Die neueste Aufnahme von Robert Schumanns vierter Sinfonie durch das Bucharest Symphony Orchestra unter der Leitung von John Axelrod bietet einen faszinierenden Einblick in die musikalische Entwicklung dieses bedeutenden romantischen Komponisten. Die Aufnahme des Labels Orchid Classics präsentiert nicht nur die bekannte Spätfassung von 1851, sondern stellt sie auch der weniger bekannten Frühfassung von 1841 gegenüber und Schumanns ursprüngliche künstlerische Vision widerspiegelt. Schumanns letzte Sinfonie ist ein bemerkenswertes Werk in seinem Repertoire. Die ursprüngliche Fassung aus dem Jahr 1841 und die überarbeitete Version von 1851 erzählen zwei verschiedene Geschichten. In der Erstfassung, die fast 50 Jahre lang in den Schatten gestellt wurde, offenbart Schumann eine wildere, impulsivere Seite seines Schaffens. Hier scheint der Komponist, den er selbst als „Florestan den Wilden“ bezeichnete, tiefer in seine kreative Seele einzutauchen und die musikalische Energie ungebremst fließen zu lassen.
John Axelrod, der seit 2022 Chefdirigent des Bucharest Symphony Orchestra ist, hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Kontraste und Unfertigkeiten in der Erstfassung hervorzuheben. Dies spiegelt möglicherweise am ehesten die turbulente geistige Verfassung Schumanns während dieser Zeit wider. Die Musik in dieser Version ist leidenschaftlich, stürmisch und voller impulsiver Wendungen. Axelrod führt das Orchester geschickt durch die unruhigen Gewässer dieser Frühfassung und vermittelt dem Hörer ein Gefühl von Schumanns innerem Kampf und seiner Leidenschaft. Gelungen sind die geschärften Akzente und manche Widerspenstigkeit im Kompositionsverlauf, die von Axelrod und seinem aufmerksamen Orchester gut getroffen werden.
In der überarbeiteten Version von 1851 zeigt sich Schumann in größeren musikalischen Bögen und kantablen Phrasierungen. Diese Fassung wird oft als die reife, ausgereifte Version angesehen, in der Schumann, oder „Eusebius der Milde“, seine emotionalen Ecken und Kanten geglättet hat.
John Axelrod und das Bucharest Symphony Orchestra gestalten diese Fassung mit einer profunden, ausdrucksstarken Interpretation, die die melodische Schönheit und die tieferen Gefühle der Musik zum Vorschein bringt. Besonders hervorzuheben sind die Holzbläser des Orchesters, die in beiden Fassungen durch ihre Farbigkeit und Präzision glänzen. Sie tragen maßgeblich zur emotionalen Tiefe dieser Aufnahme bei und verleihen der Musik von Schumann eine besondere Note. Auffallend ist auch die deutlich genutzte Pauke in ihren prägnanten Impulsen und geschärften Akzenten. Die Entscheidung, beide Fassungen auf einer CD gegenüberzustellen, ermöglicht es dem Hörer, die künstlerische Entwicklung und die inneren Konflikte von Robert Schumann auf eindrucksvolle Weise zu erleben. Diese Aufnahme ist ein überaus gelungenes Beispiel für musikalische Forschung und Interpretation. Sie lässt den Hörer tief in die Psyche eines der bedeutendsten Romantiker der Musikgeschichte eintauchen und ist ein Muss für Liebhaber von Schumanns Werken. Das Bucharest Symphony Orchestra und John Axelrod haben mit dieser CD eine musikalische Schatztruhe geöffnet, die es verdient, erkundet und genossen zu werden.
Dirk Schauß, 24. September 2023
Robert Schumann
Sinfonie Nr. 4 d-moll, Op. 120 (in den Fassungen von 1841 und 1851)
Bucharest Symphony Orchestra
John Axelrod, Leitung
Orchid Classics, 100257