Premiere am 9.12.2017
Unrecht Gut gedeihet nicht
Es klappt wirklich rein gar nichts in Berlin: Der Flughafen wird nicht eröffnet, der neue Schnellzug auf der Strecke München Berlin hat gleich am ersten Tag eine Panne, und in der frisch renovierten Staatoper Unter den Linden lässt sich der große Kronleuchter im Zuschauersaal nicht vollständig herunter dimmen. Allerdings hatte man viel Schlimmeres befürchtet, als ein Herr mit ernster Miene vor den Vorhang getreten war und atmete auf, weil keiner der Mitwirkenden plötzlich erkrankt war. Das geschah erst nach der Pause, als Gyula Orendt als indisponiert angesagt wurde, sich aber auf die oft bewährte therapeutischen Wirkung einer solchen Ansage verlassen konnte und sich kaum etwas anmerken ließ. Eine Überraschung war auch die auf dem Programmheft angegebene Dauer der Vorstellung mit dreieinhalb Stunden, des Rätsels Lösung brachte ein im Programmheft zu findender Aufsatz von dem Verantwortlichen für die aktuelle Aufführungspraxis, Diego Fasolis, auch Dirigent des Abends, der sich dazu bekannte, Musik von Cavalli, Laurenzi, Sacrati und Ferrari und anderer der von Monteverdi hinzugefügt zu haben, und man kann zugeben, dass sie tatsächlich eine Bereicherung darstellen und nicht zu Brüchen in der Aufführung führen, das Stück nicht die Form eines Pasticcio annehmen lassen.
Nach dem Grundsatz „Unrecht Gut gedeihet nicht“ hat sich auch die Regie von Eva-Maria Höckmayr einige Freiheiten herausgenommen, so wenn zum finalen Liebesduett zwischen Nerone und Poppea Ersterer mit seinem Lustknaben, der historisch, allerdings nicht bei Monteverdi, belegt ist und bereits an einem flotten Dreier im Verlauf der Handlung teilgenommen hatte, der Liebe pflegt, abzieht und Poppea ziemlich ratlos an der Rampe steht. Ansonsten geht es zwar hoch, aber brav heterosexuell her im Einheitsbühnenbild von Jens Kilian, einer in den Bühnenhintergrund hin leicht ansteigenden Plattform, die im Hintergrund zur die Bühne begrenzenden Wand wird. Dass diese ziemlich fleckig aussieht, dürfte Absicht sein, so wie die zunehmend häufiger eingesetzte Drehbühne, auf der sämtliche Mitwirkenden außer den die Gottheiten verkörpernden Kindern den gesamten Abend über in wechselnden Gruppierungen und Konstellationen präsent sind, mal zurück in den Schatten und, wenn in die Handlung eingreifend, in den Vordergrund treten. Höchst phantasievoll sind die Kostüme von Julia Rösler mit Anklängen an Renaissance, Barock und Rokoko ironisierend gestaltet, und- oh Wunder und Glück- man kommt ganz ohne Videoprojektionen aus. Über die szenische Gestaltung kann man nur Gutes sagen, denn sie bringt neue Aspekte, ohne den Grundcharakter der Oper zu tiefgreifend zu verändern.
Ein Glücksfall ist die Besetzung des Nerone mit dem Countertenor Max Emanuel Cencic mit farbenreicher, weicher, schön gerundeter Stimme von beachtlicher Leuchtkraft und Koloratursicherheit. Weniger gut ist es um den Ottone von Xavier Sabata mit spröderer, trockenerer Stimme bestellt, der aber darstellerisch seine Figur auszuloten versteht. Ein weiterer Herr mit hoher Stimme ist der als Arnalta urkomische Mark Milhofer mit rollengerecht geiferndem Charaktertenor. Ganz schlimm bestellt ist es um die Stimme von Jochen Kowalski mit mehr Registern als eine Hand Finger hat für die Nutrice und keines davon intakt seiend. Warum tut er sich das an? Mit hier nicht unangenehmer Soubrettenstimme singt Anna Prohaska die Titelpartie, auch das Laszive und Manierierte, was vielen ihrer Figuren anhaftet, passt hier gut. Lucia Cirillo bleibt vokal als Valletto und Amore etwas anonym. Katharina Kammerloher ist eine majestätische Ottavia mit angenehmer Mittellage, etwas schrill in der Höhe, aber insgesamt eine Bereicherung für die Produktion. Erst im zweiten Teil zeigen, was für eine frische, gut ansprechende Sopranstimme sie hat, kann Evelin Novak als Drusilla. Vokal das tiefe und handlungsmäßig das seriöse Element vertritt Franz- Josef Sel ig als zum Selbstmord getriebener Seneca, der im Unterschied zu seinem mit Brustwunden übersäten Double Verletzungen in der Halsregion zu beklagen hat, aber was macht das schon, wenn ein Sänger stimmlich so gewichtig auftreten kann. Prachtvoll sind auch die um einige Barocchist i verstärkten Musiker der Akademie für Alte Musik Berlin unter Diego Fasolis mit frischem, engagiertem und gar nicht „alt“ klingendem Spiel.
Die dritte Premiere in der neuen Staatsoper kann als eine in jeder Hinsicht erfolgreiche angesehen werden.
Fotos © Bernd Uhlig
10.12.2017 Ingrid Wanja