Die Schweizer Sopranistin Regula Mühlemann durfte sich zusammen mit ihren musikalischen Partnerinnen Tatiana Korsunskaya am Klavier und der Klarinettistin Rita Karin Meier sowie dem Hornisten Konstantin Timakhine (Natur- und Alphorn) über einen strahlenden Erfolg ihres Liederabends im Opernhaus Zürich freuen. Unter dem Titel „Lieder der Heimat“ nahm sie das Publikum mit auf eine Entdeckungs-Reise durch das Liedschaffen von diversen Schweizer Composer aus dem nahen Ausland (Schubert, Rossini, Liszt und – als Zugabe – Gustav Mahler), die in ihren Vertonungen die warmen Heimatgefühle ausdrückten in der musikalischen Schilderung von Landschaften, Gefühlen und Menschen. Regula Mühlemann hatte sich zusammen mit der Pianistin in aufwändiger Kleinarbeit durch das riesige Archiv eines privaten Sammlers gearbeitet, und die beiden stießen so auf die nun präsentierten Trouvaillen aus dem im 19. und frühen 20. Jahrhundert. Das zur damaligen Zeit reichhaltige Schaffen im Bereich des Kunstliedes, hat es heutzutage oft schwer, sein Publikum zu finden. Nicht so gestern Abend im Opernhaus Zürich. Für diesen Liederabend musste wegen der großen Nachfrage nach Karten sogar der zweite Rang geöffnet werden, der normalerweise selbst bei sehr prominenten Künstlern auf dem Podium geschlossen bleibt.
Regula Mühlemann moderierte den Abend mit sympathischen, witzig-launigen und persönlichen Anmerkungen zu den einzelnen Blöcken und präsentierte ein vielfältiges, klug durchdachtes und im dramatischen Ablauf subtil austariertes, finessenreiches Programm. Ihre leuchtend und strahlend rein intonierende Sopranstimme führte sie mit untrüglichem Stilbewusstsein, exemplarischer Diktion und Phrasierungskunst, dabei stets überaus geschmackvoll gestaltend, nie forcierend oder gar chargierend durch die ausgewählten Werke. Aufhorchen ließen die wunderschönen Lieder von Wilhelm Baumgartner, Othmar Schoeck (der bekannteste Schweizer Name des Programms) mit dem Lied In der Ferne, von Regula Mühlemann sehr intensiv mit dramatischen Ausdruck dargeboten. Von Richard Flury lernte man die Miniatur „Wandern mit dir“ kennen, von Emil Frey das wunderschön impressionistisch angehauchte Lied „Junges Mädchen in den Bergen“. Auch Vertonungen von Texten in Schweizer Mundart waren zu erleben und wurden vom Publikum sehr dankbar aufgenommen: Richard Langers simplizistisch-naives Lied „Edelwyss“ und Friedrich Nigglis voll mit den so heimatlich-vertraut klingenden Diminutiven „Stärnli Äugli, Schybli…“ im Lied „Plange“.
Nach der Pause ertönten dann völlig aus dem Dunkel heraus zuerst die warm ums Herz machenden Naturtonreihen des Alphorns (wunderbar: Konstantin Timakhine), bevor Regula Mühlemann lupenrein und ohne Begleitung mit dem Guggisberg-Lied einsetzte: „S‘ isch äben e Mönsch uf Ärde, Simelibärg!“ Vor der Pause jedoch überließ sie noch ihrer fantastischen Pianistin und sorgsamen Liedbegleiterin Tatiana Korsunskaya allein die Bühne, welche mit weich perlendem Anschlag die glitzernde Wasseroberfläche des Walensees evozierte, mit Franz Liszts „Au lac de Walenstadt“.
Abgeschlossen wurde der erste Konzertteil mit Schuberts „Auf dem Strome“, zu dessen Interpretation Regula Mühlemann Konstantin TImakhine mit seinem Naturhorn auf die Bühne bat, der die Spielweise und den Klang dieses diffizil zu spielenden Instruments kurz und amüsant beschrieb. Der dramatisch-wehmütige Impetus dieses Liedes von Schubert wurde von den drei Ausführenden Regula Mühlemann, Tatiana Korsunskaya und Konstatin Timakhine mit grandioser musikalischer Eindringlichkeit gestaltet. Nach dem bereits erwähnten „Guggisberg-Lied“ kamen nach der Pause auch die restlichen drei Schweizer Landessprachen zu ihrem verdienten Platz in der Heimat!
Die beiden Lieder der Genfer Komponistin Marguerite Roesgen-Champion verströmten von Debussy, Ravel und Fauré inspirierte impressionistische Finesse. Diese beiden wunderbaren Lieder machten neugierig auf weitere Kompositionen der Westschweizerin. Geborgenheit und das Herz beglückende Frühlingsgefühle verbreiteten die beiden auf rätoromanischen Texten Fußenden Lieder von Walther Geiser, Prümavaira und Dorma. Da Italien (und damit auch das Tessin) nach den Eindrücken von Regula Mühlemann das Kunstlied weniger gut kennt (dafür das Volkslied umso stärker), wurde sie für den italienischen Teil des Heimat-Programms zuerst bei Schubert fündig, mit dem anmutigen, mit fein hingetupften Fiorituren versehenen Lied Schuberts „La pastorella al prato“ und bei Rossinis beschwingt ebenfalls die Schäferinnen-Idylle schildernden „Pastorella dell’Alpi“, in welcher Regula Mühlemann mit bezaubernder Stimmakrobatik brillieren konnte und Tatiana Korsunskaya wunderbar tänzerisch und leichtfüßig dem Klavierpart Leuchtkraft verlieh. Das gedruckte Programm beschlossen Regula Mühlemann, Tatiana Korsunskaya zusammen mit der Klarinettistin Rita Karin Meier mit Schuberts Der Hirte auf dem Felsen; die drei Künstlerinnen sponnen dabei wunderbare Duette und Terzette, durchschritten im Sinne von Per aspera ad astra stimmungsvoll die Rauheit und die Trauer, stiegen dann auf zu jubelnden Frühlingsgefühlen – und dieser romantische Frühlingsjubel musste natürlich als erste Zugabe für das begeistert applaudierende Publikum wiederholt werden. Doch damit nicht genug: Als zweite Zugabe folgte eine von Konstantin Timakhine kunstvoll arrangierte und gekürzte Version für Klavier, Klarinette und Naturhorn von Gustav Mahlers Schlusssatz aus der vierten Sinfonie: Das himmlische Leben aus „Des Knaben Wunderhorn“. Ein perfektes und wunderschön ruhig verklingendes Ende eines Liederabends, der lange nachhallen wird. Man hofft doch sehr, Regula Mühlemann hier in Zürich bald auch auf der Bühne in einer Opern-Premiere erleben zu dürfen!
Kaspar Sannemann 3. Februar 2023
Zürich, Opernhaus
Regula Mühlemann
Liederabend
1. Februar 2023
Lieder von Franz Schubert, Wilhelm Baumgartner, Othmar Schoeck, Richard Flury, Emil Frey, Richard Langer, Friedrich Niggli, Franz Liszt, Anonymus (Guggisberg-Lied), Marguerite Rosegn-Champion, Walter Geiser, Gioachino Rossini
Klavier: Tatiana Korsunskaya
Klarinette: Rita Karin Meier
Alp-Horn: Konstantin Timakhine