Lübeck: „Beethoven, Lutosławski“, Philharmonisches Orchester unter Stefan Vladar

Nur zwei Wochen währte das musikalische Sommerloch in Schleswig-Holstein – die Bewohner des nördlichsten Bundeslandes dürfen sich glücklich schätzen, hier eine ungemein vielseitige, lebendige und qualitätvolle Musikkultur erleben zu dürfen. Kaum ist das Schleswig-Holstein Musik Festival mit dem Abschlußkonzert in der Lübecker Musik- und Kongreßhalle am 31. August herum, schon beginnt am 14. September am gleichen Ort die neue Konzertsaison der Hansestadt, und das mit einem phantastischen Solisten von Weltrang.

Beethovens Violinkonzert gehört bekanntermaßen zum gängigen, mitunter etwas abgenudelten Standard-Repertoire, und sicher zog vor allem der Name des Violinisten Frank Peter Zimmermann – wer zur Saisoneröffnung dabei war, dem wurde nach wenigen Takten klar: Dies war ein musikalisches Ausnahme-Ereignis!

Frank Peter Zimmermann / © Andreas Ströbl

Die eröffnenden Paukenschläge sind von eher verhaltener Natur, passend zur insgesamt erfreulich unpathetischen Lesart von GMD Stefan Vladar und dem Philharmonischen Orchester der Hansestadt Lübeck. Entsprechend gestaltet auch Zimmermann das ganze Konzert sehr sensibel, mit meist sanftem, ja sahnigem Strich und eleganten, fließenden Linien. Der Geiger hält viel Kontakt zum Orchester und seinem Dirigenten; oft wirkt es, also ob die beiden gemeinsam das Konzert leiten. Zimmermann, der immer wieder auch die Orchesterstimmen mitspielt, ist ständig in Bewegung und lebt ganz in der Musik, aber all das geschieht völlig ohne Pose. Immer wieder huscht ein Lächeln zwischen ihm und den Mitwirkenden hin und her, zumal bei den ausgemacht lyrischen Kantilenen.

Ganz anders als in vielen Interpretationen meidet Vladar jede überzogene Getragenheit, sein gewohnt flottes Tempo prägt auch dieses Konzert; das ist frischer, strahlender Beethoven in rotgoldenen Herbstfarben. Aber der Dirigent nimmt sich sehr viel Zeit für die Ausleuchtung der ganz feinen Piano-Passagen, die so kristallin und intim gebildet sind, daß man manche Details hier zum ersten Mal wirklich wahrzunehmen glaubt. Vladar und die Lübecker schaffen es gerade bei solchen oft gespielten Stücken, die Patina sanft abzuschaben und den eigentlichen Charakter dieser Meisterwerke zum Leuchten zu bringen.

Die Kadenzen, zumal im zweiten und dritten Satz, formt Zimmermann erwartungsgemäß hochvirtuos, bleibt aber immer im Dienst des Werks. Auch zum harten Strich verführende Flageolett-Abschnitte geraten bei ihm eher geschmeidig, und aus der Schlußkadenz im Finalsatz spricht ein optimistisches Bejahen, das die Dur-Moll-Wechsel, die große Teile des Konzerts prägen, vergessen machen – am Ende obsiegt eine tänzerisch-leichte Zuversicht.

© Andreas Ströbl

Das Publikum hält es nicht lang auf den Sitzen und für den begeisterten Applaus bedankt sich Zimmermann mit einer ungewöhnlichen Zugabe, nämlich Heinrich Wilhelm Ernsts Violinen-Arrangement von Schuberts Erlkönig. Ganz anders als beim Beethoven hat man hier schon Angst um die „Lady Inchiquin“-Stradivari, denn der Künstler läßt hier den unheimlichen Naturgeist krächzend drohen und macht die Angst des Kindes bis zur Gänsehaut beim Zuhören erschreckend greifbar. Schlösse man die Augen, entstünde der Eindruck von zwei oder gar drei Instrumenten, so meisterhaft beherrscht Zimmermann die hochanspruchsvolle Bearbeitung des Liedes. Ungerne entlassen die Lübecker den sympathischen Virtuosen und feiern dessen phantastische Darbietung.

