Dresden, Konzert: „Schumann, Bruckner“, Wiener Philharmoniker unter Thielemann

Zu einem Sonderkonzert der Wiener Philharmoniker mit den jeweils ersten Symphonien von Robert Schumann und Anton Bruckner hatten die Dresdner Musikfestspiele ihr Stammpublikum am 17. September des Jahres in den Konzertsaal des Kulturpalastes eingeladen. Das Dirigat des Konzertes hatte Christian Thielemann übernommen.

Es waren Robert Schumanns glücklichsten und schaffensreichsten Lebensjahre, nachdem er im September 1840 endlich Clara-Josephine (1819-1896), die Tochter Friedrich Wiecks (1785-1873) heiraten und in Leipzig eine Wohnung beziehen konnte. Seine Frühlingssymphonie B-Dur op. 38 skizzierte Schumann innerhalb weniger Tage, nachdem er bis zu dieser Zeit fast ausschließlich Klavierwerke verfasst hatte. Das „jauchzendes Ja zum Leben“ datieren Musikwissenschaftler inzwischen auf den Zeitraum vom 23. bis zum 26. Januar 1841. Zügig instrumentierte der Komponist, so dass bereits am 31. März 1841 Felix Mendelssohn Bartholdy die B-Dur-Symphonie im Leipziger Gewandhaus aufführen konnte. Seit dieser Zeit gehört Robert Schumanns Frühlingssymphonie zur DNA der meisten Orchester Sachsens. Im Gewandhaus zu Leipzig werden die Besucher mit der Auftakt-Fanfare der Frühlingssymphonie zur Einnahme ihre Plätze gebeten.

Gern erinnert sich das Publikum der Symphoniekonzerte der Sächsischen Staatskapelle an die Auftakt-Interpretation im Rahmen des Schumann-Zyklus Christian Thielemanns im Oktober des Jahres 2018, aber auch des Gastkonzertes Daniel Gattis mit der Schumann-Symphonie im Dezember 2023. Beides waren Aufführungen der „Frühlingssymphonie“ im Dresdner Semperbau.

Am 10. Januar 1843 schrieb Robert Schumann (1810-1856) einen Brief an den Dirigenten Wilhelm Taubert (1811-1891), der in Berlin ein Konzert mit seiner 1. Symphonie vorbereitete, der jedem Maestro in die Partitur der Frühlingssymphonie hineingeklebt werden sollte: „Könnten Sie ihrem Orchester beim Spiel etwas Frühlingssehnsucht einwehen; die hatte ich hauptsächlich dabei, wie ich sie schrieb im Februar 1841.“ Die Symphonie sei in feuriger Stunde geboren.

© Stephan Floss

Nun erlebten wir die Frühlings-Symphonie mit den Wiener Philharmonikern. Bereits mit dem ersten Satz konnten die Wiener Philharmoniker ihre große Klasse beweisen. Der euphorischen Steigerung der Musik von der Fanfaren-Einleitung zum Hauptthema konnte man sich schwer entziehen. Flirrende Streicher und ausgewogene Partnerschaften mit den Blechbläsern und dem Holz begeisterten. Vor allem der Solo-Klarinettist sicherte die Wirkung. Aus dynamischen Nuancen des Dirigats Christian Thielemanns, die vom Orchester großartig umgesetzt wurden, ergaben sich grandiose Steigerungen und wirkungsvolle Entladungen. Nach einem mit seiner leichten und luftigen Instrumentierung singenden Larghetto, oft als Liebeserklärung an Clara gedeutet, leitete ein etwas geheimnisvoll intonierter Posaunen-Choral zum Scherzo über. Dieses Molto vivace dirigierte Thielemann sehr lebhaft und schwungvoll, wie es in der Partitur eben steht. Keine Spur der depressiven Melancholie, sondern ein Gang über blühende Frühlingswiesen und fruchtbare Felder war zu erleben. Mitreißend  dann wieder ein fulminantes Finale, das dem Orchester wie ein vielstimmiger Jubelgesang gelungen war und das Publikum regelrecht mit der Musik überbordete.

Seit dem legendären Einspringe-Konzert Christian Thielemanns im zweiten Saisonkonzert 2009 der Sächsischen Staatskapelle mit Bruckners „Achter Symphonie“ sind in Dresden seine Qualitäten als Dirigent des Linzer Meisters unumstritten. Seine Pausensetzungen, die Gestaltung der Tempoverläufe und seine Prägungen der Dynamik haben für die Breite der Besucher seiner Bruckner-Konzerte über die Jahre ihren Reiz behalten.

