Bonn: „Flight“, Jonathan Dove

Die Oper der Gegenwart muss weder verkopft noch atonal sein, nein, sie darf sogar richtig viel Spaß machen. Jonathan Doves Oper „Flight“, die nach einigen anderen deutschen Häusern nun auch die Oper Bonn für sich entdeckt hat, ist ein flammendes Plädoyer für das Genre und der Jubel des Publikums im nahezu ausverkauften Opernhaus ein nicht minder eindrückliches Zeichen für die große Qualität des Abends.

Die Geschichte der Oper ist schnell erzählt: Ausgangspunkt ist die Geschichte von Mehran Karimi Nasseri, der rund 18 Jahre im Transitbereich des Pariser Flughafen „Charles de Gaulle“ lebte. Auch in Doves Oper lebt ein Flüchtling im Transitbereich und wird zum Erzähler, zum Moderator, zum Dreh- und Angelpunkt für einige Paare, die alle am Flughafen sind, um in eine neue Episode ihres Lebens zu starten. Ein Paar, das seine eingerostete Liebe im Urlaub wieder auf Vordermann bringen will, die hochschwangere Diplomatengattin, die ältere Dame, die ihrem deutlich jüngeren Lover entgegenfliegen will, garniert mit Flughafenpersonal, das seine ganz eigenen amourösen Wege geht. All diese Menschen stranden während eines Unwetters im Transitbereich und erleben, wie ihre Pläne durch höhere Gewalt ordentlich durcheinander gerüttelt werden, aber eben nicht nur die Reisepläne, sondern diese Unterbrechung wird gleichsam zum Innehalten, zur Reflexion und zur Verdichtung menschlicher Zustände, Sehnsüchte und Wünsche. Dabei wird dies jedoch in charmanten, unterhaltsamen Episoden verarbeitet, die dem Werk eine ungeheure Leichtigkeit geben, obwohl es um ganz elementare Dinge geht.

(c) Sanda Then

Dove komponiert hierzu eine Musik, die den Bereich der Tonalität fast nie verlässt und mit permanentem flottem Puls die Handlung nach vorne peitscht, immer wieder in der Minimal Music ihre Wurzeln findet, manchmal ein bisschen Debussy, ein bisschen Britten erinnern lässt und ihre ganz großen Momente findet, wenn der Komponist die Zuckerwatte-Maschine anwirft und in großen Bögen einen satten Hollywood-Sound aus dem Graben strömen lässt. Alles in allem gelingt so ein ausgesprochen kurzweiliges Werk, dass in Bonn von einem phänomenalen Ensemble voller Witz und Spielfreude getragen wird.

Dass dies so wunderbar gelingt, ist nicht zuletzt der feinfühligen und schlüssigen Regie von Adriana Altaras zu verdanken. Mit großer Menschlichkeit zeichnet sie die Figuren, verwehrt sich dem Chargenhaften und kitzelt zur großen Freude des Publikums auch den Humor des Werkes hervor. Auf der Bühne sind Personen, die dem Zuschauer nahe sind, die nicht aus einem abgehobenen Opernhimmel herabsingen, sondern die so gegenwärtig und nahbar sind wie der Sitznachbar im Auditorium. Altaras lässt es sich hierbei aber nicht nehmen – und dies gelingt dank stimmungsgebenden Videos von Rasmus Rienecker ganz wunderbar – auch immer wieder kurze Sequenzen zu zeigen, die die reale Ebene mit einer bildhaften Emotionseben verknüpfen, die die Protagonisten für einen kurzen Moment aus der Realität schweben lassen und kleine surreale Akzente setzen und nochmal ganz klar unterstreichen, dass es für alle auf der Bühne um mehr geht als nur um ein verspätetes Flugzeug. Der Transit wird für alle zu einer Art Kippunkt im Leben, ein Moment, in dem sich alle fragen müssen, wie es weitergeht und wo die Reise (auch im übertragenen Sinne) hingeht.

(c) Sanda Then

Das schlichte Bühnenbild von Christoph Schubiger, sowie das stimmige Kostümbild von Nina Lepilina unterstreichen diesen heutigen und realen Charakter.

Auf musikalischer Seite vermag der Abend nicht minder zu überzeugen. Am Pult des Bonner Beethovenorchesters webt Daniel Johannes Mayr einen luziden, alle Feinheiten der Partitur auslotenden Klangteppich. Dabei entsteht nie der Eindruck von Rastlosigkeit oder Getriebenheit, wohl aber von Spannung und einem sicheren Spüren nach dramatischen Akzenten, die das Orchester mal wuchtig dröhnend, mal so filigran wie berstendes Glas umsetzt.

Auf der Bühne zeigt sich ein Ensemble, das so familiär, so geschlossen und sauber aufeinander abgestimmt spielt, wie es auch musiziert. Alle Beteiligten zeigen in ihren Partien ihre Stärken und so sind es immer wieder einzelne kleine Momente, die den Zuhörer aufhorchen lassen und besonders erwähnenswert sind. So ist Benno Schachtner mit seinem feinen, warm- und wohltönenden Counter in der Rolle des Flüchtlings ein beachtlicher Partner für die teils dramatischen Bögen, teils schwindelerregenden Höhen der Fluglotsin Sophia Theodorides – beide zusammen klingen sirenenhaft schön. Mark Morouse als Minskmann weiß natürlich sicher zu landen und spielt die satte Kraft seiner Stimme in den entscheidenden Momenten zielsicher aus.

(c) Sanda Then

Die Bonner Produktion von „Flight“ ist ein charmanter, absolut sehenswerter Abend, der zeigt, dass heutige Oper wirklich Spaß machen kann. Auffällig viele jüngere Erwachsene hat es an diesem Abend in das Bonner Opernhaus gezogen, was vielleicht ein wichtiger Fingerzeig für die Theatermacher dieser Tage sein kann, dass es mehr solcher Stücke braucht.

Sebastian Jacobs,  24. Januar 2024


Flight
Jonathan Dove

Theater Bonn

Besuchte Premiere: 21. Januar 2024

Inszenierung: Adriana Altaras
Musikalische Leitung: Daniel Johannes Mayr
Beethoven Orchester Bonn