also mit Tschaikowsky‘s Meisterwerk zu erleben.
Bereits im Kopfsatz zeigte der Pianist sein überragendes Können. Energisch mit beherzten Akzenten ertönten die berühmten Anfangsakkorde, die Musikgeschichte schrieben. Virtuos, filigran zugleich spielte Buchbinder die vielen Triolen, betonte die Themengruppen deutlich und agierte mit Überlegenheit in der abschließenden Kadenz. Das anschließende Andantino semplice spielte Buchbinder mit großer Verinnerlichung und betonte vor allem die Kantabilität des lyrischen Themas. Spektakulär dann seine zupackende Virtuosität im beschließenden dritten Satz. Hier zeigte Buchbinder seine ganze Klasse, wie er die vielen Akkordsprünge und Läufe souverän spielte. Am Ende zeigte Buchbinder eine Brillianz, die überwältigte. Dabei war sein spielerischer Ansatz immer weich und tief, innig in die Musik lauschend. Es war anrührend zu erleben, wie dieser große Meister an den Tasten jeden Takt genoss, den er zu spielen hatte. Ebenso bewegend, wie er permanent den Dialog zum Orchester suchte.
Bester Begleiter an seiner Seite war Dirigent Valery Gergiev, der mit große Ruhe und Umsicht, Buchbinder einen roten Teppich ausbreitete, auf welchem der Virtuose sich mit größter möglicher Freiheit bewegen konnte. Die gut aufgelegten Münchner Philharmoniker waren gleich berechtigter Partner. Strahlend, sicher ertönten die Hörner am Beginn, üppig, ozeanisch flutend die Streicher und warm im Tonfall die Bläser. Mit großer Innigkeit gefiel die Soloflöte im zweiten Satz, sekundiert von gewichtigen Pizzicati der Streicher.
Ein musikalisches Gipfeltreffen, ein herausragender Beginn eines besonderen Konzertabends.
Im zweiten Teil trumpften die Münchner Philharmoniker dann besonders groß auf. Valery Gergiev wählte aus seinem Kernrepertoire die populärste Symphonie von Dmitri Schostakowitsch, seine Fünfte, uraufgeführt im Jahr 1937. Mit dieser Symphonie gelang es dem Komponisten sich zu rehabilitieren, nachdem er kurz zuvor bei Stalin in Ungnade fiel und damit sein Leben in Gefahr war. Grund war Stalins Ärger über die Oper „Lady Macbeth von Mzensk“, die der Komponist wenige Jahr zuvor geschrieben hatte. Die eingängige Symphonie wurde von Stalin und seinen Parteigenossen begeistert aufgenommen und für deren propagandistische Zwecke missbraucht. Der Jubel am Ende der Symphonie ist alles andere als ein Triumph, sondern ein mit Schlägen provozierter willkürlicher Akt. Hier, wie auch an anderen Stellen gibt es zahlreiche Subtextstellen, die den Interpreten besonders fordern.
Sehr ruppig begann der erste Satz in den Streichern, die dann seidig im klagenden Hauptthema ertönten. Mit dem drastisch einsetzenden Klavier begann mit dem anschließenden Marschmotiv eine Tour de force, die vor allem dem vorzüglichen Blech und dem akzentuiert agierenden Schlagzeug viel Gelegenheit zur Entfaltung bot. Mit großer Ruhe endete der Satz mit herrlichen Soli von Horn, Flöte und Solovioline. Fabelhaft der schlank, perfekt intonierte Tonfall des Solo-Hornisten.
Im zweiten Satz agierte Gergiev als Interpret einer Groteske, die den zynischen Witz im Mittelpunkt sah. Da brummelte köstlich das Kontrafagott wie ein Parteibonze, während die Solovioline dazu spitz kommentierte. Gerade hier fiel einmal mehr der z.T. sehr harte Bogenstrich der Streichergruppe auf, die sehr wuchtig mit außergewöhnlich viel Gewicht phrasierten.
Tief in die Seele grub sich das intensiv ausmusizierte Adagio, in welchem die Streicher in schier endlos wachsender Intensität tief berührten. Brutal, d.h. ohne Pause dann der nahtlose Übergang in den lärmenden Beginn des finalen Satzes.
Welch ein Kontrast mit furios donnernder Pauke und spektakulär jagenden Bläsern! Am Ende ein eher bewusst lärmender Jubel, der so gar nichts Schönes hatte, was völlig in der Absicht des Komponisten lag.
Valery Gergiev wirkte an diesem Abend sehr inspiriert, hellwach und dabei ungewöhnlich klar in seiner Zeichengebung. Ganz gegen seine Gewohnheit dirigierte er auswendig mit Taktstock. Das Orchester war in allen Gruppen in Top-Form und Valery Gergiev unterstrich nachdrücklich, warum er zu den besten Interpreten dieser Musik gehört. Eine großartige, absolut erinnerungswürdige Interpretation.
Große Begeisterung in der ausverkauften Alten Oper.
Dirk Schauss 28.3.2019
Bilder Alte Oper / Achim Reissner