Die Saison der Pro Arte Konzerte hat einen besonderen Stern am Musikhimmel erstrahlen lassen: Alexej Gerassimez, ein Perkussionist aus Essen, der mit seinem eindrucksvollen Spiel das Publikum in der Alten Oper Frankfurt im Sturm erorberte. Begleitet vom Bergen Philharmonic Orchestra unter der Leitung von Edward Gardner, entführte Gerassimez die Zuhörer in die Welt des Schlagwerks mit Kalevi Ahos „Sieidi“. Doch das Konzert bot noch mehr Höhepunkte, darunter Paul Dukas‘ „Der Zauberlehrling“ und Antonín Dvořáks „Sinfonie Nr. 9 e-Moll Op. 95“. Das Konzert eröffnete mit Dukas‘ „Der Zauberlehrling“, einer musikalischen Interpretation von Goethes gleichnamigem Gedicht. Die Entstehung dieses Werks war ein Meilenstein in der Programmmusik des späten 19. Jahrhunderts. Dukas‘ Komposition, entstanden im Jahre 1897, ist eine virtuose Darstellung der Geschichte des Zauberlehrlings, der unkontrollierbar die Zauberkraft seines Meisters einsetzt und dadurch Chaos und Verwüstung anrichtet. Die Herausforderung dieses Werks für jedes Orchester liegt nicht nur in der technischen Brillanz, sondern auch in der Fähigkeit, die Spannung und die dramatischen Elemente der Geschichte musikalisch zum Leben zu erwecken. Stilistisch stellt das Genre der Programmmusik viele Dirigenten vor kreative Probleme. Oft fehlt es in deren Dirigaten schlicht an Fantasie, sodass Kompositionen dieser Art nicht selten im Stile sog. absoluter Musik vorgetragen werden. In der Alten Oper war das zum Glück nicht der Fall! Unter der Leitung von Edward Gardner präsentierte das Bergen Philharmonic Orchestra eine äußerst lebhafte und bildstarke Interpretation, wobei die orchestrale Dynamik und die klangliche Vielfalt des Werks eindrucksvoll zur Geltung kamen. Gardner wählte ein flottes Tempo, bei vorzüglicher Balance und Transparenz. Das Orchester spielte dieses technisch höchst anspruchsvolle Werk vorbildlich, als wäre es ein Kinderspiel. Im Anschluss trat Solist Alexej Gerassimez in den Mittelpunkt des Geschehens, um Kalevi Ahos „Sieidi“ aufzuführen, ein Schlagzeugkonzert, das die Grenzen der traditionellen Orchestermusik sprengt.
Das Stück wurde im Jahr 2009 komponiert und ist Teil von Ahos umfangreichem Repertoire zeitgenössischer Musik. Der Begriff „Sieidi“ stammt aus der samischen Kultur und bezieht sich auf heilige Stätten oder heilige Objekte, die traditionell von den indigenen Völkern des nördlichen Skandinaviens verehrt wurden. Aho hat in diesem Werk die mystische Atmosphäre und die spirituelle Bedeutung solcher Orte musikalisch eingefangen. „Sieidi“ wurde von vielen renommierten Orchestern weltweit aufgeführt und ist sowohl bei Kritikern als auch beim Publikum gut angekommen. Es ist ein herausragendes Beispiel für Ahos innovatives Schaffen und seine Fähigkeit, traditionelle Themen mit zeitgenössischen musikalischen Techniken zu verbinden. Alexej Gerassimez, geboren 1987 in Essen, ist ein deutscher Perkussionist und Komponist. Er stammt aus einer Musikerfamilie, zu der auch sein Bruder, der Cellist Wassily Gerassimez, und sein Bruder, der Pianist Nicolai Gerassimez, gehören. Gerassimez‘ Repertoire umfasst ein breites Spektrum von Klassik über Neue Musik bis hin zu Jazz und Minimal Music. Seine beeindruckenden Fähigkeiten haben ihm zahlreiche Auszeichnungen eingebracht, darunter den Musikpreis des Verbandes der Deutschen Konzertdirektionen im Jahr 2016 und den 2. Preis im Fach Schlagzeug des Internationalen Musikwettbewerbs der ARD im Jahr 2014. Als Professor für Schlagzeug an der Hochschule für Musik und Theater München und als Gastdozent am Birmingham Konservatorium teilt Gerassimez sein umfangreiches Wissen und seine Leidenschaft für das Schlagwerk mit angehenden Musikern auf der ganzen Welt. Seine Auftritte als Solist und Kammermusiker begeistern regelmäßig das Publikum auf internationalen Bühnen, und seine vielseitigen Kompositionen tragen dazu bei, das Repertoire für Schlagzeugmusik kontinuierlich zu erweitern. Gerassimez präsentierte an diesem Abend eine atemberaubende Darbietung, bei der er zwischen verschiedenen Schlaginstrumenten wechselte und mit dem Orchester in einem faszinierenden Zusammenspiel agierte. Ahos Werk entführte das Publikum auf eine klangliche Reise durch verschiedene Kulturen und Traditionen, wobei Gerassimez‘ brillante Technik und musikalisches Gespür im Mittelpunkt standen. Die räumliche Anordnung der Instrumente und das Wechselspiel mit den Orchestermitgliedern schufen eine einzigartige Erfahrung, die das Publikum in Staunen versetzte. Alexej Gerassimez brillierte mit einer mitreißenden Darbietung. Ob auf