Berlin: „Macbeth“, Giuseppe Verdi

Blut, Sperma, Kotze

© Eike Walkenhorst

Seit Jahrzehnten immer wieder auf Berlins Opernbühnen anzutreffen sind der Schotte Macbeth und seine Lady, in der Staatsoper ist Giuseppe Verdis Oper im Repertoire, wohl auch weil Placido Domingo seinem Baritonrepertoire eine weitere Rolle hinzufügen wollte, und Anna Netrebko sang nicht nur die Premiere, sondern auch in der Wiederaufnahme. In der Ära Flimm kam sogar noch Salvatore Sciarrinos Macbeth-Oper dazu, und aus der Deutschen Oper stammt die wundervolle Aufnahme mit Renato Bruson, Mara Zampieri unter Giuseppe Sinopoli und in der Regie von Luca Ronconi in den Bühnenbildern von Luciano Daminiani. Lange hielt sich die Produktion auf dem Spielplan, Piero Cappuccilli und Olivia Stapp waren in ihr zu sehen. Ersetzt wurde sie 2011 durch eine Produktion aus Köln in der Regie von Robert Carsen, in der in einem Ostblockstaat, Rumänien lag nahe, ein Diktatorenpaar wütete, die Hexen Putzfrauen waren und der Herrscher eine Prunkuniform trug. Zum Verdi-Jahr 2013 wurde das Stück noch einmal aufgeführt, dann verschwand es unbeweint in der Versenkung.

© Eike Walkenhorst

Wenn nun die erste Verlautbarung zur Neuinszenierung durch Marie-Éve Signeyrole von einer Verlegung der Oper ins Hier und Jetzt im Konflikt von Erdölgesellschaften um die Förderung des begehrten Rohstoffs aus der Nordsee phantasierte, die ersten Fotos eine Uniform wie aus dem Fundus zeigten, konnte Vorfreude so recht nicht aufkommen. Im vorab veröffentlichten Programmbuch sprach die Regie zudem von der Kinderlosigkeit des mörderischen Paars als Auslöser für den Drang, der Weissagung der Hexen zu widersprechen, die Banco zum Ahnen von Königen erklärte. Mag das letztere als Regieansatz nachvollziehbar, weil auch von Shakespeare selbst gestützt sein, ist die Sicht auf die Hexen als „Lobbyisten, die die Interessen von Investmentgesellschaften vertreten“, geradezu hanebüchen, auch wenn die Regisseurin die Investmentgesellschaft Blackrock als eine solche bereits identifiziert haben will. Ist das schon Wahlkampf, da schließlich Friedrich Merz bis 2020 Aufsichtsratsvorsitzender der deutschen Abteilung des Unternehmens war? Da mag der Sprung von Macbeth, der sie Hexen befragt, zu uns, die wir das Internet befragen, noch so kühn angesetzt sein, er endet mit einem Absturz in die Lächerlichkeit. Und diese Sicht wird nicht nachvollziehbarer, wenn ein ab und zu erscheinender Hirsch zum Symbol für „Fruchtbarkeit, Wiedergeburt, Männlichkeit“ erklärt wird und bemüht ist, etwas Magie ins Bühnengeschehen zu bringen. Aber letztendlich passt der eine Inszenierungsansatz zum anderen wie die Faust aufs Auge. Wenig Vertrauen in die Sachkenntnis einer Regisseurin kann man auch aufbauen, wenn diese in einem Interview behauptet, Verdi habe sich eine Sängerin für die Partie gewünscht, die hässlich sei. Er hatte sich aber nur über eine raue, erstickte und finstere Stimme geäußert. Wenn sie nun auch noch von einer Trennung Schottlands von England ausgeht, Macbeth aber mit einem Schwert hantieren lässt, dann kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, die Regisseurin habe ihren Inszenierungsansätzen selbst nicht getraut und deshalb einen auf den anderen getürmt.

