Noch schlimmer als eine unglückliche Ehe ist eine solche in einem geschmacklosen Zuhause. Dies und grobes Unverständnis bietet Hunding seiner Gattin wider Willen, die in einer Mischung aus Langeweile und Leiden unter unsensibler Behandlung als bessere Dienstmagd ihr Dasein mit Sitzgruppe im Gelsenkirchener Barock und großgemusterten Tapeten fristet. Letztere prangen auf den Seitenwänden und der Gazewand vor dem Orchester in der Walküre, die als zweiter Ring-Abend am 6. Juli 2024 im Festspielhaus Erl vor vollem Haus (wie abends zuvor beim Rheingold) mit einem begeisterten Publikum aufgeführt wurde. Star des Abends war, das sei bereits jetzt gesagt, die Regieleistung von Brigitte Fassbaender, die scheinbar wohlbekannte Handlungsstränge, Dialoge und Reflexionen mit feiner psychologischer Beleuchtung und vor allem großartiger Personenführung auffrischt.
Zurück zur unglücklichen Ehe – wie sollen Menschen ein harmonisches und gleichberechtigtes Miteinander pflegen, wenn selbst bei den Göttern der Haussegen nicht nur schief hängt, sondern eher in einem Fluch besteht, weil von Anfang an mit falschen Karten gespielt wird? Eifersucht und Mißtrauen sind die ständigen Begleiter der beiden Ehen und ist es für jede Paartherapie zu spät, hilft nur die Trennung – im Falle des Hauses Hundings mit frischem Wind von außen. Der kündigt sich mit Nordlichtern an, die ein zauberhaftes blaugrünes Wabern auf die tristen Wände der Bühne von Kaspar Glarner zaubern. Blitze schrecken Sieglinde, aber künden machtvolle Hilfe. Der Esche Stamm, in dem das verheißene Schwert steckt, steht schräg im Hintergrund des untrauten Heims und erinnert ein bißchen an das Logo der Deutschen Bank. Das mag zufällig sein, aber Besitzdenken prägt ja tatsächlich die unfreien Seelen Hundings, der Nibelungen und Fafners, Kapitalismuskritik ist schließlich eines der nicht musikalischen Leitmotive in Wagners Ring.
Sieglindes Unglück wird sichtbar durch alles, was sie tut und nicht tun darf, Irina Simmes gibt der geplagten Geraubten zwar greifbare Gestalt, bleibt aber stimmlich etwas im Hintergrund. Es fehlen ihr die großen Linien der bewegten Leidenschaft, da sie die einzelnen Worte zwar würdigt, aber nicht gänzlich zu Dichte und damit emotionaler Strahlkraft fügt.
Marco Jentzsch ist als Siegmund absolut überzeugend; das ist ein ganzer Kerl mit langen Haaren und Entschiedenheit, der aber auch als emanzipierter Mann Sieglinde anbietet, das Geschirr mitabzuräumen. Hundings Schergen haben zuvor nur reingeschaufelt, während ihr Herr befahl und das Glas hob, als Siegmund vom mörderischen Treiben der harten Sippe erzählte. Jentzsch´ jugendlicher Tenor strahlt klar und kraftvoll, und auch wenn sein „Wälse“-Ruf nicht ganz die 17 Sekunden von Lauritz Melchior erreicht, so dringt er doch auch in die feinste Klinze des Festspielhauses.
Anthony Robin Schneider gibt seinem groben Widersacher eine markige Gestalt von männlicher Kraft und faszinierender Baßfülle. Vor diesem Hunding muß man sich wirklich in acht nehmen, das ist ein ernstzunehmender Gegner. Stimmlich ist er einer der ganz Großen in der Produktion.
Die tragende Rolle fällt gesanglich und inhaltlich Wotan zu, den Simon Bailey mit großartiger Vielschichtigkeit und ohne polternde Scheinautorität gibt. Dieser Wotan ist ein vom Schicksal weidwund geschossener Mann, der – ergreifende Szene – einfach mal wie ein Baum umfällt, weil er nicht mehr kann. Von der Stimme her ist er kein Kraftgott, sondern ein differenziert singend-sprechender Vater und Organisator am Ende seiner Kräfte, aber auch sein gesungenes Flüstern dringt mühelos bei wirklich jedem Wort durch den Orchesterklang. Extra-Bravo für diesen müden Gott, der „in den Trümmern der eignen Welt [seine] ew’ge Trauer zu enden“ sucht.
