Frankfurt, Konzert: „Chicago Symphony Orchestra“, Riccardo Muti

Am 18. Januar 2024 erlebte das Publikum in der Alten Oper Frankfurt einen musikalischen Höhepunkt, als das renommierte Chicago Symphony Orchestra unter der Leitung seines scheidenden Chefdirigenten Riccardo Muti auf der Bühne stand. Das Konzert war nicht nur ein außergewöhnliches Erlebnis, sondern markierte auch einen bedeutenden Moment in der Karriere von Riccardo Muti, der nun den Titel „Music Director Emeritus for Life“ trägt. Das Konzert begann mit Anatoli Konstantinowitsch Ljadows „Der verzauberte See“. Anatoli Ljadow, ein russischer Komponist der Spätromantik, komponierte „Der verzauberte See“ im Jahr 1909. Das Stück ist von russischen Märchen und Folklore inspiriert und spiegelt Ljadows Interesse an der Verwendung von Programmmusik wider.

© Todd Rosenberg Photography 2024

Die orchestralen Klänge malen eine malerische Landschaft, in der fantastische Elemente und märchenhafte Geschichten lebendig werden. Ljadow verwendet in diesem Werk oft melodische Wendungen und harmonische Texturen, die charakteristisch für die russische Musiktradition sind. Die Verwendung von Orchesterfarben und die klangliche Vielfalt tragen dazu bei, die märchenhafte Atmosphäre zu verstärken. Ein erster Höhepunkt des Abends folgte mit Igor Strawinskys „Der Feuervogel“, einer Suite für Orchester. Strawinsky, ein Pionier der russischen Avantgarde des 20. Jahrhunderts, schuf mit diesem Werk eine packende Synthese aus orchestraler Brillanz und folkloristischen Einflüssen. Igor Strawinskys „Der Feuervogel“ entstand ursprünglich als Ballettmusik im Jahr 1910 und wurde später zu einer Suite für Orchester umgearbeitet. Das Stück ist ein Schlüsselwerk des frühen 20. Jahrhunderts und zeigt Strawinskys innovative Verwendung von Rhythmen, Harmonien und Orchesterfarben. Der Komponist integriert russische Volksmelodien geschickt in das Werk, während er gleichzeitig moderne harmonische und rhythmische Elemente einfließen lässt. Die Suite präsentiert die faszinierende Geschichte des Feuervogels und demonstriert Strawinskys kühne Experimente mit Klang und Form. Nach dieser mitreißenden Vorstellung erreichte das Konzert seinen emotionalen Höhepunkt mit Johannes Brahms‘ Sinfonie Nr. 2 in D-Dur, Op. 73. Brahms‘ zweite Sinfonie ist bekannt für ihre sonnige Ausstrahlung und ihren pastoralen Charakter. Das Werk entstand zwischen 1877 und 1878, es repräsentiert den Höhepunkt der romantischen Sinfonik. Die Sinfonie ist von einer ländlichen und idyllischen Atmosphäre geprägt, was sie von Brahms‘ üblicher ernsteren Tonsprache unterscheidet. Die melodische Schönheit, die kontrapunktische Meisterschaft und die geschickte Verwendung von Themenvariationen machen diese Sinfonie zu einem Meisterwerk der romantischen Tradition. Das Werk endet in einem lebhaften Finale, das einen optimistischen und triumphalen Abschluss bietet. Die meisterhafte Leitung des Altmeisters Riccardo Muti war zweifellos das Herzstück dieses unvergesslichen Konzertabends. Muti, der nicht nur als herausragender Dirigent, sondern auch ein charismatischer Musiker von Weltrang ist, führte das Chicago Symphony Orchestra mit unvergleichlicher Hingabe und Präzision durch die musikalischen Landschaften der drei Werke. Riccardo Muti zeigte einmal mehr, warum er zu den besten Dirigenten der Welt zählt. Seine tiefe Verbundenheit mit dem Chicago Symphony Orchestra war in jeder Geste, in jedem Schlag seines Taktstocks spürbar. Wie ein orchestraler Imperator betrat er das Podium und führte sein Orchester mit fester Hand und starker Haltung, die immer noch an einen Matador erinnert. Unter seiner Leitung verschmolzen die einzelnen Instrumentalstimmen zu einem homogenen und klanglich reichen Gesamterlebnis.

© Todd Rosenberg Photography 2024

Besonders beeindruckend war Mutis Fähigkeit, die emotionale Tiefe und die subtilen Nuancen der Werke herauszuarbeiten. Im Märchenbild von Ljadow brachte er die märchenhafte Stimmung zum Leuchten, indem er die orchestrale Palette von zarten Klängen bis hin zu kraftvollen Höhepunkten gestaltete. Die gebannten Zuhörer konnten endlos staunen, wie brillant dieses Orchester spielte und wie breit das Klangspektrum eines Pianissimos sein kann. Bei Strawinskys „Der Feuervogel“ führte Muti das Orchester durch die komplexen Rhythmen und Farben, wobei er die dramatischen Momente mit leidenschaftlicher Energie betonte. Die Struktur der Partitur wurde von Muti perfekt ausgeleuchtet. Die innigen Momente strahlten eine erhabene Ruhe aus, während der „Höllentanz“ infernalisch wirkte. Wie aus dem Universum tönend erklang dann das berühmte Hornsolo, um das hymnische Finale einzuleiten, das Muti zur überwältigenden Apotheose steigerte. Jubel! In Brahms‘ Sinfonie Nr. 2 schuf Muti mit dem Chicago Symphony Orchestra eine Interpretation, die die sonnige Ausstrahlung und die pastoralen Elemente des Werks perfekt einfing. Die Tempi waren etwas langsamer als gewohnt. Kein Zweifel, hier erklang ein monumentaler Brahms in staunenswerter Transparenz. Die fließenden Übergänge zwischen den Sätzen und die sorgfältig ausgearbeiteten dynamischen Abstufungen zeugen von Mutis tiefem Verständnis für die musikalische Struktur und seine Fähigkeit, die emotionale Spannung aufrechtzuerhalten. Sein sensibles Zusammenspiel mit den Musikern ermöglichte es, die individuellen Stärken jedes Instrumentalisten hervortreten zu lassen, was zu einer beeindruckenden Ensembleleistung führte. Die Solisten des Abends und insbesondere die legendären Blechbläser des Chicago Symphony Orchestra verdienen besondere Erwähnung. Ihre herausragende technische Beherrschung und klangliche Brillanz trugen maßgeblich zum Gesamterlebnis bei. Mutis Fähigkeit, die musikalische Vision jedes Komponisten zum Leben zu erwecken, ist unübertroffen. Das Publikum war hingerissen, klatschte rhythmisch, dann stehend und dann sprach ein heiterer, gelöst wirkender Riccardo Muti ins Auditorium. Er versicherte sich, dass er gut zu hören ist und kündigte als Zugabe das berührende „Intermezzo Sinfonico“ an aus „Manon Lescaut“ von Giacomo Puccini. Sinfonische Wonnen auf höchstem Niveau vorgetragen. Ein wunderbarer Abend! Das erste Gastspiel des Chicago Symphony Orchestra in der Alten Oper Frankfurt war somit ein unvergessliches Erlebnis. Das Weltklasseorchester und sein superber Dirigent hinterließen einen bleibenden Eindruck und bewiesen einmal mehr, warum sie zu den besten der Welt gehören.

Dirk Schauß, 20. Januar 2024


Alte Oper Frankfurt

Chicago Symphony Orchestra
Riccardo Muti, Leitung