Jacques Offenbach
24.2. (Ungarische Erstaufführung)
Eine gelungene Wiederbelebung
Für „Les fées du Rhin“, so der Originaltitel der großen romantischen Oper in vier Akten, verfasste Charles Nuitter das französischsprachige Libretto. Hinter diesem Namen aber verbirgt sich Charles-Louis-Étienne Truinet (1828-99). Und Nuitter ist lediglich ein Anagramm seines Familiennamens Truinet. Alfred von Wolzogen (1823-83) übersetzte das Libretto für die Uraufführung am 4. Februar 1864 am Wiener Kärntnertortheater ins Deutsche. Auf Wunsch des Wiener Kritikers Eduard Hanslick (1825-1904) erhielt die Oper dann den irreführenden Titel „Die Rheinnixen“, wohl in Anlehnung an Richard Wagners „Rheingold“, dessen Text damals bereits bekannt war. Auf Grund einer Erkrankung des Tenors Alois Ander, der den Franz Waldung singen sollte, kam aber nur eine stark gekürzte Fassung zur Aufführung und es blieb bei einem bloßen Achtungserfolg. Knapp ein Jahr später, am 1. Januar 1865, erfolgte die deutsche Erstaufführung an der Kölner Oper.
Dieses Mal gelangte eine wiederum stark gekürzte dreiaktige Fassung zur Aufführung. Die Oper aber wurde bereits nach der zweiten Aufführung wegen geringer Besucherzahlen abgesetzt. Danach gerieten die Rheinnixen in völlige Vergessenheit und die von Offenbach vorgesehene französische Version, mit Ausnahme von Klavierauszügen, ging größtenteils verloren. Da nur die vollständige deutschsprachige Partitur der Uraufführung erhalten geblieben ist, erfolgten Wiederbelebungsversuche seit 2002 nur in dieser erhalten gebliebenen deutschsprachigen Fassung. Zunächst konzertant beim Festival von Montpellier, dann 2005 in Ljubljana als erste szenische Aufführung nach der neuen Offenbach-Edition. Am 15. April 2005 folgte dann Trier, wo István Dénes die von Bruno Berger-Gorski in Szene gesetzte Aufführung dirigierte. Der gebürtige Ungar Dénes wiederum empfahl die Rheinnixen für eine ungarische Erstaufführung. Das Ergebnis, soviel sei vorweggenommen, konnte sich sehen lassen.
Zum Inhalt: Die Handlung der Oper spielt zur Zeit der Ritterkriege im Herbst 1522 in der Nähe von Bingen und Bad Kreuznach. Hedwig lebt mit ihrer unehelichen Tochter Armgard (eine Vorläuferin der Antonia aus „Hoffmanns Erzählungen“) zusammen. Conrad von Wenckheim hat Hedwig verlassen ohne Wissen um ihre gemeinsame Tochter. Armgard wiederum ist mit Franz, der zu den Soldaten entlaufenen ist, verlobt. Kurz darauf dringen die Landsknechte unter Conrad von Wenckheim ein und drangsalieren Armgard, die für sie singen soll. Franz Waldung, ein Hauptmann, erkennt auf Grund einer Amnesie seine Verlobte nicht mehr. Während Armgard ein pazifistisches Vaterlandslied singt bricht sie zusammen und gilt als tot. Hedwig will mit Hilfe der Feen vom Elfenstein Armgards Leben retten, während Franz und Conrad einen heimlichen Überfall auf Sickingens Ebernburg planen. Im Wald beim Elfenstein, in der Nähe der Ebernburg, versammeln sich die Feen, die die Landsknechte vom richtigen Weg wegzulocken. Nachdem sich Hedwig und Conrad versöhnt haben und erfahren, dass ihre gemeinsame Tochter Armgard nur scheintot war, steht einem Happy End nichts mehr im Wege. Die Landsknechte aber werden von den Feen in den Abgrund gerissen und nur die beiden Paare sowie Gottfried, ein Vertrauter Hedwigs, sind gerettet und stimmen den Refrain des Vaterlandsliedes an, womit die Oper endet.
Offenbachs „Die Rheinnixen“ stehen natürlich ganz in der Tradition der romantischen Feenopern wie E.T.A. Hoffmanns und Albert Lortzings „Undine“ sowie nicht zuletzt auch Richard Wagners Erstling „Die Feen“, bei denen sich märchenhafte und realistische Szenen vermischen. Der Grundtenor der Oper ist pazifistisch, womit er natürlich entfernt an Richard Strauss‘ „Friedenstag“ erinnert, in beiden Opern besiegt die Liebe schließlich die Schrecken des Krieges. In musikalischer Hinsicht floss die Feenmusik als Barcarole (Belle nuit, ô nuit d’amour) in den Venedig-Akt von „Hoffmanns Erzählungen“ ein und auch das Trinklied Conrads aus dem ersten Akt floss in den Giulietta Akt mit ein. Völlig zu Unrecht geriet aber Armgards „Vaterlandslied“, das sich wie ein Leitmotiv durch die Oper zieht, in Vergessenheit. Offenbach hat es in keinem seiner späteren Werke mehr verwendet. Regisseur Ferenc Anger, der zuletzt mit Poulencs „Dialogues des Carmélites“ (2016) und „Ariadne auf Naxos“ (2013) für einige Furore an der Ungarischen Staatsoper gesorgt hatte, betonte in seiner Inszenierung ebenfalls den kriegslüsternen Aspekt einer rohen Soldateska. Da dieses Grundthema der Oper aber nicht so recht zu Offenbachs Musik passen will, gab er den Soldaten lediglich Gummischleudern als Waffen in die Hände, die weniger bedrohlich wirkten.
