Die Oper Frankfurt ist berühmt für ihr exzellentes Ensemble, aus dem heraus sich auch tragende Partien glänzend besetzen lassen. Andere große Bühnen mögen auf die zugkräftigen Namen des internationalen Sänger-Jetsets setzen, in Frankfurt präsentiert man neben den auch andernorts begehrten etablierten Stammsängern die Stars von Morgen. Gelegentlich gibt es aber Ausnahmen, die auf persönliche Kontakte des Intendanten zurückzuführen sind. So war Asmik Grigorian hier in den vergangenen Jahren trotz ihrer steilen internationalen Karriere sehr präsent. Zuletzt durfte sie sich eine Produktion wünschen und bescherte dem Haus mit Tschaikowskys Zauberin die hinreißende Entdeckung eines weithin unbekannten Werkes. Nun bekam der Sopran-Star Pretty Yende, sonst gebucht in Wien, London, Paris oder New York und Exklusiv-Künstlerin von Sony Classical, eine Neuinszenierung von Giulio Cesare auf dem Silbertablett serviert.
Dabei ist die alte Inszenierung von Johannes Erath, die vor gut elf Jahren Premiere hatte, noch in guter Erinnerung. Erath hatte ein vergnügliches Spiel mit Zitaten und Anspielungen auf den Hollywood-Klassiker Cleopatra mit Elisabeth Taylor und Richard Burton auf die Bühne gebracht und ironisch die Stereotype des Sandalenfilms karikiert. Sandalen gibt es nun in der Neuproduktion keine. Irina Spreckelmeyer wählt bei den Kostümen einen Stilmix. Für die Römer hat sie eine dunkle, stilisierte soldatische Tunika entworfen, die sie mit modernen Soldatenstiefeln kombiniert. Die Ägypter zeigt sie mit hellen Faltenröcken und Rüschenhemden effeminiert. Antikenzitate kombiniert sie mit Elementen moderner Businessanzüge. Cleopatra zeigt sie mal im antiken Gewand, mal in üppigerer Robe. Das Bühnenbild von Etienne Pluss zitiert ebenfalls antike Klassizität in Sichtbetonoptik statt Marmor. Die nüchterne Kargheit mit schmucklosen Säulen und angedeuteten Friesen wird von Joachim Klein kühl und mit klaren Kontrasten ausgeleuchtet. In dieser schwarz-weiß-grauen Grundoptik wirken farbige Akzente wie etwa der blutige Rumpf des enthaupteten Pompeius im ersten oder eine florale grüne Oase im zweiten Akt als Sehnsuchtsort von Cäsar und Cleopatra umso intensiver. Die Handlung spielt letztlich an einem aus der Zeit gefallenen Ort, der in der Gegenwart verankert ist, worauf moderne Geräte wie ein Kühlschrank, ein Heizkörper und moderne Gewehre hindeuten, der aber von antiken Grundformen geprägt ist. Zusammen mit den Kostümen entsteht so der Eindruck eines Changierens zwischen den Zeitaltern.
Nadja Loschky erzählt in diesem Setting plastisch und linear die Handlung als spannende Geschichte der politischen Ranküne um den ägyptischen Thron und die Liebeshändel der Protagonisten. Die Da-capo-Arien werden zu Momenten der Innenschau, in welchen die Figuren ihre Motive, Gefühlslagen und Sehnsüchte offenbaren. Die Regisseurin findet für jeden dieser Momente des Innehaltens ein eigenes Repertoire an Bildern und Gesten. Dabei zeigt sie Standards des Regietheaters wie etwa die Vervielfachung von Figuren mit Doppelgängern handwerklich sicher und originell. Nirgends entsteht szenischer Leerlauf. Meist unmerklich verschiebt sich das durch Zwischenwände unterteilte Bühnenbild zu den Seiten und offenbart immer wieder neue Raumeindrücke. Loschky nutzt dies zu Parallelauftritten der Figuren und zu geschmeidigen Szenenübergängen.
