Premiere am 12.6.2022
Ehrt eure deutschen Meister nicht, verhunzt mir ihre Kunst
Der gewissenhafte Rezensent wartet nicht auf den Premierenabend, um sich ein Bild von einer Neuinszenierung zu machen, er versucht bereits im Vorfeld aus Interviews, Vorabankündigungen und sonstigem Material etwas über die Intentionen eines Regieteams zu erfahren und ist dann am Premierenabend oft bass erstaunt und manchmal auch erfreut darüber, wie wenig von den hochgestochenen Plänen noch am Premierenabend wahrnehmbar ist. Ohne die Lektüre des Programmhefts weiß der arglose Opernbesucher meistens gar nicht, was alles Schreckliche man sich eigentlich vorgenommen hatte.
Vorab äußerte sich auch der Regisseur der neuen Meistersinger an der DOB, Jossi Wieler :„Hierarchie, Macht, Missbrauch. Das ist, was uns interessiert.“ Und „die Me- Too-Skandale“ bleiben natürlich nicht unerwähnt. Na klar, in der Schusterstube wird dergleichen ganz deutlich in Evchens Worten: „….was wär ich ohne dich….erwecktest du mich nicht?“
Von der „unsäglichen Schlussapotheose durch die Figur des Hans Sachs“ ist die Rede, und deren Aussage kann man natürlich nur gutheißen, wenn man weiß, dass durch die Wahl des jeweiligen deutschen Königs auch durch drei Erzbischöfe der Einfluss des Papstes diesseits der Alpen ein nicht zu unterschätzender und oft missbrauchter war, dass ausländische Fürsten versuchten, durch Bestechung der Kurfürsten die Macht in Deutschland zu erhalten, dass der deutsche König als Kaiser des Heiligen Römischen Reichs mehr mit „welschen“ als deutschen Angelegenheiten befasst war, dass die deutsche Sprache der Verachtung preisgegeben war- und im Unterschied zu Hans Sachs müsste das Regieteam Kenntnis davon haben, dass im auf ihn folgenden Jahrhundert sich ausländische Heere 30 Jahre lang auf mitteleuropäischem Boden austobten. Eigentlich dürfte dem Regieteam auch nicht entgangen sein, dass die Premiere der Meistersinger stattfand, ehe die Reichseinheit erreicht war. Wenn von der „antisemitischen Figur des Beckmesser“ die Rede ist, dann unterstellt man, dass dessen unangenehme Eigenschaften typisch jüdische seien.
Ein ganz schlimmer Vorwurf ist natürlich, „wie wenig seine (Sachs‘) Manipulationen den Träumen der jungen Leute heute gerecht werden“ – Schande über Hans Sachs und Schande über Richard Wagner, die keine Rücksicht darauf nahmen, die Träume junger Leute von heute nicht 500 bzw. 150 Jahre zuvor bereits vorausahnten und berücksichtigten. Durchaus zumuten allerdings dürfte man den jungen Leuten von heute, sich in die Menschen vergangener Jahrhunderte hineinzuversetzen und sich zu bemühen, sie zu verstehen. Das kann ganz ungemein bereichern! So aber wird einmal mehr und längst mit Überdruss zur Kenntnis genommen, dass wieder einmal alles ins geschichtslose Jetzt und charakterlose Hier, in diesem Fall in eine heutige Musikakademie, versetzt wird. Aus Figuren, die in ihrer Zeit und ihrem Ambiente unseren Respekt, oft auch unsere Liebe verdienen, werden zu Deppen oder Finsterlingen.
Oft kommt es nicht so schlimm, wie es Vorabäußerungen befürchten ließen, und diese Hoffnung nährte auch die Rezensentin, bis ihr, sicherlich als eine freundliche Geste und Zeichen der Fürsorglichkeit gedacht, die Pressestelle vorab das Programm zu den Meistersingern zuschickte. Darin befindet sich auch eine „Inhaltsangabe“ von Jossi Wieler, in der zu lesen ist: „In Dr. Pogner’s (falsch gesetzter Apostroph) Privat-Konservatorium. Pogner möchte das von ihm gegründete und geleitete Institut der öffentlichen Hand übergeben…..Sein Nachfolger muss in die Ehe mit seiner Tochter Eva einwilligen, über die er die Geschicke des Instituts auch nach seinem Rückzug mitzugestalten gedenkt. Dass Eva ein heimliches Verhältnis mit dem an seinem Institut angestellten Musik-Dozenten und Therapeuten Hans Sachs pflegt, weiß er nicht.“ Der Schluss der „Inhaltsangabe“ lautet: „Walthers Vortrag entzückt alle Anwesenden, doch die Pogner-Nachfolge schlägt Walther aus.“ Da wurde flugs aus einer schlüssigen, interessanten, historisch und geographisch solide verankerten Geschichte eine trübe Vorlage für eine RTL-ZWEI-Reality-Show.
