Uraufführung am 17.1.2019
Stilmix als Prinzip
Dem Puristen ein Graus, war es allen anderen ein neunzigminütiger vergnüglicher Abend mit den schönsten Liedern der Romantik, von Mondnacht über Wehmut zu Mignon und dem Wanderburschen, neu arrangiert und aus dem Orchestergraben begleitet von der Musicbanda Franui, dargestellt von den Masken der Familie Flöz, getanzt von Paul White und mit einem Film von Mats Süthoff. Damit nicht genug, gegen Ende gab es, vielleicht als Vorschau auf eine der Premieren der Saison gedacht, die Sinfonia und die zweite Arie der Gilda aus Verdis Rigoletto.
Begonnen hatte es bereits vor Beginn, indem sich die Masken als Putzbrigade auf der Bühne, als verzweifelt ihre Plätze suchende Konzertbesucher oder als unerwünschter Dirigent tummelten, dann leuchtete ein Sternenhimmel (Bühne Felix Nolze), der später meist trübem Herbstwetter Platz machte, die jüngste und anmutigste der Masken wurde vom Tod umtanzt, dazu erhoben die beiden Sänger des Abends, Anna Prohaska und Florian Boesch, ihre Stimmen. Der Sopran hatte bereits eine schwierige Partie in Violetter Schnee am Abend zuvor gemeistert, vielleicht lag es daran, dass die Stimme flach, manieriert und unsicher in der Intonation klang. Doch auch in Bestverfassung möchte man sie nicht als Gilda hören. Besser als das romantische Lied gelang der Sängerin Anton Webern, den sie selbst für das Programm vorgeschlagen hatte. Der Bariton entsprach mit guter Diktion weit mehr dem, was man von Liedgesang erwartet, ließ sich jedoch auf schwer verständliche Interpretationsansätze wie eine sehr robuste „schöne Waldeinsamkeit“ ein, auch hatte man bisher kaum in so flinkes „und ist doch so lange tot“ gehört.
Auch wenn die von Bläsern dominierte Banda sich manchmal sehr zurücknahm, so zu „Es war es hätt‘ der Himmel“, übertraf sie doch bei weitem die Lautstärke des sonst üblichen Flügels als Begleitung. Die Musiker, zu denen auch ein Akkordeon- und ein Hackbrettspieler gehören, stammen aus dem Osttiroler Dorf Innervillgraten und können bereits auf große Erfolge rund um den Erdball zurückblicken. Ihre Arrangements lassen viele der Lieder eine weitere Dimension gewinnen, wobei Trauermarsch, wie er auf dörflichen Begräbnissen noch immer von der örtlichen Banda gespielt wird, eine Art Ausgangspunkt war.
Die Masken der in Berlin ansässigen Familie Flöz wurden ebenfalls bereits auf vielen Festivals bestaunt. Sie traten zwar auch bei der gestrigen Vorstellung teilweise in hochherrschaftlichen Gewändern auf, gehören aber prinzipiell eher zur Gruppe der Mühseligen und Beladenen, mit gebückter Haltung und zu großen Nasen in den ältlichen Gesichtern stehen sie in einem reizvollen Kontrast zur edel-elegischen Haltung der vertonten Gedichte, deren Verfasser fast durchweg aus Adelskreisen stammten und sich im Unterschied zu diesen bemitleidenswerten Geschöpfen eine melancholische Weltsicht leisten konnten.
Sie passen eigentlich am besten in den abschließenden Film, in dem sie vom Putzdienst in der Oper entlassen, bis zur S-Bahn wandern, ins schlichte Zuhause kommen und die Kerzen auf einer Geburtstagstorte entzünden. Diese Szene wird auf der Bühne verdoppelt und bildet das Ende des vergnüglichen Abends, der auch in Stuttgart und Ludwigsburg zu sehen sein wird. Der geheimnisvolle Titel Himmelerde wird im sehr gut gestalteten Programmheft zwar erklärt mit der Unterteilung des Abends in Himmel-Erde-Himmelerde, die aber kaum nachvollziehbar ist. Muss es ja auch nicht, die Blaue Blume der Romantik geleitet den Besucher sicher durch den Abend.
Fotos Bernd Uhlig
18.1.2019 Ingrid Wanja