Unsere letzte Begegnung eines Dirigats Christian Thielemanns mit Anton Bruckners 1. Symphonie c-Moll war am 1. September 2017, damals im Semperbau und mit der Sächsischen Staatskapelle in der Linzer Fassung von 1866. Das Konzert ist mir in bester Erinnerung, weil in Nikolai Znaiders Finale von Bruchs erstem Violinkonzert in einer undurchdringlichen Damenhandtasche ein nicht aufzufindendes Handy klingelte und der Maestro mit seinem Ruf „Unmöglich“ vermutlich seinen Bruch mit dem heimischen Publikum vollzog.

Nun sind die Klangbilder der Wiener Philharmoniker und der Sächsischen Staatskapelle nicht so unterschiedlich, dass man nicht die Notizen von vor sieben Jahren unter das gestrige Hör-Erlebnis legen dürfte. Auch meine häufigen Konzert- und Probenbesuche stützen das. Beide Orchester verfügen über eine opulente Streicherbasis und, auch wenn es Modifikationen bei den Instrumentierungen bei den Holz- sowie Blechbläsern bzw. bei den Schlagwerken gibt, so verschafft doch der Umstand, dass beide Klangkörper auch die Opernhäuser ihrer Heimatstädte bespielen, eine Gemeinsamkeit: da die Begleitung des Bühnengeschehens zu einer Verpflichtung auf die Sänger Rücksicht zu nehmen führt, verschafft das der Spielweise beider Orchester eine gewisse Geschmeidigkeit.

Auch die Entwicklungen der Gäste aus der Wiener Klassik und das Wachstum der Dresdner bevorzugt aus der Romantik sind inzwischen weitgehend ausgeglichen. Und den Unterschied zwischen der etwas ruppigeren Linzer Fassung von 1866 im Vergleich zur im Jahre 1898 revidierten Wiener Fassung egalisierte nach meinem Empfinden das Dirigat.

Nicht annähernd ausgeglichen für einen Vergleich meiner Hörerlebnisse beider Darbietungen war die Klangentfaltung in den doch recht unterschiedlichen Konzerträumen. Ausschlaggebend für das unterschiedliche Empfinden dürfte vor allem das größere Volumen des Konzertsaals im Kulturpalast mit seinem Raumvolumen von 21 500 m³ und der davon beeinflussten mittleren Nachhallzeit von 2,2 Sekunden gewesen sein. Denn der Saal im Semperbau wird mit lediglich 12 500 m³ bei einer mittleren Nachhallzeit von 1,6 Sekunden angegeben. Damit kommt die Semperoper als Konzertraum für eine Reihe von Repertoire-Stücken schon an seine Grenzen und ermöglicht dem Interpreten oft nicht, die Möglichkeiten der Kompositionen ausschöpfen. Bei diesen gravierenden Unterschieden der Eigenschaften der Klangräume dürften Verschiedenheiten der Raumformen der Säle und Wirkungen von Flächenabsorptionen kaum eine Rolle spielen.

Wir hörten von den ausgezeichneten Wiener Philharmonikern eine beeindruckende Wiener Fassung von Anton Bruckners „Symphonie Nr. 1“ mit einem gewohnt souveränen Dirigat Christian Thielemanns. Man spürte die Übereinstimmung des Orchesters mit dem Dirigenten, wenn selbst die kleinsten motivischen Ideen Bruckners beachtet wurden und zu einer lebendigen Aufführung verbunden waren.

Gern würde ich zum Vergleich beider Konzerträume das Abschlusskonzert der Staatskapelle Dresden der letzten Saison mit der höheren Intensität von Gustav Mahlers „Symphonie Nr. 8“ unter den akustischen Bedingungen des Konzertsaals im Kulturpalast hören.

Thomas Thielemann, 19. September 2024


Robert Schumann: Sinfonie Nr. 1 B-Dur op. 38 »Frühlingssymphonie«
Anton Bruckner: Sinfonie Nr. 1 c-Moll WAB 101 (Wiener Fassung von 1890/91).

Sonderkonzert der Musikfestspiele Dresden
im Konzertsaal des Kulturpalastes

17. September 2024

Wiener Philharmoniker
Dirigent: Christian Thielemann