Philippe Jordan übernimmt kurzfristig für den erkrankten Maestro Barenboim die Leitung des Konzerts. Jordan ist seit vielen Jahren eng verbunden mit der Lindenoper. Von 1998 bis 2001 ist er Assistent von Daniel Barenboim. Dieses Engagement eröffnet ihm eine Weltkarriere. Zwischen 2006 und 2010 ist er Erster Gastdirigent an der Staatsoper Berlin. Er wird Chefdirigent der Wiener Symphoniker, Musikdirektor der Opéra National de Paris und später in gleicher Position an der Wiener Staatsoper. Ab 2027 übernimmt Jordan die Leitung des Orchestre National de France und arbeitet mit vielen international renommierten Orchestern und Opernhäusern zusammen. Er ist regelmäßiger Gast, unter anderem bei den Bayreuther Festspielen, So gibt es auch die in vielen gemeinsamen Aufführungen gewachsene Übereinstimmung und Vertrautheit zwischen Dirigent, Solisten und der Berliner Staatkapelle.
Richard Wagner, einer der bedeutendsten Komponisten und eine der maßgebenden Künstlerpersönlichkeiten des 19. Jahrhunderts, führt ein bewegtes Leben. Entweder die Polizei sucht ihn wegen „revolutionärer Umtriebe“ oder er ist auf der Flucht vor seinen Gläubigern wegen nicht beglichener Schulden, mit denen er seinen Hang zum Luxus finanziert. Er lebt ständig über seine Verhältnisse. Erst im bayerischen König Ludwig II. findet er einen Bewunderer, der ihn aus der Geldnot befreit. Ohnehin ist er ein schwieriger Zeitgenosse: Er beschimpft unflätig jüdische Konkurrenten; die Frauen seiner Freunde und Gönner betrachtet er als sein Eigentum, als etwas, das ihm als Genie zusteht – aber er komponiert großartige, herrliche Opern. Ihm gelingt der Schritt von der deutschen romantischen Oper zum Musikdrama. Mit seinem beispiellos reichen und komplexen Spätwerk, darunter auch dem „Ring“ und dem „Tristan“, bahnt er den Weg für Entwicklungen der Musik des 20. Jahrhunderts. Seine Musik ist bis heute von vielen geliebt und von manchen gehasst. Doch die jährlichen Festspiele im bayerischen Bayreuth gibt es immer noch!
„Tristan und Isolde“, Vorspiel und Liebestod
Ein irdisches Glück ist unmöglich, erst im gemeinsamen Tod kann die Liebe ihre Erfüllung finden. Die Inspiration für die „Handlung“ in drei Aufzügen ist alltäglich und romantisch zugleich. Die letztlich unerfüllte Liebe zu Mathilde Wesendonck, der Gattin seines Gönners, der Wagner Geld und Logis gewährt, ist die Inspirationsquelle und treibende Kraft für die ihr gewidmete Komposition von „Tristan und Isolde“. Vorspiel und Liebestod sind die Klammern für das Werk. In keiner seiner Opern rückt die innere psychologische Handlung so in den Vordergrund wie im „Tristan“. Nach dem zarten Beginn der Violoncelli erklingt schon im zweiten Takt des Vorspiels der vielleicht berühmteste und von vielen Komponisten bis in die Gegenwart meist zitierte Akkord der klassischen europäischen Musik: f-h-dis-gis, der „Tristan-Akkord“. Der Akkord, harmonisch nicht eindeutig zuzuordnen, durchzieht mit seinen viefältigen Auflösungsversuchen das ganze Werk. Er verbindet sich auf suggestiv-erotische Weise immer wieder mit den „Liebesmotiv“-Verwandlungen. Ähnlich wie im „Ring“ sind Leitmotive auch für den „Tristan“ wichtig, doch im Gegensatz dazu sind die Tristan-Motive in ihrer Form miteinander verwandt. Verbunden mit dem Schluss des Werks, erstmals 1863 von Wagner in der Instrumentalfassung aufgeführt, sind „Vorspiel und „Liebestod“ eine Art Kurzzusammenfassung von „Tristan und Isolde“.
„Die Walküre“, Erster Aufzug
Siegmund, verfolgt und waffenlos, gewährt Hunding, der in Siegmund seinen Feind erkennt, für eine Nacht Zuflucht, allerdings kündigt Hunding ihm an, dass er ihn am nächsten Tag zum Kampf fordern wird.. Sieglinde, die Gemahlin Hundings, und Siegmund erkennen einander als Geschwister und gestehen sich ihre Liebe. Sieglinde berichtet von einem Fremden, der ein Schwert in den Eschenstamm gestoßen hat. Siegmund allein gelingt es, das Schwert Nothung aus dem Stamm herauszuziehen.
Philippe Jordan stehen für den zweiten Teil des Konzerts mit Anja Kampe (Sieglinde), Andreas Schager (Siegmund) und René Pape (Hunding) Sänger der internationalen Spitzenklasse zur Seite. Schon im bedrohlich klingenden Beginn der tiefen Streicher zeigt Jordan Aktivität und Aufmerksamkeit. Die Akzente klingen wie Peitschenhiebe. René Pape verleiht mit seinem herrlichen Bass der Figur des Hunding das nötige misstrauisch, feindselige Profil: „Wie gleicht er dem Weibe! Der gleißende Wurm glänzt auch ihm aus dem Auge.“ Anja Kampe und Andreas Schager steigern sich in der dritten und vierten Szene des Aufzugs zu einem wunderbaren Miteinander. Von Siegmunds „Ein Schwert verhieß mir der Vater“ mit den gefürchteten „Wälse“-Rufen, Sieglindes „Eine Waffe kann ich dir weisen / Der Männer Sippe saß hier im Saal“, die Lenz- und Liebesszene von Sieglinde und Siegmund „Winterstürme wichen dem Wonnemond“, „Du bist der Lenz“ bis „Nothung! So nenn ich dich, Schwert“, all das gelingt anrührend und hinreißend. Hier zeigt sich die Kunst Jordans in der Begleitung seiner Protagonisten – sensibel, wenn nötig, und kraftvoll den warmen und flexiblen Klang der Staatskapelle nutzend, wenn es die Szene erlaubt.
Das Fehlen der Bühne und die dadurch mögliche Konzentration auf Wagners Musik machen schon den ersten Konzertteil zum Erlebnis.
Philippe Jordan dirigiert mit sparsamen Bewegungen, aber hellwach und aktiv leitet er den Abend. Er bevorzugt ruhige Tempi, aber die Musik „atmet“, sie verliertnie den Zusammenhalt, den großen Bogen. Er setzt scharfe Akzente, sorgt für agogisch hypnotisierende Momente und lässt Details funkeln.
Philippe Jordan wird zu Recht mit großem Beifall überschüttet. Dieser Abend wird zu einem lang nachklingenden Ereignis.
Bernd Runge, 25. November 2024
Vorspiel und Liebestod aus „Tristan und Isolde“
„Die Walküre“, Erster Aufzug
Staatsoper Unter den Linden, Berlin
25. November 2024
Anja Kampe (Sieglinde), Sopran
Andreas Schager (Siegmund), Tenor
René Pape (Hunding), Bass
Dirigent: Philippe Jordan
Staatskapelle Berlin