© Eike Walkenhorst

Nun sind theoretische Abhandlung und Realisierung auf der Bühne immer zweierlei, und oft wird nicht so heiß gegessen, wie es gekocht wurde. Am Premierenabend wurden aber diesmal nicht nur alle Erwartungen oder besser Befürchtungen erfüllt, sondern um einige Hundertprozentpunkte übererfüllt. Da gab es Nachlässigkeiten wie eine erschossene Lady Macduff, die als Leiche eine durchgeschnittene Kehle aufwies, Geschmacklosigkeiten wie das sekundierte Onanieren Macbeths, dessen Samen dann der Lady von einem Medico eingeführt wurde, so dass sie hochschwanger über die Bühne wanken konnte, ehe eine durch viel Blut (aber auch andere Körperflüssigkeiten fließen reichlich) dokumentierte Fehlgeburt dem Glück ein Ende bereitete, da gab es Albernheiten wie einen Kindergeburtstag mit Banquos Sohn, bei dem alle kleinen Gäste eine Beute des Todes (Vergiftung?) wurden, Entstellung von Personal, wenn die Naturwesen Hexen zur Phalanx von Computertippsen im Einheitslook degradiert wurden, da wurden Sänger um eine optimale Wirkung ihrer Anstrengungen gebracht, wenn zu ihrer Arie durch Nebenhandlungen (Aktenordner zur Nachtwandler-Arie) oder durch Großaufnahmen von Choristengesichtern auf der häufig bemühten Videowand (Arie Maduff) von dieser abgelenkt wurde, wenn eine die Kälte des Kapitalismus verkörpernde Sprecherin von Investmentgeschäften in Großaufnahme plapperte (da gab es erste Unmutsäußerungen im Publikum) oder wenn der bereits zitierte Hirsch oder nur sein Kopf sich weit mehr störend als erhellend ins Geschehen mischte. Da machte man sich beinahe schon Vorwürfe, zu hart über eine in die Jetztzeit versetzte Romeo-und-Julia-Tragödie in der Staatsoper geurteilt zu haben, aber die war bei aller Unwahrscheinlichkeit wenigstens in dieser in sich stimmig gewesen, während nun eins nicht zum anderen passte, Effekthascherei oberstes Gebot schien, und immer wieder rauscht das Meer von der Videowand, als ging es um den Fliegenden Holländer. Die Reihe der Absurditäten könnte man noch lange fortführen. Und auch die Bühne von Fabien Teigné und die Kostüme von Yashi waren austauschbar und hässlich, zudem Abendkleider auf der Flucht recht unpassend.

© Eike Walkenhorst

Eine herbe Enttäuschung war die plötzliche Absage von Anastasia Bartoli, die die Lady hatte singen sollen, gewesen. An ihrer Stelle sang nun Felicia Moore, eine junge Amerikanerin, die in den beiden ersten Arien noch etwas verwaschen in den Koloraturen wirkte, in der letzten Szene aber mit vielen schönen Sfumaturen, einem raffinierten Chiaroscuro, einer unangestrengten Höhe und feinen Farben erfreuen konnte. Einen kraftvollen, farbigen Bariton, den er gern, so bei „Pietà, rispetto, amore“ etwas agogikreicher hätte einsetzen könne, besitzt Roman Burdenko. Zu begrüßen ist, dass er auch den Schluss der ersten Fassung von 1847 singt. Einen für einige Verdi-Partien geeigneten, noch recht lyrischen Tenor setzte Attilio Glaser für den Macduff ein, kraftvolle Bassesschwärze wurde dem Banquo von Marko Mimica zuteil, der in den letzten Jahren nach seinem Ausscheiden aus dem Ensemble eine bemerkenswerte Entwicklung vollzogen hat. Die Dama von Nina Solodovnikova war in den Ensembles mehr als nur eine Stütze. Relativ ungestört konnte der Chor seine wunderbaren Auftritte nach“ È assisinato il Re Duncano“ und für die Patria oppressa zu schöner Geltung bringen. Enrique Mazzola am Dirigentenpult der Deutschen Oper ist immer der Garant, und war es auch diesen Abend für erlesene Italianità, ließ auch die Düsternis und das Grauen zu ihrem Recht kommen und wurde zurecht besonders gefeiert. Es bleibt allerdings die Frage offen, ob nicht Dirigent oder/und Intendant sich optischen Absurditäten und Zumutungen für die Sänger entgegenstellen sollten und könnten.

Ingrid Wanja, 23. November 2024


Macbeth
Giuseppe Verdi

Deutsche Oper Berlin

Besuchte Premiere am 23. November 2024

Inszenierung: Marie-Ève Signeyrole
Musikalische Leitung: Enrique Mazzola
Orchester der Deutschen Oper Berlin