„Wahrheit in der Musik verstehe ich als aufrichtigen, ehrlichen Ausdruck dessen, was man anderen Menschen an Eigenem zu sagen hat“, meinte einmal der polnische Komponist Witold Lutosławski. Als er 1954 sein Konzert für Orchester vollendete, herrschte in Polen eine Art von poststalinistischer Zensur, die ein freies Tonsetzen mit westlicher Avantgarde assoziierte und damit als unerwünscht erklärte. Folkloristische Elemente hingegen waren willkommen, gerne auch Bezüge zu irgendeiner verklärten Vergangenheit.

Lutosławski schaffte den Spagat, indem er mit barockisierenden Formen spielte und volksmusikalische Elemente und Melodien mit moderner Klangsprache kombinierte. Dissonanzen wirken aufrichtig und kritisch-realistisch, werden aber dann wieder aufgelöst und fließen in gefälligere Klanglandschaften. Dieses Bild entspricht insoweit der Denk- und Schaffensweise des Komponisten, da er oft die Idee hatte, wie von oben auf eine Stadt herabzuschauen und dann tiefer zu gleiten, bis Straßen und Gebäude sichtbar würden.

© Andreas Ströbl

Auch im Konzert für Orchester spielt er mit Nähe und Ferne, denn die reichhaltigen Variationen eines Themas wirken mitunter so, als würden Strukturen aus unterschiedlicher Warte beobachtet. Anklänge an eine Melodie aus der Gegend um Warschau bilden das Hauptthema des ersten Satzes, nach wiederum einleitenden Paukenschlägen, aber solchen von unerbittlicher, nicht enden wollender Natur.
Jeder, der in den 70er und 80er Jahren ferngesehen hat, kennt zumindest eine Passage dieses Satzes, denn sie war Erkennungsmelodie des „ZDF-Magazins“. Zu den mit jähen Streicher-Schreien eingeleiteten, hektischen Stakkato-Stößen sah man eine nervös zuckende Oszillatoren-Linie und erwartete eher unangenehme Nachrichten.
Nervosität und Unruhe prägen weite Teile des dreisätzigen Werks, wenngleich der Mittelsatz etwas Elfenhaft-phantastisches hat und durch einen geheimnisvollen Reiz wirkt.
Der Finalsatz setzt sich aus einer Passacaglia, einer Toccata und einem Choral-Motiv zusammen. Lutosławskis Meisterschaft im Variieren wird hier offenbar, er spielt mit Crescendi und dem Spiel mit aufgeregter Spannung.

Trotz allem Druck, der aus der Partitur spricht, erhebt sich ein trotziges „Dennoch“, eine eher zwischen den Zeilen zu lesende Opposition gegen die Macht des angeblichen „Bruderlandes“.
Die Lübecker setzen all diese Aspekte gekonnt um und schaffen ein mitreißendes, vielschichtiges Klanggebäude, dessen Widersprüche eben Facetten eines Ganzen sind, das am besten zu fassen ist, wenn man von den Details wieder nach oben steigt und sich alles gemeinsam mit dem Schöpfer des Werks aus der Höhe betrachtet.

Glückwunsch zu einer großartigen Ensembleleistung mit herausragenden solistischen Einsätzen! Was für ein gelungener Einstieg in die neue Saison!

Andreas Ströbl, 14. September 2025


Ludwig van Beethoven, Konzert für Violine und Orchester D-Dur op. 61
Witold Lutosławski, Konzert für Orchester

Lübeck, Musik- und Kongreßhalle

1. Symphoniekonzert am 14. September 2025

Musikalische Leitung: Stefan Vladar
Violine: Frank Peter Zimmermann
Philharmonisches Orchester der Hansestadt Lübeck

Das Konzert wird wiederholt am Montag, 15. September um 19.30 Uhr.