Anlässlich des 75-jährigen Jubiläums des Theaters Krefeld und Mönchengladbach schuf Robert North einen Ballettabend mit sieben neuen Choreografien. Die Stücke sind zum einen ein Sinnbild des Lebens und blicken zum anderen auf die Ballettgeschichte des niederrheinischen Gemeinschaftstheaters zurück, die Robert North und seine Ehefrau Sheri Cook in den letzten Jahrzehnten maßgeblich mitgestalten durften. Jubel und Lebensfreude, Klage und Trauer, Traum und Erinnerung. All dies findet sich in den kurzen Choreografien wieder, ebenso wie das Thema Abschied. Musikalisch wird der rund zweistündige Ballettabend von den Niederrheinischen Sinfonikern begleitet. Sie finden unter der musikalischen Leitung von Giovanni Conti auf der hinteren Bühnenfläche Platz. Somit sind die Zuschauer den Tänzerinnen und Tänzern noch näher, da der Orchestergraben als Bühne genutzt werden kann.

Robert Norths besonderen Stil findet man gleich im ersten Stück des Abends wieder. Zu Auszügen aus der Suite des Balletts Lysistrata von Boris Blacher präsentiert er große Choreografien mit dem gesamten Ensemble. Es tanzen achtzehn Ensemblemitglieder in den verschiedensten Formationen. Besonders beeindruckend ist die Synchronität der großen Gruppennummern. Mit vielen Sprüngen und ständigen Auf- und Abgängen von der Seitenbühne sorgt die Choreografie mit dem Titel Willkommen für einen schwungvollen Start in den Abend – musikalisch wie tänzerisch. Anschließend geht es mit Benjamin Brittens Young Apollo und dem Thema Freundschaft weiter. Francesco Rovea, Andrii Gavryshkiv und Duncan Anderson verkörpern den jungen Gott Apollo, der mit zwei Freunden jugendlich verspielt durch die Landschaft streift. Auch hier sind die Choreografien punktgenau und verschmelzen mit der Musik zu einer kleinen Geschichte.

Allgemein legt North viel Wert darauf, dass in seinen Werken kleine Geschichten erzählt werden. Diese sind mal etwas abstrakter, wie in Freundschaft, mal aber auch sehr konkret, wie im folgenden Stück mit dem Titel Arbeit. Zwei „unermüdliche” Choreografen (Flávia Harada und Illya Gorobets) ordnen neun weitere Tänzer und Tänzerinnen auf der Bühne immer wieder neu an, bis am Ende das perfekte Schlussbild entsteht. Parallelen zur Arbeit von Robert North und Sheri Cook sind durchaus beabsichtigt. Hierzu erklingt das Concertro grosso von André Parfenov, welches er extra für diesen Abend komponiert hat. Parfenov verbindet eine enge Zusammenarbeit mit dem Ballett am Theater Krefeld und Mönchengladbach, und diese Komposition ist sicherlich ein kleines Highlight der letzten Jahre. Gleichzeitig begleitet der Komponist auch diesen Abend wieder vom Flügel. Noch vor der Pause folgt mit der herzergreifenden Choreografie Klage eine deutlich tragischere Geschichte. Zur Musik von Henryk Górecki wird die Geschichte einer Familie erzählt, in der ein junger Mann als Soldat in den Krieg zieht und dort stirbt. Während die Familie zu Beginn noch fröhlich vereint ist, sorgt schon das Abschiednehmen des jungen Soldaten für ein beklemmendes Gefühl. Nach seinem Tod an der Front ist es Victoria Hay, die als trauernde Mutter Schmerz und Verzweiflung beeindruckend intensiv darstellt. Im weiteren Verlauf gesellen sich immer mehr Mütter zu ihr, die ebenfalls ihre Kinder im Krieg verloren haben. In Kombination mit dem Gesang der Sopranistin Lisa Kaltenmeier stockt einem hier vor der Pause wahrlich der Atem.

Nach der Pause folgt mit Alptraum eine Choreografie in Form eines alten Hitchcock-Thrillers. Ein junger Mann mit Suizidgedanken (Marco A. Carlucci) gerät in die Fänge des Todes (Teresa Levrini), der ihn im Verlauf des Stücks immer stärker umgarnt. Zur Musik von Alfred Schnittke entfaltet sich hier eine weitere kleine Geschichte, für die Udo Hesse ein passendes Bühnenbild entworfen hat. Mit einfachen Mitteln wie einem abgeschrägten Tisch erzielt er eine große Wirkung. Für die Kostüme des Abends griff Udo Hesse übrigens bewusst auf Teile des Fundus zurück, sodass hier noch einmal viele Kostüme aus großen North-Choreografien der letzten Jahre zu sehen sind. Besonders deutlich wird dies im vorletzten Werk des Abends mit dem Titel Abschied. Nach einem sehr gut gemachten Video, das das Choreografen-Ehepaar auf seinem Weg ins Theater zeigt, treten Irene van Dijk und Alessandro Borghesani als Sheri und Robert äußerst eindrucksvoll direkt aus dem Film auf die Bühne. Hier zeigen sie einen tief emotionalen Pas de deux zum Klavierkonzert Nr. 1 G-Dur von Maurice Ravel. Am Ende werden beide von „ihren Figuren“ der letzten Jahre eingerahmt.

Mit der Fiesta folgt am Ende eine weitere große Ensemblenummer, die das 75-jährige Theaterjubiläum aufgreift und den Abend mit einem großen Lamettaregen ausklingen lässt. Besonders schön hierbei ist, dass zum Ende hin das gesamte Ensemble in den Rollen der sechs zuvor gezeigten Choreografien gemeinsam auf der Bühne steht. Die fast filmmusikalische Komposition Huapango von José Pablo Moncayo zählt für mich persönlich zu den schönsten musikalischen Entdeckungen der letzten Jahre, die man sofort ins Herz schließt, obwohl man zuvor noch nie von ihr gehört hat. So endet ein gelungener Ballettabend, der leider nur noch dreimal zu sehen sein wird, unter großem Jubel des anwesenden Publikums. Nach 18 Jahren als Ballettdirektor wird Robert North dem Publikum in den nächsten Spielzeiten weiterhin jeweils eine neue Choreografie schenken. Somit ist sein Abschied mit dieser Produktion gleichzeitig ein Neubeginn, der einen erfolgreichen Weg fortsetzt und gleichzeitig Raum für neue Impulse schafft.
Markus Lamers, 11. Dezember 2025
Überraschung
Ballettabend von Robert North mit Musik von Boris Blacher, Benjamin Britten, André Parfenov, Henryk Górecki, Alfred Schnittke, Maurice Ravel und José Pablo Moncayo
Theater Krefeld
Uraufführung in Mönchengladbach: 5. April 2025
Premiere in Krefeld: 26. Oktober 2025
besuchte Vorstellung: 10. Dezember 2025
Choreografie: Robert North
Musikalische Leitung: Giovanni Conti
Niederrheinische Sinfoniker
Trailer
Weitere Aufführungen: 19. Dezember, 20. Dezember und 21. Januar