Éva Szendrényi ließ die Handlung auf einem Abschnitt einer Donaubrücke spielen, die auf der einen Seite vom Geländer der Kettenbrücke (Széchenyi lánchíd) und auf der gegenüberliegenden Seite von jenem der Freiheitsbrücke (Szabadság híd) begrenzt wurde. Ein im rechten Vordergrund befindlicher Pfeiler wiederum soll an das altehrwürdige Gebäude der Ungarischen Staatsoper in der Andrássy út 22 in ihrem prachtvollen Neorenaissance Stil erinnern. Und dieser Pfeiler wird gleich zu Beginn der Oper auch von Bauarbeiter fleißig gereinigt. Die Brücke endet abrupt, denn ein großes, für den Zuschauer nur zu erahnendes Loch, ist notdürftig abgesichert. Davor befindet sich offenbar ein tiefer Abgrund, real und symbolisch zugleich. Der eintreffende Chor weicht vor diesem erschreckt zurück. Die Kostüme von Gergely Z Zöldy sind mehr zweckmäßig als schön. So verpasste er Hedwig einen blauen Hosenanzug, der sie als Business Woman der Gegenwart ausweisen soll. Demgegenüber trägt Armgard ein schwarzes Gothic outfit, wie aus einem Horrorfilm entlehnt. Der Freund der Familie, Gottfried, trägt einen weißen Anzug und die Soldaten Uniformen aus dem 1. Weltkrieg. Der Feenchor ist ebenso in weiß gekleidet und trägt rote leuchtende Reifen um den Hals, wie man sie manchmal auf Partys in Diskotheken erhält. Der männliche Teil des Chores hält während des Auftritts im dritten Akt noch Ruder in der Hand. Sowohl für die Auftritte der Soldaten als auch für jene der Feen erdachte Marianna Venekei eine ansprechende Choreographie. Wie immer bestens einstudiert, was auch die deutsche Aussprache betraf, war der von Gábor Csiki geleitete Chor der Ungarischen Staatsoper, dem lediglich zwei Bühnenproben zur Verfügung standen. Andrea Ulbrich, verdiente Azucena und Ulrica, gestalte auf berührende Weise jene geschwängerte und verlassene Mutter Hedwig, die um ihre schwächliche Tochter, die das Singen nicht lassen kann, tief besorgt ist. Ihr markanter Mezzosopran konnte hier erstmals in einer großen deutschsprachigen Partie Furore machen. Borbála Keszei, der man an der Wiener Staatsoper die ganz großen Partien leider versagt hat, bewies, dass sie die zerbrechliche Armgard mit ihren höllischen Koloraturen bestens in ihrer Kehle hat. Bass Csaba Szegedi in der Rolle ihres nichts ahnenden Vaters Conrad von Wenckheim sorgte für die nötige brutale Ausstrahlung eines Feldhauptmannes, der aber durch die verzeihende Liebe von Hedwig am Ende wieder lammfromm wird. Boldizsár László gab den nach einer Kopfverletzung unter Amnesie leidenden Verlobten von Armgard, Franz Waldung, mit gut geführtem, aber nicht ganz akzentfreiem Tenor. Als Hausfreund Gottfried vermochte sich István Kovács mit resoluten Bassbariton bei den Soldaten Gehör zu verschaffen. In den kleineren Rollen eines Bauern und eines Söldners ergänzten noch die beiden Nachwuchssänger, Tenor Ferenc Kristofori und Bariton Gergely Irlanda, rollengerecht. Die musikalische Leitung lag in den verdienten Händen von Gergely Kesselyák am Pult des Orchesters der Ungarischen Staatsoper, der die wunderschönen Melodien von Offenbach hervorragend umzusetzen wusste und als Garant für den großen Erfolg des Abends von musikalischer Seite her anzusehen ist. Großer Applaus wiederum für alle Mitwirkenden, ein vereinzeltes Buh für den Regisseur, das den großen Erfolg des Abends allerdings nicht trübte und man war wieder einmal froh, der Aufführung einer Rarität beigewohnte zu haben. Allerdings kannte ich die Aufführungen aus Ljubljana und aus Trier bereits von einem Mitschnitt. Aber der Live Eindruck wiegt natürlich um einiges mehr als das Erleben vom Bildschirm her. Bravo!
Harald Lacina, 25.2.