Bern: „Tristan und Isolde“

Zum Zweiten

16.06.2019

Die Kunst der bedingungslosen Liebe ist eine Kunst, die nur wenige beherrschen, und noch weniger Menschen können (oder wollen?) diese Kunst verstehen. Und diese Kunst muss jedes Paar für sich immer wieder neu erfinden, denn es gibt keine allgemeingültigen Rezepte, welche für jede Art von Liebe anwendbar wären. Also erfordert das Lieben totalste Freiheit – eine solche Freiheit fordert der Künstler Jonathan Meese für die Kunst im Allgemeinen. Spiel, Risiko, Radikalität und v.a.m. Die Thesen von Jonathan Meese hat der Regisseur der Berner Neuinszenierung, Ludger Engels, als Ausgangspunkt und Inspirationsquelle für seine Sicht auf die neben ROMEO UND JULIA wohl bekannteste Liebesgeschichte des Abendlandes genommen, für Wagners TRISTAN UND ISOLDE. In einem Atelier setzt ein Künstler diese Liebesgeschichte in Szene.

Schon während des Vorspiels instruiert der Künstler (der mit seiner platinblonden Perücke etwas von Warhol hat) drei Damen über ihre Auftritte innerhalb des künstlichen Settings: Die drei Damen symbolisieren die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft des Protagonisten Tristan. Im TRISTAN entdecken wir ja einige autobiographische Züge des Schöpfers Richard Wagner selbst. So ist die Vergangenheit verkörpert durch Wagners zur Zeit der Entstehung des Musikdramas (Noch-) Ehefrau Minna (in typischer 1850er Robe), die Gegenwart wäre Mathilde Wesendonck, seine unerreichbare Liebe (in heutigen Alltagskleidern) und die Zukunft wäre Cosima von Bülow, die zur Zeit der Komposition ebenfalls in Zürich weilte und Wagners spätere Ehefrau wurde. Sie tritt im futuristischen Barbarella – Look auf. Der Künstler (mit grosser Agilität hüpft Andries Cloete gleich eines Shakespearschen Puck auf der Bühne herum und singt ganz beiläufig auch noch den jungen Seemann und den Hirten) beginnt also diese Utopie der bedingungslosen Liebe zu inszenieren. Eine Art Konferenzraum, der sich durchaus im Bauch eines Schiffes befinden könnte, mit langem Tisch wird gleich einer Kartonschachtel auf die Bühne geschoben (das vielseitige, spannend ausgeleuchtete Bühnenbild entwarf Volker Thiele, das Licht stammt von Bernhard Bieri).

Darin spielt sich dann der erste Akt ab, mit Brangänens Austausch der Tränke und der Einnahme des Liebestrankes durch Tristan und Isolde. Nach dessen Einnahme beginnen die beiden hemmungslos zu lachen – man spürt, dass da vorher schon eine intensive Verbindung war, die nun einfach neu entfacht wurde. Vieles ist zum Schmunzeln in diesen durch intensive Personenführung spannend gestalteten Szenen. Erste Bausteine des Errichtens eines eigenen, von der übrigen Welt abgewandten Kosmos werden offensichtlich. Das setzt sich im zweiten Akt, dem Liebesakt, mit bildgewaltiger Kraft fort. Auf das Corbusier-Sofa von König Marke werden Styropor-Alpen gebaut, die Liebenden scheinen sich in ein nur ihnen allein zugängliches Tal zurückzuziehen. Zwar versucht Melot noch, die Berge zu zerstören, doch vergeblich, Tristan und Isolde sind quasi der realen Welt abhanden gekommen, ziehen sich in ihren Glitzer-Unisex Anzügen (die phantastisch zum Konzept passenden Kostüme wurden von Heide Kastler entworfen) in ein eigenes Reich zurück. So braucht Melot den Tristan auch nicht zu verwunden – er kann sich nur die Augen reiben und den Dolch mit einem Achselzucken – ohne jegliches Verständnis für die Welt Tristans – fallen lassen.

Gerade in der Figur des Melot zeigt sich exemplarisch die Kunst des Regisseurs Ludger Engels. Was er aus dieser Randfigur an tiefem Sinn und Charakterisierung herausholt, ist unglaublich spannend. Dieser eitle, schleimige, eifersüchtige und seinen Herrn Marke bedingungslos liebende (und anscheinend auch körperlich begehrende) Geck wird darstellerisch sportlich und gesanglich mit herrlich präsentem Bariton von Todd Boyce verkörpert. Wunderbar. Doch auch die Brangäne erreicht mit ihren aus dem Off gesungenen, so Gänsehaut erregenden „habet acht“ – Phrasen die Liebenden nicht mehr. Claude Eichenberger gestaltet diese wunderbare Szene einfach famos. Bereits im ersten Akt, wo sie gewaltig viel zu singen hat, zeigt die Mezzosopranistin eine gestalterisch reifen Leistung, sie verfügt über eine traumhaft sichere Höhe und eine packende Mimik. Kai Wegner macht den langen, von Unverständnis geprägten Monolog König Markes am Ende dieses Aktes zu einem Ereignis. Mit balsamischem Bass gestaltet er die herrlichen Phrasen, welche Wagner für den König Marke komponiert hatte, unterstützt durch die zügigen Tempi, welche Kevin John Edusei mit dem Berner Symphonieorchester anschlägt.