Der Einheitsschauplatz für Kirche, Johannisnacht, Schusterstube und Festwiese ist ein nüchterner Mehrzweckunterrichtsraum im Stil der Dreißiger, in dem man auch noch den Flügel aus dem Ring unterbringen konnte, die Kostüme könnten aus dem Fundus sein, voriges Jahrhundert, bunt und in keiner Weise unverwechselbar. Für beides werden nur Ko-Bühnenbildner bzw. Ko-Kostümbildnerin angeführt. Dafür gibt es neben Jossi Wieler mit Anna Viebrock und Sergio Morabito noch zwei weitere für die Inszenierung Verantwortliche.
Während im ersten Akt Musikstudenten von ihren Professoren schikaniert werden, die Freiung Stolzings hingegen ihren beinahe schon gewohnten Gang nimmt, wechselt man im zweiten Akt zwischen Vögeln und Prügeln, im Hintergrund die entfesselten Studenten, im Vordergrund Sachs und Eva, die ein rechtes Flittchen zu sein scheint, und da Sachs schließlich Schuster ist, wird ein Sack voller Badelatschen über die Bühne gekippt. Am Schluss liegt Sachs temporär bewusstlos am Boden, wo Stolzing bis zum Sinken des Vorhangs verharrt. Es gab dann noch einen dritten Akt, den die Rezensentin sich nicht zumuten wollte, denn wie sollte es für die Festwiese noch Steigerungen geben, was war vom Schlussmonolog Sachs#, den die Inhaltsangabe für nicht erwähnenswert hielt, noch zu erwarten, war doch die Antipathie der Regie gegenüber dieser eigentlichen Lichtgestalt der Opernliteratur aus jeder Zeile des vorab Geäußerten unüberhörbar ? Wenn es wenigstens neben versagter Augen- eine tröstliche Ohrenweide gegeben hätte. Generalmusikdirektor Donald Runnicles hatte wegen einer kranken Schulter die Produktion absagen müssen. Oder war es sein Rückgrat gewesen, das ihn lieber Verzicht üben und nicht Protest laut werden ließ? Das ist freilich reine Spekulation, mag sich der Gedanke noch so sehr aufdrängen. Nun drang aus dem Orchestergraben, in dem Markus Stenz wirkte, ein fast Dauerforte ohne Rücksicht auf Detailverluste, auf das Aufblühen feiner Stimmungen, und wenn es so richtig turbulent werden sollte, war kaum noch eine Steigerung möglich. Augen zu und durch war also auch nicht zu empfehlen. Dabei hätten die Sänger es fast durchweg verdient, durch die Regie und die Begleitung mehr Unterstützung zu erfahren. Mit ausgesprochen schönen Stimmen konnten die beiden Damen prunken, Heidi Stober mit einem strahlenden, warm und rund wirkenden Sopran als Eva, Annika Schlicht mit einem dunkel glühenden Mezzosopran aus einem Guss für die Lene. Einen hochkultivierten Bariton schöner Farbe setzte Philipp Jekal für den Beckmesser ein und konnte gegenüber einem von der Regie nicht geliebten Sachs sogar Sympathiepunkte sammeln. Johan Reuter musste mit greller Kleidung und Barfüßigkeit zeigen, dass er nur in Äußerlichkeiten aus der Menge der Meister hervorstach. Sein Fliedermonolog, obwohl schön gesungen, ging fast unter und bekam noch nachträglich jede Poesie abgesprochen, wenn sich David und Beckmesser eines Fliederstraußes als Prügel bedienten. Etwas hohl klang der Bass von Albert Pesendorfer, der einen eitlen Gecken als Pogner geben musste, höchst sonor die Stimme von Thomas Lehman als Kothner. Hoch musikalisch verhielt sich Ya-Chung Huang als vorbildlich textverständlicher David mit genau der richtigen frischen Tenorstimme für sein Fach. Der Tenor von Klaus Florian Vogt hat in den letzten Jahren viel an Metall gewonnen, hat aber nichts an Schmelz verloren, und auch optisch war er ein sehr attraktiver Stolzing , erfreute sich offensichtlich auch der Sympathie des Regieteams und blieb ungeschoren von den Schöngesang gefährdenden Einfällen. Kein Wunder, dass Evchen für ihn Sachs sausen ließ. Sein Preislied hätte man gern gehört.
Was tut man mit einem angebrochenen Abend? In diesem Fall konnte man die DVD mit der Götz-Friedrich-Inszenierung von der DO aus dem Schrank holen und eine zu Herzen gehende Schusterstube und eine glanzvolle Festwiese genießen, ja, auch ein „Verachtet mir die Meister nicht “ ohne Wenn und Aber und ohne falsche Verdächtigungen.
Ingrid Wanja / 12.6.2022
Fotos Thomas Aurin