Gewidmet hat Alexander Borodin die Steppenskizze, dieses kurze Stück romantischer Programmmusik, seinem Freunde Franz Liszt. In St Petersburg hatte er Medizin und Chemie studiert und wirkte nach einem zweijährigen Stipendium u.a. in Heidelberg – wo er sein Herz verlor – als Professor für Chemie daselbst. Das Musikstück entstand als Auftragswerk zum 25-jährigen Herrschaftsjubiläum von Zar Alexander II, knapp ein Jahr, bevor dieser einem tödlichen Anschlag zum Opfer fiel, und nimmt augenscheinlich Bezug auf die von ihm unterworfenen Völker Zentralasiens. Der Hinweis auf den „Frieden unter russischen Waffen“ im musikalischen Programm des Komponisten befremdet heute.
Musikalisch mischt sich ein russisches Lied (Klarinetten) zu Pferde- oder Kamelgetrappel (Pizzicato der tiefen Streicher); später kommt asiatische Melodik dazu (Englisch-Horn). Russische Waffen treten orchestral nicht eindeutig in Erscheinung. Zuletzt lösen sich die Melodien auf, „verwehen“ gleichsam über der Steppe, deren Weite vielleicht durch den fast durchgehenden, tinnitusartigen hohen pp-Streicherton angedeutet wird. Wunderbares Flötensolo, herrliche Cellokantilene: die Sinfoniker präsentierten sich makellos.

Der aus Tübingen stammende Dirigent Moritz Gnann studierte Dirigieren in Berlin und Dresden, absolvierte Meisterkurse u.a. bei Sir Simon Rattle und Christian Thielemann. Er war u.a. in Aachen, Lissabon, an der Deutschen Oper Berlin und von 2010-2016 in Bayreuth tätig. Als Assistent von Andris Nelsons kam er nach Boston, wo er das Boston Symphony Orchestra auch selbst dirigiert hat. Inzwischen gastiert er u.a. beim Philharmonischen Orchester Kiel, bei den Belgrader Philharmonikern, beim Dallas Symphony Orchestra, beim BBC Philharmonic Orchestra, bei den Hamburger Symphonikern.
Das Klavierkonzert des damals 25jährigen Edvard Grieg, sein einziges, gilt als eines der schönsten Konzerte der Romantik, dabei war der Komponist eigentlich mehr mit der kleinen Form verbunden. Stark beeinflusst durch die norwegische Folklore, wurde er berühmt mit seinen Klavierstücken, Tänzen und Liedern. Mit 15 Jahren begann das Kompositions-Studium in Leipzig u.a. bei Carl Reinecke, dem ehemaligen Chordirektor des Barmer Singvereins.
„Schon im ersten Satz kommt diese Frische und dieses nordische Licht sehr sehr gut zum Vorschein“ sagte Herbert Schuch kürzlich im Bayrischen Rundfunk. Mit Verve und ausladender Körpersprache begann er den furiosen ersten Satz mit kurzem Paukenwirbel und den abstürzenden Kaskaden vollgriffiger Akkorde bis hin zum kräftigen 1. Thema. Bei ausgeprägter Agogik entwickelte sich dank klaren und inspirierenden Dirigats das spannungsreiche, fast rhapsodische Wechselspiel zwischen Klavier und Orchester. Die Kadenz am Ende des Satzes war ein Höhepunkt. Die Wechsel zwischen donnernden Klavierakkorden und beseeltem Pianissimo führte zu Gänsehaut. Franz Liszt soll in Rom dieses Konzert vom Blatt gespielt haben, vielleicht eine Legende.
Im 2. Satz perlte das Klavier nach langem Orchestervorspiel über dem reinen Wohlklang des Streicherteppichs. Bewegte Klavierarpeggien, Kontrabass-Pizzikati, Sextolen, Quintolen der Streicher umspielen in diesem lyrischen Satz die Melodien. Im 3. Satz paraphrasiert Grieg einen akrobatisch-athletischen norwegischen Tanzes (Halling). Dabei stampfen Klavier und Orchester immer wieder auf betonten bzw. unbetonten Taktzeiten energisch gegeneinander. Solche Musik -alles andere als „weichlicher Skandinavismus“ – bewegte als Ausdruck innerer Energie das faszinierte Publikum, obwohl die brillante Kadenz am Ende teilweise in dem mächtigen Orchester unterging. Tobender Applaus, Bravi, Pfiffe – der Jubel wollte nicht enden. Auch Blumen gab es für Herbert Schuch, der sich mit dem bewegenden Impromptu op 90,3 von Franz Schubert bedankte.
Herbert Schuch, 1979 in Rumänien geboren, kam als10 jähriger nach Rosenheim, als 12jähriger ans Mozarteum in Salzburg, gewann drei Mal „Jugend musiziert“ und zahlreiche weitere Preise. Er spielt mit den bedeutenden Orchestern Europas zusammen und engagiert sich ehrenamtlich für „Rhapsody in School“, um jungen Menschen die klassische Musik zu vermitteln. Noch jüngere begeistert er in Konzerten wie “Dampfnudel mit Klarinettenstrudel”- wie letzten Sommer bei dem Boswil Festival in der Schweiz
Nach der Pause erklang Tschaikowskys 1. Sinfonie, mit der er sich schwergetan hat. Freunde mäkelten an ihr herum. Rubinstein führte sie zunächst nicht vollständig auf. Hat der 26-Jährige damals wirklich seine tief romantische russische Seele offenbart? „Winterträume“ hat Tschaikowsky die Sinfonie genannt. Aber hört man hier tatsächlich den russischen Winter – oder drücken sich in dieser Musik alptraumartige Gemütsbewegungen des Komponisten aus, der über Schlafstörungen klagte, von Selbstzweifeln geplagt war, gegen Lebensangst ankämpfte und seinen Alltag kaum bewältigte. „Ich bin nutzlos, ich bin eine Null“ äußerte er unter der Komposition.

Unter leisen Streichertrillern landet das Thema über die Bratschen schnell bei den Kontrabässen. Orchesterschläge, hektische Holzbläser souveräne Hörner bestimmten – unter dem deutlichen und exakten, gleichwohl inspirierendem Dirigat des souveränen, gelegentlich sehr ernsten, nun auswendig dirigierenden Moritz Gnann – den schnellen ersten Satz. Lyrisch und gesanglich -wunderbar auch Bratschen- und Violoncello-Kantilen- erklang später groß und weich das Horn Solo. „Land der Öde, Land der Nebel“ ist der Satz überschrieben. Intensive Cescendi des gesamten Orchesters wechseln mit kammermusikalisch anmutenden Streichern. Im 3. Satz scheint sich die Stimmung im flotten Dreiertakt des Mittelteils aufzuhellen. Und zuletzt zeigt sich die Vorliebe Tschaikowskis für lärmende, effektvolle Finali. Nach triumphaler Schlussapotheose und Stretta des großen Orchesters zeigte sich das Publikum erneut begeistert und feierte den Dirigenten wie das Orchester lange.
Johannes Vesper, 18. November 2025
Alexander Borodin: Eine Steppenskizze aus Mittelasien
Edvard Grieg: Klavierkonzert a-Moll op.16,
Peter Tschaikowsky: Sinfonie Nr. 1 g-Moll op.13 „Winterträume“
3. Sinfoniekonzert
Historische Stadthalle Wuppertal
16. November 2025
Herbert Schuch, Klavier
Musikalische Leitung Moritz Gnann
Sinfonieorchester Wuppertal
Das Konzert wurde vom WDR 3 mitgeschnitten und soll am Donnerstag, 13. März 2026 gesendet werden.