Große Oper für Kinder – das gibt es in der Oper Wuppertal seit 2017 immer wieder. Jetzt wurde die gekürzte Fassung für alle ab 6 Jahren am 2. Weihnachtsfeiertag aufgeführt: eine willkommene Pause zwischen Geschenken, Essen, Netflix und verbratener Lebenszeit dank Social Media. Von drei auf 1 1/4 Stunde gekürzt, bleibt bei der furiosen Handlung zwischen Liebe, Geldgier und Intrige keine Zeit für Langeweile. Die Handlung wird von den Sängerinnen und Sängern direkt von der Bühne aus erzählt. Übertitel erleichtern das Verständnis zusätzlich. Kinder kennen den Barbier aus dem „Barbershop“, der an jeder Ecke auf sich aufmerksam macht. Aber den Barbier von Sevilla also Il barbiere di Siviglia lernen sie nur im Opernhaus kennen und sie kamen zahlreich, erwarteten in der gespannten Stille die Ouvertüre, wunderten sich, dass das Orchester so tief im Graben sitzt und bekamen den ersten Theatereindruck, als Figaro (noch stumm) vor dem Vorhang großspurig umher stolziert und nach und nach den anderen Sängern pantomimisch durch den Spalt des noch geschlossenen großen Vorhangs auf die Bühne half.

Er spielte sich sogleich in die Herzen des jungen Publikums, welches sichtlich aufgetaut war als nach der Ouvertüre zur Interaktion aufgefordert wurde: Klatschen, Pfeifen, Bravo zu rufen oder sogar auf Handzeichen mit ihm zu singen. Seine berühmte Vorstellungsarie, in der der Kuppler seinen ganzen Witz, Humor und seinen Schalk schauspielerisch wie stimmlich glänzend (Benjamin Russel a.G.) präsentierte, stimmte ein auf das emotionale Durcheinander zwischen der schönen Rosina, dem verliebten, später verkleideten Grafen Almaviva, dem Musiklehrer, und den Eitelkeiten des alten, kleinschrittigen Dr. Bartolo. Dieser war in zu großem Mantel sehr komisch und probte zur Gesangstunde seiner Pflegetochter mit dem jungen Publikum mit dem jungen Publikum vorab das Singen, bevor er im Schaukelstuhl einschlief und nicht mitbekam, dass Almaviva sich als Gesangslehrer eingeschlichen hatte, um der Geliebten nahe sein zu können.
Stimmlich souverän war Oliver Weidinger als Dr. Bartolo und in seiner Bühnenpräsenz das reine Vergnügen. Es folgte ein Höhepunkt nach dem anderen stets unterbrochen von lebhaftem Applaus. Rosina bekam von Beginn an mit, was lief, was ihr Onkel mit ihr vorhatte. Mit von der Schneiderin (Xia Wang a.G) eigens angepasstem weiten Rock und Oberteil bemerkte und erwiderte sie sehr bald die zärtlichen Gefühle des Grafen Almaviva, der sie mit klarer, ansprechender Stimme (Jongyoung Kim) umwarb und später auch als verkleideter betrunkener Soldat Lindoro seine Wirkung auf Rosina nicht verfehlte. Ihr eleganter, beweglicher, heller Mezzosopran Rosamond Thomas, Opernstudio NRW) bot stets wohlklingende Orientierung.
Mit zeitlosen Kostümen (Petra Korink), Rundbogenarchitekturund Treppen in verschiedenen Ebenen (Bühnenbild Maira Bieler) konnte Sevilla assoziiert werden, wobei das Durcheinander der Gefühle auch die an sich stabile Architektur in Auf- und Ab Bewegungen versetzte, leider nur mit nicht zu überhörenden Fahrgeräuschen der Bühnenmaschinerie.
Der grandiose Schlusschor des 1. Aktes forderte musikalisch alle Beteiligten erheblich, die Solistinnen und Solisten sangen gegen- und durcheinander jeder/jede über die eigenen Gefühle. Es wurde von heftigem Kopfscherzen gesungen, nicht nur als Folge des emotionalen Stresses, sondern möglicherweise auch als Ausdruck der aufkommenden Schwerindustrie und deren Lärm zurzeit. Uraufführung (1816).
Das musikalisch heikle, furiose Chaos wurde von Kyungabe Ju – seit Beginn dieser Spielzeit im Team – am Pult gekonnt zusammengehalten und dynamisch durch die berühmten Rossini-Walzen (aufregende Crescendo Spiralen) bedingt nicht nur durch die Spielweise, sondern auch durch zunehmende Instrumentierung, Steigerung des Tempos und Wiederholungen verschiedenster Motive) in einer Weise intensiviert, dass die Kinder mit offenen Mündern nach vorne auf die Kanten der Opernsessel rutschten. Frenetischen Applaus gab es zur Pause. Im 2. Akt wird der Musiklehrer mit Geld vertrieben und es bleibt unklar, ob Rosina wirklich ihren Traumprinzen liebt oder nur benutzt, um ihren Vormund zu entkommen. Liebenswerte Boshaftigkeit eher als innige Liebe kennzeichnen diese Oper als Gegenstück zur tristen Alltagswelt. Wie dem auch sei: Zum Schluss gab es riesigen Applaus für das gesamten Ensemble, den Dirigenten und das Orchester. Im Foyer konnten die Kinder sich mit Sängerinnen und Sänger fotografieren lassen. Welch anregendes und besonderes Erlebnis am 2. Weihnachten für die ganze Familie!
Ob die erwachsenen Besucher sich durch diese Turbo- Version zu einem Besuch der originalen Oper in voller Länge angeregt fühlten? In den Gesprächen auf dem Weg zum Ausgang scheint die gekürzte Fassung weniger eine Konkurrenz zu Originalfassung zu sein, sondern eher Interesse und Neugier auf die vollständige Version zu wecken
Johannes Vesper, 29. Dezember 2025
Il Barbiere die Siviglia
Gioachino Rossini
Oper Wuppertal
26. Dezember 2025
Regie: Marie Robert
Musikalische Leitung: Kyungabe Ju
Sinfonieorchester Wuppertal