Koblenz: „La Traviata“, Giuseppe Verdi

Lieber Opernfreund-Freund,

Verdis La Traviata, die auch nach 170 Jahre nach ihrer Uraufführung noch immer zu den drei am meisten gespielten Opern der Welt gehört, ist seit gestern am Theater Koblenz zu erleben. Anja Nicklich und ihr Team haben sie in eine stimmungsvolle Inszenierung gegossen, das emotionsgeladene Dirigat von Marcus Merkel und die blendend disponierte Sängerriege machen die Premiere perfekt.

(c) Matthias Baus

Als Rückblick einer Sterbenden erzählt die Koblenzer Operndirektorin Anja Nicklich die Geschichte der totkranken Kurtisane, schwankt in ihrer Inszenierung zwischen Erinnerung, Traum und Alptraum. Dazu hat sich Bühnenbildnerin Antonia Mautner Markhof eine Einheitskulisse voller morbidem Charme ausgedacht, Violettas Entourage wird von Bernhard Hülfenhaus in historisch anmutende Kostüme gesteckt und hat optisch die besten Tage auch schon hinter sich, erscheint in toller Maske: der blendend disponierte Chor (Einstudierung: Karsten Huschke) erinnert an das Gruselballett in Polanskis Tanz der Vampire, Douphol (Nico Wouterse mit klangvollem Bariton) kommt als haariger Werwolf daher. Nicklich stellt Violetta ganz ins Zentrum ihrer Deutung, lässt die Bedauernswerte am Ende alleine sterben. Alfredo samt Vater und alle Wegbegleiter erreichen sie nicht mehr – und entspringen ohnehin vielleicht nur ihrer Phantasie. Das rührt an und macht betroffen, ohne in oft üblichen Kitsch abzugleiten.

(c) Matthias Baus

Von dem befreit der junge Marcus Merkel, seit dieser Saison Chefdirigent am Theater Koblenz, auch die Partitur, schafft – auswendig dirigierend! – mitunter beinahe kammermusikalische Intimität, die sich mit eindrucksvollem Klangbombast voller Italianità abwechselt. Adriana Ferfecka ist einen eindrucksvolle Violetta, die mich mit ihren seiden klingenden Höhenpiani ebenso zu Tränen rührt wie mit ihrem intensiven Spiel. Ihr zur Seite glänzt Matteo Desole als Alfredo, überzeugt mit seiner lyrischen Stimme und seiner hohen Emotionalität gleichermaßen, verfügt dazu über eine so strahlende wie sichere Höhe. Als Retter der gestrigen Premiere darf Aris Argiris gelten, der buchstäblich in letzter Minute (die einzige Anspielprobe fand noch 15 Minuten vor Vorstellungsbeginn statt) für den erkrankten Dmitry Lavrov einsprang und mit sonorem, facettenreichen Bariton einen Germont zwischen Kaltherzigkeit und väterlicher Liebe auf die Koblenzer Bühne zaubert.

(c) Matthias Baus

Das Publikum im ausverkauften Haus reißt es am Ende von den Sitzen, dankt den Protagonisten auf, vor und hinter der Bühne den eindrucksvollen Abend mit tosendem Applaus. Und auch ich bin – Sie merken es – voll des Lobes und kann diese Traviata jedem Opernfreund nur ans Herz legen.

Ihr Jochen Rüth, 5. Februar 2023


La Traviata

Giuseppe Verdi

Theater Koblenz

Regie: Anja Nicklich

Dirigat: Markus Merkel

Staatsorchester Rheinische Philharmonie