Das Konzert in der Alten Oper Frankfurt am 12. November versprach im Vorfeld bereits ein musikalisches Highlight zu werden, und diese Erwartungen wurden wahrlich nicht enttäuscht. Joshua Bell, der Ausnahmegeiger, entfaltete auf der Bühne sein virtuoses Können und verzauberte das Publikum mit seinem sensationellen Geigenspiel im Tschaikowskys Violinkonzert. Dieses Stück gilt in musikwissenschaftlicher Hinsicht als Meisterwerk des romantischen Repertoires, geprägt durch lyrische Melodik und anspruchsvolle technische Anforderungen. Im ersten Satz entführte Bell das Publikum mit leidenschaftlichen Bögen und dynamischen Variationen in die Welt des Komponisten. Seine Phrasierung war meisterhaft, wobei er jeden Ton mit einer klaren Intention formte. Die leidenschaftliche Dynamik seines Spiels schuf eine fesselnde Atmosphäre, von zarten, schwellenden Passagen bis zu kraftvollen Ausbrüchen. Bell schien mit seiner Violine zu kommunizieren, wodurch jeder Ton eine besondere Bedeutung erhielt. In der Kadenz erreichte Bells Spiel eine intensive Tiefe, als würde er in einen inneren Dialog mit dem Werk eintreten. Die technische Brillanz wurde mit einer emotionalen Durchdringung kombiniert, und die Violine schien unter seinen Händen zu sprechen. Die Canzonetta wurde von Bell mit einer beeindruckenden Zartheit interpretiert, wobei er die melancholischen Passagen mit einer tiefen emotionalen Resonanz spielte. Seine Stradivari von 1713 verlieh diesen Momenten eine besonders seidige und betörende Klangqualität. Im dritten Satz offenbarte sich Bells wahre Virtuosität.
Die Violinläufe und technisch anspruchsvollen Passagen wurden mit scheinbarer Leichtigkeit gemeistert. Jeder Ton erhielt die volle Aufmerksamkeit, und Bell formte die Phrasen so, dass sie mit einer erstaunlichen Klarheit und Präzision erklangen. Die Dynamik reichte von leisen, perlenden Läufen bis zu kraftvollen, strahlenden Höhepunkten. Im Finalsatz schraubte sich Bell mit sichtbar höchster Fokussierung in die Höhe. Sein Ausdruck war mitreißend, und man konnte förmlich die Musik jubeln und die Violine tanzen hören. Die Phrasierung war lebendig und nuanciert, wobei Bell jedem Thema den Bogenstrich gab, der die Klänge zum Blühen brachte. Das Publikum reagierte mit ausdauerndem Jubel auf die herausragende Leistung von Joshua Bell. Sein Spiel war nicht nur technisch brillant, sondern auch durchdrungen von einer emotionalen Tiefe, die das Violinkonzert von Tschaikowsky in ein unvergessliches musikalisches Erlebnis verwandelte. Doch nicht nur Joshua Bell, sondern auch das NDR Elbphilharmonie Orchester unter der Leitung von Alan Gilbert verdiente höchstes Lob. Aufmerksam in der Begleitung, gab Gilbert seinem Orchester viel Gelegenheit, mit vollem Klang zu überzeugen. Herrlich ließ er das berühmte Polonaisen-Thema im ersten Satz ausspielen. Immer wieder achtete er penibel darauf, Haupt- und Nebenstimmen seines Orchesters auszubalancieren, was vortrefflich gelang. Selten ist das herrliche Violinkonzert derart oppulent im symphonischen Glanz zu erleben. Das NDR Elbphilharmonie Orchester begeisterte und verwöhnte vor allem mit warmen Holzbläserklang und sonorer Streicherfülle. Als Zugabe spielte Joshua Bell ein Prélude von Dmitri Schostakowitsch gemeinsam mit der charmanten Konzertmeisterin Natalie Chee. Eine berührende Idee, hinreißend vorgetragen.