Überhaupt klingt das Orchester ungemein präsent, die Balance Bühne-Graben gerät jedoch nie in Gefahr. Edusei vermag es, einen nie abbrechenden, hoch spannenden Fluss aufrecht zu erhalten, die lange Oper wird auch musikalisch nie lang. Die Burg Kareol im dritten Akt ist eine riesige Amethystenhöhle – weit jenseits von der realen Welt. Tristan (physisch unverwundet) kann seinen schwierigen, fiebrigen und langen Monolog so also im Stehen singen, was für den Sänger bestimmt eine Erleichterung bedeutet, zumal Heiko Börner erst am Tag vor der Vorstellung erfahren hat, dass er am Sonntag um 16 Uhr in Bern für den erkrankten Daniel Frank einspringen muss. Am Sonntagmorgen noch probte er das Szenische und somit kam man in den Genuss einer vollwertigen Aufführung. Gerade in diesem anspruchsvollen dritten Akt zeigten sich Heiko Börners Qualitäten: ein einnehmendes Timbre, das im Verlauf des Abends zunehmend freier klang, eine unglaubliche (und höhensichere) Stamina für den dritten Akt. Begleitet in diese abgedriftete Bergwelt wurde er von seinem getreuen Gefährten Kurwenal, der von Robin Adams mit stimmgewaltigem Bariton und sympathischem Spiel gegeben wurde. Eigentlich hat man ein wenig Mitleid mit Kurwenal, der seinen Herrn Tristan so bedingungslos liebt.

Einen kurzen Moment lang im dritten Akt hegt man die Hoffnung, dass es zu einer Ménage à trois kommen könnte, als sich Kurwenal in den von Tristan schon im zweiten Akt auf den Boden gemalten gelben Kreis legt und auch Isolde bei ihrem Eintreffen in der kristallinen Bergwelt sich dazu gesellt. Doch das ist von kurzer Dauer. Hingegen beobachtet man einen grouphug der drei Wagner-Liebchen im Hintergrund, auch ein schönes, utopisches Bild, das die im Menschen anerzogene Eifersucht zu überwinden scheint. Isolde löst sich aus dieser Gruppenumarmung, winkt dem zunehmend amüsiert über den Selbstläufer seiner Kunstinstallation schmunzelnden Künstler zu (… der Hirte auf dem Felsen) und hebt zu ihrem Schlussgesang an. Lee Bisset singt dieses Mild und leise, wie er lächelt der Isolde überhaupt nicht als von Liebes- und Weltenschmerz verklärte Szene, sondern schöpft daraus eine verzückte, grandiose Hymne auf die Liebe, gestaltet mit überwältigender Kraft den Schlussgesang Isoldes.

Diese Kraft war bereits von Anfang an da, wie ein Sturmwind fegt ihre klar artikulierende und mit schöner Phrasierung aufwartende Stimme in den Konferenzsaal des ersten Aktes, schwappt in den Saal, steigert sich in ungeduldige Ekstase (Dass hell sie dorten leuchte – erneut Gänsehaut pur, einfach geil) im zweiten Akt, wenn sie endlich das Licht der Stehlampe löschen will, das ihren Geliebten zu ihr führen soll, wo sie sich dann unter wild drehenden Spiegeln und in besagtem Giltzerdress vereinigen können. O sink hernieder, Nacht der Liebe – da beginnen sie in ihren ganz eigenen Raum abzudriften, die Welt um sich herum zu vergessen, mit Hilfe des Künstlers ihre eigene – gelbe – Welt zu erschaffen. Zwar wird am Ende der Oper noch versucht, auch den Melot und den Marke mit gelber Farbe zu markieren, vergeblich. Ist auch richtig so, denn wie hat doch Jonathan Meese in seinem Verständnis von totalster Kunst geschrieben: Kunst ist immer ohne Gruppenzwang!

Zwei kleine Anmerkungen zur Inszenierung muss ich mir, bei aller Hochachtung für die genaue, intelligente Arbeit des Regisseurs, doch noch von der Seele schreiben: Dass Andries Cloete während des herrlich soghaft vom Berner Symphonieorchester intonierten Vorspiels seine „Regieanweisungen“ in einem Kauderwelsch für alle hörbar den drei Damen zuflüstern musste, störte mich extrem. Dazu bin ich zu sehr Romantiker, um das goutieren zu können. Ebenso lenkte mich beim Schlussgesang Isoldes das pinselträchtige Gewusel auf der Bühne von der mitreissenden Emphase des Schlussgesangs ab. Eben, ich bin halt ein unverbesserlicher Romantiker … .

Kaspar Sannemann 18.6.2019

Bilder siehe unten Premiernebericht