am 13.11.2016
Bühnenhohes graues Gemäuer grenzt den Vorplatz des kaiserlichen Palastes ein. In den Schießscharten ähnelnden Aussparungen des Mauerwerks sind die abgeschlagenen Häupter der glücklosen Freier Turandots postiert. Später erweitern sich diese Nischen, um den Weisen des Landes Platz einzuräumen, die als Schiedsrichter der bislang für die Kandidaten stets letal verlaufenen Rätselshow fungieren. Bei jeder richtigen Antwort des Prinzen senken sich in die Farben Rot und Weiß getauchte meterlange Tücher aus diesen Fenstern zu Boden, das Einheitsgrau muss sich geschlagen geben. Hatte eingangs der Mandarin (Matthias Winter mit kraftvollem Bariton) den bevorstehenden Tod des jungen Persers angekündigt, bestimmen hernach die Vorbereitungen auf diese Hinrichtung äußerst wirkungsvoll en detail die Szene.
Als der gleißende Mond und der überdimensionale Gong ihre Dienste verrichtet haben, geben sie den Blick frei auf ein mit Eis versehenes Rund, aus dessen Mitte Turandot gleich einer Schneekönigin den nächsten Freier ins Auge fasst. Eine steil aufsteigende, sie von Calaf trennende Schräge versinnbildlicht angestrebte Distanz. Nach jeder gelösten Frage die Schräge von beiden Seiten minimierende Stufen brechen diesen Abstand nahezu auf. Und über all dem thront Altoum, der Sohn des Himmels, quasi von diesem an Seilen herabgleitend und auf halber Bühnenhöhe über dem Geschehen schwebend – eine Marionette nur? Dem widerspricht die von Edward Randall der Figur verliehene feste tenorale Kontur, die bei weitem keinem Greise ähnelt. Vielleicht wollte Regisseur Hinrich Horstkotte (in Personalunion auch für Bühnenbild und Kostüme verantwortlich) sich aber auch nur einen Seitenverweis auf sein ausgesprochen inniges Verhältnis zum Figurentheater erlauben?
Das bisher Beschriebene verdeutlicht, wie genau und überzeugend die Regie das Werk befragt hat und mit ihren Antworten dem Publikum keineswegs einen Bären aufbinden möchte. Wenn trotzdem einige Ungenauigkeiten zu konstatieren sind, mindern diese den Wert der Inszenierung allenfalls marginal. So verwundert, wenn Liu (von Maraike Schröter vokal in allen Belangen beispielgebend gemeistert) während ihrer ersten Arie derart auf den Präsentierteller gelotst wird, dass jedermann ihre Beziehung zu Calaf wahrnehmen muss. Außerdem dürfte manchem Betrachter die dank Hydraulik in eine Art Hexenküche verlagerte umfangreiche Szene der drei Minister (André Riemer, Hubert Walawski, Andreas Kindschuh) sauer aufstoßen, wo mit dem Grauen nach britischem Muster Tollerei getrieben und aus den Gebeinen eines verblichenen Freiers ein fragwürdiger Sud angerichtet wird. Immerhin hatten die beteiligten Herren mit nimmer nachlassendem Spieleifer vollauf zu tun. Und wenngleich ich von dem Gebräu nicht naschen möchte, fand ich dessen Zubereitung recht unterhaltsam. Zweifelsfrei kann man über die sich einem Happy-End verweigernde Anlage des Finales (gegeben wurde die ungekürzte Alfano-Fassung) geteilter Meinung sein. Turandot ersticht den sie begehrenden Mann und danach sich selbst. Ist sie der Annahme, weder mit ihm noch ohne ihn leben zu können? Auch Puccini war sich eines überzeugenden Schlusses durchaus nicht sicher. Hier hätten einige konzeptionelle Gedanken im Programmheft oder zur Einführung dem Publikum gewiss hilfreich sein können.
Unter der anfeuernden Leitung von Felix Bender bot die ihm willig folgende Robert-Schumann-Philharmonie eine Puccini-Interpretation von bestechendem Niveau. Da wurden weder die brutal zupackenden Seiten noch die innigen Momente der Partitur vernachlässigt. Blech (ohne Patzer) und Schlagwerk feierten ihren großen Tag, Holz und Streicher brachten sich gleichermaßen inspiriert ein. Dennoch lief dieses überaus heißblütige Musizieren an keiner Stelle Gefahr, die Solisten zu übertönen. Klangvoll und von Stefan Bilz bestens präpariert meisterte der erweiterte Chor des Hauses seine nicht zu unterschätzenden Aufgaben.
In der Titelpartie war Morenike Fadayomi zu erleben, die den Wandel von der die Show dominierenden Diva zu einer tief verunsicherten Frau glaubwürdig nachvollzog. Den extremen Ansprüchen des Puccinischen Schwanengesanges erwies sie sich vollauf gewachsen, nahm den Zuschauer ebenso mit einem perfekten Forte für sich ein, wie sie andererseits der Wandlung zur liebenden Frau stimmlich emotionale Schattierungen beimengte. Als Timur stellte sich mit MagnusPiontek ein neues Ensemblemitglied vor, dessen sonorer Bass keine Wünsche offen ließ. Leider fiel der Sänger des Calaf (sein Europa-Debüt) gegenüber diesen Leistungen doch beträchtlich ab. JeffreyHartmans baritonal gefärbtem Tenor mangelt es an dem erforderlichen Glanz und der Durchschlagskraft für diese Aufgabe. Sein eher beiläufig interpretiertes „Nessun dorma“ geriet ihm zwar ohne nennenswerte Schwierigkeiten, entbehrte jedoch einer gefühlsmäßig ansprechenden Wiedergabe.
Joachim Weise 28.11.2016
Besonderer Dank an unseren Kooperationspartner MERKER-online (Wien)
Bilder (c) Theater Chemnitz