Thomas Adès
28.5.2016
Premiere am 21.5.16
Der Sturm hat nun endlich auch Budapest erreicht…
Nach seiner skandalumwitterten Kammeroper „Powder her Face“, op. 14 (1995), in welcher der 1971 geborene britische Komponist, Pianist und Dirigent Thomas Adès einen blowjob arientauglich gemacht hatte, ist er mit seiner zweiten Oper „The Tempest“ der großen Form verpflichtet. Meredith Oakes (1946*) goss dieses letzte Drama von William Shakespeare in gereimte Verse.
Des großen Engländers Dramen boten je bekanntlich die Grundlage für unzählige Opern und Ballette. In erster Linie wurden seine bekanntesten und besten Stücke vertont. In den letzten zwei Jahrzehnten erwachten aber auch so „sperrige“ und selten aufgeführte Dramen wie „The Winter’s Tale“ in der Vertonung des belgischen Komponisten und Organisten Philippe Boesmans (1999) und „The Tempest“ (2004) zu musikalischem Bühnenleben. Nach der Uraufführung von Adès‘ „The Tempest“ am 10. Februar 2004 am Royal Opera House Covent Garden in London, folgten weitere Produktionen in Kopenhagen, Strasbourg, Santa Fe, an der Met und in Wien. Und Budapest ist auf diesen rollenden und vorhersehbaren Erfolgszug einer neuen Oper noch rechtzeitig für das Festival Shakespeare 400+ aufgesprungen, um „A vihar“, so der ungarische Titel, einem interessierten Publikum in einer weniger opulenten Ausstattung zu präsentieren. Sicherlich spielte bei der Ausstattung nicht der Sparstift eine Rolle, sondern das Konzept des Regieteams. Der 1963 geborene deutsche Musiker, Opern- und Theaterregisseur Ludger Engels führt uns eine karge Insel vor, auf der sich eine Aussichtsplattform (Bühnenbild: Ric Schachtebeck) befindet, auf der Prospero von einer Art „Schaltpult“ aus die Ereignisse auf der Insel mit Magie erfüllt und wie mit Zauberhand leitet.
Während der Ouvertüre stranden der König von Neapel und seine Entourage durch den von Prospero mittels Luftgeist Ariel herauf beschworenen Sturmes auf dieser unwirtlichen Insel. Des Königs Sohn Ferdinand befindet sich aber nicht unter den Überlebenden. Musikalisch ist Adès einem neoromantischen Stil verpflichtet und schließt dabei an das ausgehende 19. Jhd. an. Rauschende Streicherkaskaden wechseln einander mit satten Hörnerklängen und voluminösem Schlagwerk ab. Im Übrigen ist das Orchester aber konventionell besetzt und die Partitur verrät großes handwerkliches Können. Als Luftgeist Ariel war Laure Meloy zu sehen, die diese Extrempartie auch an der Met und in London interpretiert hatte. Sie erscheint vom Schnürboden als weißer, bald als schwarzer Engel mit Flügeln und dann wieder mit hohen Plateaustiefeln auf der Bühne, alle an Größe überragend. Einst hatte Calibans Mutter, die Hexe Sycorax ihn in einer gespaltenen Kiefer gefangen gesetzt. Durch Prospero befreit, steht er ihm nun für 12 Jahre zu Diensten. Und das Ende dieser Frist naht nun. Franco Pomponi ließ trotz gut geführtem Bariton den Zauber eines Prosperos vermissen. Andrea Szántó überraschte als Prosperos Tochter Miranda mit ihrem weichen, luftigen Sopran. Peter Balczó war ein herzergreifender Königssohn Ferdinand, der Miranda schon bei ihrer ersten Begegnung erobern konnte. Das strahlende Weiß ihrer Kleidung (Kostüme: Sabine Blickenstorfer) soll die Unschuld der Jugend symbolisieren, während das übrige Personal der Oper jeder auf seine Art und Weise bereits Schuld auf sich geladen hat und in Kostümen der Gegenwart erscheint.
István Horváth oblag die Rolle von Caliban, des deformierten Sohnes der Hexe Sycorax, der Prospero als Sklave dienen muss. Er sinnt danach, diesen zu stürzen und kann dafür die beiden liederlichen Gesellen Géza Gábor mit profundem Bass in der Rolle von Kellermeister Stefano und den in Klagenfurt geborenen österreichischen Countertenor Armin Gramer in der Rolle des Hofnarren Trinculo gewinnen. Letzterer schlüpft in ein Kleid und wird hierauf von Stefano vergewaltigt. Weshalb, war für mich nicht erklärlich, oder wollte der Regisseur damit ein Klischee bedienen, das Countertenören vielfach nachgesagt wird? Attila Fekete verlieh seinen gut geführten Tenor der Rolle des vom Schicksal gebrochenen Königs von Neapel Alonso. Zsolt Haja unterlegte seinen eher hellen Bariton der Rolle von Alonsos Bruder Sebastian. Tamás Tarjányi gestaltete Prosperos Bruder Antonio, den unrechtmäßigen Herzog von Mailand, als einen rechten Bühnenschurken mit eindringlichem Tenor. In Wien konnte man den sympathischen Künstler 2012 in der Rolle des Anfinomo in Claus Guths Inszenierung von Monteverdis „Il ritorno d’Ulisse in patria“ am Theater an der Wien erleben. András Palerdi war ein berührender Gonzalo, der ehrliche alte Rat des ehemaligen Königs Prospero, diesem treu ergeben.
Péter Halász bewies am Pult des Orchesters der Ungarischen Staatsoper beachtliches handwerkliches Können und brachte das Flirren und Wogen der Musik Adès, unter Verzicht auf große dynamische Schattierungen, eher geradlinig aus dem Orchestergraben hervor. Der von Kálmán Strausz gut einstudierte Chor der Ungarischen Staatsoper behauptete sich auch in unisono dargebotenen rhythmischen Tanzschritten.
Das Publikum des gut besuchten Ybl-Hauses in der Andrássy út. spendete allen beteiligten Künstlern warmherzigen Applaus. Mit dieser denkwürdigen Aufführung ist die Ungarische Staatsoper endgültig im 21. Jhd. angekommen. Moderne Inszenierungen haben frühere, die einem antiquierten ästhetischen Geschmack huldigten, endlich verdrängt. Ich hatte den Eindruck, dass nun auch vermehrt wieder junge Leute die Oper besuchten, um am Erlebnis Theater hautnah teilnehmen zu können.