Gustav Mahlers Sinfonie Nr. 5 ist zweifellos ein Meisterwerk der Spätromantik und ein Höhepunkt seines Schaffens. Der symphonische Ausdruck in dieser Sinfonie ist von einer tiefen emotionalen Intensität geprägt und zeichnet sich durch seine monumentale Struktur und Vielfalt aus. Mahlers Musik verlangt den Musikern und Dirigenten ein Höchstmaß an Können und Hingabe ab, und das NDR Elbphilharmonie Orchester unter der Leitung von Alan Gilbert meisterte diese Herausforderung auf atemberaubende Weise. Die Sinfonie besteht aus fünf Sätzen, von denen jeder eine einzigartige musikalische Welt präsentiert. Das NDR Elbphilharmonie Orchester und Alan Gilbert verliehen jedem Satz der Sinfonie eine eigene Identität und brachten die subtilen Nuancen von Mahlers Musik in voller Pracht zum Ausdruck. Die dynamischen Kontraste, die Verbindung von orchestralem Glanz und intimen Kammermusikmomenten, all dies wurde mit erkennbarer Hingabe und Präzision dargeboten. Besonders die herausragenden Orchestersolisten, darunter die Solo-Trompete und das Solo-Horn, leisteten einen großartigen Beitrag zur beeindruckenden Interpretation dieser Sinfonie. Alan Gilbert ist mit der Musik Gustav Mahlers hörbar gut vertraut. Er ist nicht der Interpret, der die Extreme permanent sucht. Wie ein musikalischer Drebuchautor entwickelt er sehr bewusst und kalkuliert den musikalischen Verlauf. Höhepunkte wirken natürlich gestaltet und in der Tongebung perfekt ausbalanciert. Alan Gilbert und seinem wunderbaren Orchester gelang es, tief in Gustav Mahlers Welt zu dringen. Zu hören war ein ganzer Kosmos von unterschiedlichen Gefühlen. Bleischwere Trauer im Kondukt des ersten Satzes, tatsächlich die geforderte und eher selten zu erlebende Vehemenz und Wildheit im zweiten Satz. Das Scherzo war ein herrliches Kaleidoskop an Farben und Charakterstimmungen mit einem hinreißenden Hornsolo von Claudia Strenkert, die mit ihrer breiten dynamischen Palette und ihrer unermüdlichen Intonationssicherheit faszinierte. Und das Adagietto? Gilbert wählte ein fließendes Tempo und modulierte sehr sicher Tempo, Phrasierung und Rubato. Balsam für die Seele, ohne jeglichen Kitsch. Ganz große Klasse. Das beschließende Rondo geriet fulminant als Ode an das Leben. Und auch hier gelangen dem fabelhaften Orchester herausragende, spektakuläre Momente, wie etwa der Schlusschoral, der von einem perfekt platziertem, wuchtigem Beckenschlag gekrönt wurde. Auch dem Schlagzeug widmete der kluge Alan Gilbert viel Aufmerksamkeit und die ganze Gruppe dankte es ihm mit perfektem Einsatz. An dieser Stelle ist der neu engagierte, junge Schlagzeuger Moisés Santos Bueno für sein überragendes Beckenspiel zu loben. Ihm gelang etwas, was selten ist: jeder Schlag mit seinen Instrumenten hatte die perfekte Wucht und den notwendigen Glanz. Ebenso wusste er die Pianisssimo-Stellen optimal zu dosieren. Sie waren immer klar zu vernehmen und auch hier, in der sehr zurück genommenen Dynamik, entlockte er seinen Instrumenten faszinierende Farben. Das NDR Elbphilharmonie Orchester überzeugte sowohl als Kollektiv als auch in den Solo-Beiträgen. Die Holzbläser charakterisierten exzellent, die Blech-Fraktion brillierte mit edler Sonorität, und die Streichergruppe musizierte herrlich, wobei ihre Klangfülle und Transparenz den Verlauf der Nebenstimmen stets klar hervortreten ließen.
Die Darbietung von Mahlers Sinfonie Nr. 5 war ein unvergesslicher Höhepunkt des Konzerts und zeugte von der hervorragenden Qualität des NDR Elbphilharmonie Orchesters, der famosen Leitung von Alan Gilbert und letztlich der besonders tiefen musikalischen Ausdruckskraft von Mahlers Musik. Das Publikum wurde auf eine emotionale Reise mitgenommen, die die Vielschichtigkeit und Tiefe dieses Meisterwerks eindrucksvoll zur Geltung brachte.
Das Konzert in der Alten Oper Frankfurt am 12. November war ein großes musikalisches Fest, das sowohl durch das sensationelle Geigenspiel von Joshua Bell als auch durch die hervorragende Qualität des NDR Elbphilharmonie Orchesters und die mitreißende Leitung von Alan Gilbert beeindruckte.
Dirk Schauß, 14. November 2023
Alten Oper Frankfurt
12. November 2023
Joshua Bell, Violine
Alan Gilbert, Leitung
NDR Elbphilharmonie Orchester