Mit seiner Gattin ist weder gut Kirschen noch goldene Äpfel essen, denn Bianca Andrews Fricka ist keine Zicke, sondern im Herzen ein kampfbereiter Widder. Ihr von den Böcken gezogener Wagen ist hier symbolhaft auf eine Widdermaske reduziert, aber mehr hat diese resolute Göttergattin auch nicht nötig. Klar und deutlich moduliert sie ihre Forderungen mit starkem Mezzosopran und, wie fast durchweg alle Mitwirkenden, fabelhaftem Textverständnis.
Christiane Libor in der Titelrolle singt zwar ihre „Hojotoho!“-Rufe und überhaupt alle Höhen mit überzeugender Wunschmaiden-Kraft, aber in der Mittellage irrlichtert sie zuweilen umher und scheint nach den Tönen zu suchen. Spielerisch fällt sie zuweilen hinter ihre Schwestern zurück, aber am Ende übernimmt sie mehr Kontrolle, als man es von der verurteilten Göttertochter gewohnt ist. Sie küßt ihren Vater mit einer Innigkeit, die eine bloße Tochter-Zärtlichkeit deutlich überschreitet, und, bereits auf den Felsen gebannt, ergreift sie Wotans Kopf, als er ihr von ihr die Gottheit küßt. Für ihr treues Roß Grane genügt hier das wunderbare Bild eines Pferdekopfes, steingrau und schon fast wie ein Fossil in den Klüften des Steinbruchs, der diese Szenen rahmt.
Die wilde Schar der Walküren ist von selten so gesehener Agilität und Kampfesfreude. Ilia Staple, Mojca Bitenc, Nina Tarandek, Karolina Makuła, Helene Feldbauer, Anna-Katharina Tonauer, Sarah Mehnert und Marvic Monreal singen und spielen die kaum zähmbaren Mädchen mitreißend, und gerade im Walkürenritt ziehen sie das Publikum mit auf ihre imaginierten Rosse und jagen durch die aufgetürmten Wolken, die auf den Wänden wogen.
Die Sammlung der splitternackten Helden in einem zentralen Bassin, das zur Übergangswaschung nach Walhall dient, durch die in Lack und Leder gekleideten Maiden verbindet Eros mit Thanatos, der Begriff der Kampflust erhält hier eine ganz neue Bedeutungsebene. Walhall ist ja kein düsteres Schattenreich, sondern voll ewiger Wonne.
Neu ist in dieser Interpretation auch die Rolle Loges (Ian Koziara), der, wie schon im vorabendlichen Rheingold viel aktiver und dominanter ist als gewohnt. Er lugt bereits ums Eck, lange bevor Wotan ihn ruft, und prüft die Lage. Den Feuerzauber hat er schon vorbereitet, und so wabert bald die Lohe um die ganze Bühne und schirmt die Schlafende vor feigem Feind. „Chef, Feuer brennt!“, teilt er Wotan gestisch mit, der in einer Mischung aus Trauer und beginnendem mentalem Abbau schon in die Auflösung seiner selbst hineindämmert.
Das Orchester der Tiroler Festspiele Erl unter Erik Nielsen hat an diesem Abend manche Einsatzprobleme, zumal bei den Holz- aber auch Blechbläsern; die Musiker könnten es bei der Schwertszene mehr gleißen lassen und sich bei Wotans Abschied etwas mehr Zeit nehmen. Gerade aber das Miteinander von Wort und Ton ist ausgewogen und harmonisch; es entsteht ein transluzider Wagnerklang ohne Heldenpathos.
Am Sonntag ruhen auch die heidnischen Götter, mit dem Montag beginnt die Arbeitswoche – schließlich ist ein Schwert zu schmieden!
Andreas Ströbl, 7. Juli 2024
Die Walküre
Richard Wagner
Tiroler Festspiele Erl
6. Juli 2024
Inszenierung: Brigitte Fassbaender
Musikalische Leitung: Erik Nielsen
Orchester der Tiroler Festspiele Erl