Getragen wird dieses überzeugende Regiekonzept von darstellerisch hoch motivierten Sängern. An erster Stelle ist hier Bianca Andrew in der Rolle des Sesto zu nennen. Als Sohn des enthaupteten Pompeius zeigt sie in großer Intensität einen zunächst verschüchterten Jungen, der am Rocksaum seiner Mutter hängt, der von der übergroßen Aufgabe, seinen Vater zu rächen, schier erdrückt wird, und der schließlich zum Mann heranreifen muß, um den Mörder Tolomeo selbst zu morden. Optisch perfekt als Teenager ausstaffiert mit Kurzhaarschnitt und Knabenanzug zeichnet Andrew mit Mimik und Gestik ein faszinierend glaubhaftes Rollenporträt. Gekrönt wird dies von einer atemberaubend perfekten Gesangsleistung. Ihr klarer, schlanker Mezzosopran verfügt über Wärme in der Mittellage und leuchtet in der Höhe. Ihr traumhaft schönes Duett mit Cláudia Ribas als Cornelia am Ende des ersten Akts entläßt das hörbar begeisterte Publikum in die Pause. Das Opernstudiomitglied Ribas hatte schon zuvor durch ihren samtigen, dunkel getönten Alt auf sich aufmerksam gemacht.
Gleich drei Countertenöre weist der Besetzungszettel auf. Sie könnten unterschiedlicher nicht sein. Lawrence Zazzo, der einzige Sänger des Abends, der nicht in seiner Rolle debütiert, spielt als Cesare seine langjährige Bühnenerfahrung aus. Zur Ouvertüre betreibt er eitle Selbstbespiegelung in einer Galerie von Cäsar-Büsten. Gegenüber dem ägyptischen König Tolomeo, den er im Bade überrascht, zeigt er sadistische Machtspiele. Daneben ist er aber zu geradezu zärtlicher Zuneigung gegenüber Cleopatra fähig. Zazzo bietet hier ein vielschichtiges Porträt. Zu Beginn klingen die Koloraturen in dem flotten Tempo, welches Simone Di Felice am Pult des knackig aufspielenden Orchesters bei der Auftrittsarie „Presti omai“ und mehr noch in „Empio, dirò, tu sei“ anschlägt, geradezu durchgehechelt. Musikalisch überzeugender geraten Arien abseits derartiger Vokalakrobatik, etwa die berühmte Jagd-Arie, bei der das mit ihm konzertierende Naturhorn den Kampf mit der Intonation nicht völlig unfallfrei, aber achtbar besteht. Das Stimmtimbre Zazzos ist eher herb. Das fällt insbesondere im Kontrast zu Iurii Iushkevich auf, dem als Nireno zwar nur eine einzige Arie vergönnt ist. Diese aber präsentiert der junge Sänger mit betörend schönem Grundton und leuchtender Höhe bei makelloser Koloratursicherheit. Nils Wanderer als Tolomeo schließlich kann den Einsatz des Falsetts nicht verbergen und schaltet irritierenderweise für tiefere Lagen in ein raues Brustregister um, so daß der Eindruck entsteht, er singe mit zwei unterschiedlichen Stimmen.
Bei den tiefen Männerstimmen gefällt Božidar Smiljanić als unglücklich verliebter Achilla mit fülligem, aber beweglichem Baßbariton, während Jarrett Porter als Curio das Potential seines kernigen Baritons lediglich in Rezitativen andeuten darf.
Und der Star-Gast? Fügt sich in das gute Ensemble ein, ohne es zu überragen. Pretty Yende verfügt über einen üppigen Sopran, mit dem sie in ruhigen Momenten weite Bögen spannen kann, zugleich bei aller Klangfülle (noch) über die Geläufigkeit für die barocktypischen Vokalkunststücke. In der großen Bravour-Arie „Da tempeste il legno infranto“ am Schluß kommen die Koloraturen zwar wie gemeißelt. Gleichwohl fehlt ihnen durch die Üppigkeit der Stimme das gewisse Moment der Leichtigkeit.
Szenisch überzeugend und musikalisch stark, stellenweise gar beglückend präsentiert sich diese Neuproduktion. Das Publikum zeigt sich im Schlußapplaus rundum begeistert, feiert zu Recht besonders Bianca Andrew und spart auch nicht an Zustimmung für das Produktionsteam.
Michael Demel, 25. März 2024
Giulio Cesare in Egitto
Dramma per musica in drei Akten
von Georg Friedrich Händel
Oper Frankfurt
Premiere am 24. März 2024
Inszenierung: Nadja Loschky
Musikalische Leitung: Simone Di Felice
Frankfurter Opern- und Museumsorchester