verschiedenen Trommeln oder anderen Schlag-Instrumenten: diese Tour de force war sehr beeindruckend. Besondere Momente kamen durch die Soli am Xylophon und am Vibraphon. Mit beiden Instrumenten gab es Augenblicke der Ruhe in den sonst gewaltigen Turbulenzen. Wunderbar, geradezu magisch ergänzte ein einsames Saxophon die Klänge. Das Bergen Philharmonic war intensiv in dem schweren Werk gefordert und bewältigte die permanenten Taktwechsel bravourös. Und auch das Orchester verfügt über vorzügliche Schlagzeuger, die den Solisten bestens mit vielerlei Schlagwerk unterstützten. Die frei gewordene Energie brachte den Saal auf den Siedepunkt, sodass der Zuspruch zurecht euphorisch ausfiel. Gerassimez bedankte sich bei Dirigent und Orchester mit einer kleinen Ansprache. Mit dem Evergreen „Somewhere over the rainbow“ gab es noch einmal verzaubernde Minuten am Vibraphon. Der Höhepunkt des Abends war dann zweifellos Dvořáks „Sinfonie Nr. 9 e-Moll Op. 95“, besser bekannt als „Aus der Neuen Welt“. Diese Sinfonie, entstanden im Jahr 1893, markiert einen bedeutenden Wendepunkt in Dvořáks Karriere und gilt als eines seiner bedeutendsten Werke. Die Neunte ist seit der Uraufführung ein echter Hit der klassischen Musik und wurde zu einem Symbol für die Vereinigten Staaten von Amerika. Dvořáks Fähigkeit, verschiedene musikalische Traditionen miteinander zu verweben, schuf ein faszinierendes und vielschichtiges Werk, das die amerikanische Landschaft und Kultur auf einzigartige Weise einfängt. Unter der dynamischen Leitung von Edward Gardner begann das Bergen Philharmonic Orchestra den ersten Satz mit der melancholischen Einleitung, die sofort einen intensiven Spannungsmoment erzeugte.
Die dynamischen Kontraste und die klangliche Vielfalt des Orchesters verliehen diesem Satz eine epische und mitreißende Qualität, die den Hörer von Anfang bis Ende fesselte. Das Orchester ist ein hervorragender Klangkörper und das in allen Gruppen. Herausragend sind vor allem die perfekt intonierenden Hörner und der äußerst sonore Streicherapparat. Fabelhaft, wie groß deren dynamische Bandbreite und wie aufmerksam das gemeinsame Musizieren ist! Das berühmte Largo, war zweifellos ein ganz intensiver Moment der Sinfonie. Edward Gardner führte das Orchester mit sensibler Hand und ließ die melancholische Melodie des Englischhorns in voller Schönheit erstrahlen. Das berühmte Solo wurde innig, fein schattiert vorgetragen. Die langsam fließende Melodie und die harmonischen Modulationen erzeugten eine besondere Aura, die den Hörer in eine Welt der Träume und Sehnsüchte entführte. Feine Rubati und gekonnte Abphrasierungen des Orchesters ließen die Zeit still stehen. Gardner präsentierte sodann mit dem Orchester den dritten Satz mit lebendiger Energie und mitreißender Vitalität. Die fröhlichen Melodien und die pulsierenden Rhythmen erzeugten eine Atmosphäre von ausgelassener Freude und Begeisterung, die den Saal mit Leben erfüllte und das Publikum in einen regelrechten Tanzrausch versetzte. Ungewöhnlich zurückgenommen erklang der ruhige Mittelteil im Stile vorzüglich dargebotener Kammermusik. Der vierte Satz, ein wild dargebotenes Allegro con fuoco, bildete den dramatischen Höhepunkt der Sinfonie und schloss diesen mit einer explosiven, mitreißenden Energie ab. Sehr feurig entfesselte Gardner und das Orchester die volle Kraft der Sinfonie. Bestechend, wie volltönend, intensiv dieses Orchester klingt und dabei stets eine vorzügliche Klangqualität realisierte. Kein Wunder, dass danach die Begeisterung für diesen superben Vortrag keine Grenzen kannte. Es war eine schöne Idee, als Zugabe Norwegens großen Musiker Edward Grieg zu präsentieren. Ein furioser Bergkönig aus „Peer Gynt“ tanzte wild durch die Alte Oper. Mit riesigem Applaus verabschiedete sich das Publikum von einem Konzertabend voller musikalischer Höhepunkte und emotionaler Intensität. Das Bergen Philharmonic Orchestra und dessen vorzüglicher Dirigent Edward Gardner entführte die Zuhörer auf eine faszinierende Reise durch verschiedene Epochen und Stile der klassischen Musik. Die musikalische Brillanz des Orchesters und die beeindruckende Leistung des Solisten hinterließen einen bleibenden Eindruck. Es war ein Abend, der die Musik in all ihren Facetten zelebrierte und das Publikum völlig begeisterte.
Dirk Schauß, 2. Mai 2024
Paul Dukas: Der Zauberlehrling
Kalevi Aho: „Sieidi“ – Konzert für Schlagzeug und Orchester
Antonin Dvořák: Sinfonie Nr. 9 e-Moll op. 95, „Aus der Neuen Welt“
Alte Oper Frankfurt
30. April 2024
Alexej Gerassimez, Schlagzeug
Bergen Philharmonic Orchestra
Edward Gardner, Leitung