CD: „Jakob Lenz“, Wolfgang Rihm

Live von der Bühne des Nationaltheaters Mannheim kommt ein Audio-Mitschnitt von Wolfgang Rihms hervorragender Kammeroper in 13 Bildern Jakob Lenz, der jetzt bei dem Label OEHMS auf CD erschienen ist. Die Produktion von Calixto Bieito war in der Saison 2021/22 ein Höhepunkt des Mannheimer Spielplans. Es ist schade, dass diese phantastische, stringente und gut durchdachte Produktion nicht auch auf DVD veröffentlicht wurde. Aber auch die CD ist, um es mal vorwegzunehmen, fast durchweg recht empfehlenswert.

Hier geht es um die historische Reise des bekannten Sturm-und-Drang-Dichters Jakob Michael Reinhold Lenz zu Johann Friedrich Oberlin, der im elsässischen Steintal das Amt eines Pfarrers bekleidete. Bei ihm wollte sich der Poet von seinen psychischen Leiden erholen, was ihm indes nicht so gut gelang. Rihms Oper zugrunde liegt die Novelle Lenz von Georg Büchner. Diese kann einen unverfälschten Wahrheitsgehalt für sich beanspruchen, da sie auf Briefen Lenz‘ und Aufzeichnungen von Oberlin fußt. Gezeigt wird die regelrecht unter die Haut gehende Leidensgeschichte des Dichters Lenz, ein eindringliches Psychogramm eines Menschen, der an seiner Umwelt gescheitert ist und sich vergebens auf die Suche nach dem Sinn des Lebens begibt. Lenz scheitert auf der ganzen Linie, ein künstlerisches Sich-Entäußern ist ihm nicht mehr möglich. Er gerät in einen ausgemachten Konflikt mit seiner Umwelt, was ihn zu einem Außenseiter werden lässt. Diesen tristen Bedingungen hat er nichts mehr entgegenzusetzen. Konsequenterweise tritt er die Flucht nach innen an. Sein Zustand bessert sich indes nicht und er verweilt bis zum Ende in einer starken psychischen Instabilität – ein sehr bedrückendes Thema, das auch einen gehörigen Schuss an Aktualität aufweist.

Diese CD kann als schönes Vermächtnis des erst vor einigen Wochen verstorbenen Wolfgang Rihm gelten. Er komponierte seine auf Büchners Novelle beruhende Oper bereits in den Jahren 1978/79 im Alter von 27 Jahren und konnte bei der Uraufführung einen bahnbrechenden Erfolg für sich verbuchen. Aber das ist auch kein Wunder, denn hier haben wir es mit einem gerade mal 65 Minuten langen Werk von geradezu beklemmender Intensität zu tun, das sich tief in das Gedächtnis eingräbt. Rihm hat sein Handwerk verstanden, das muss man sagen. Nicht umsonst zählte er zu den bedeutendsten Tondichtern seiner Zeit. Mit nur wenigen Musikern im Orchestergraben vermag er eine ganz große Wirkung zu erzielen. Daran hat auch der Dirigent Franck Ollu seinen Anteil, der das bestens disponierte Nationaltheater-Orchester Mannheim zu einer imposanten, emotionalen und sehr intensiven Wiedergabe von Rihms Partitur animiert.

Fast durchweg auf hohem Niveau bewegen sich die gesanglichen Leistungen. An erster Stelle ist hier der famose Joachim Goltz zu nennen, der mit seinem hervorragend fokussierten, wandelbaren und nuancenreichen Bariton den Wahnsinn des Jakob Lenz phantastisch auslotet. Die dem Sänger zur Verfügung stehende vokale Ausdruckspalette ist enorm und auch die ausgeprägte Höhe macht ihm nicht die geringsten Schwierigkeiten. Das ist eine ganz große Leistung! Neben ihm bewährt sich mit ebenfalls vorbildlich italienisch geschultem, warmem und sonorem Bass Patrick Zielke in der Rolle des Oberlin. Demgegenüber fällt der maskig, flach und überhaupt nicht mit schöner Körperstütze seines Tenors singende Raphael Wittmer als Kaufmann ab. Sowie einzeln als auch gemeinsam machen die Stimmen von Josefin Feiler, Rebecca Blanz, Marie-Belle Sandis, Maria Polanska, Serhii Moskalchuk und Marcel Brunner einen gefälligen Eindruck. Vor allem die Erste Stimme von Frau Feiler ist hier hervorzuheben. Einen angenehmen Eindruck hinterlässt auch der Kinderchor am Nationaltheater.

Ludwig Steinbach, 22.Oktober 2024


CD: Jakob Lenz
Wolfgang Rihm
Nationaltheater-Orchester Mannheim

Musikalische Leitung: Franck Ollu
OEHMS CLASSICS
Best.Nr.: OC981