Coburg: „Zum Zweiten“


DIE STUMME SERENADE

Premiere: 25.02.2017
besuchte Vorstellung: 19.03.2017

Filmreife Ausgrabung mit dem OPERNFREUND-Stern bewertet

Lieber Opernfreund-Freund,

regelrecht begeistert darf ich Ihnen von der Korngold-Rarität berichten, die derzeit am Landestheater Coburg zu sehen ist. Seine lange vergessene Operette „Die stumme Serenade“ hatte dort bereits am 25.02.2017 Premiere, aber da man als (Wahl-)Kölner die Domstadt am Karnevalssamstag unmöglich verlassen kann, hatte ich erst am vergangenen Wochenende die Möglichkeit, ins Oberfränkische zu reisen. Das Landestheater überzeugt unter Intendant Bodo Busse immer wieder durch einen klugen Mix aus bewährtem Standard-Repertoire und so hörens- wie sehenswerten Ausgrabungen und Raritäten wie beispielsweise „Riders to the Sea“ von Ralph Vaughan Williams in der Saison 2015/16 oder „King Arthur“ in der Spielzeit zuvor. In der nun letzten Spielzeit von Busses Intendanz hat man sich einem Werk von Erich Wolfgang Korngold, von dem sich auf den Bühnen der Welt lediglich die hinreißende „tote Stadt“ dauerhaft hat behaupten können, angenommen.

„Die stumme Serenade“ entstand in den Jahren 1946 bis 1950 und ist eigentlich als Oper konzipiert, Korngold selbst nannte sein Werk aber eine „musikalische Komödie“ und genau das ist es. Ein unvergleichlicher Mix an eingängigen Melodien mit Schlagerqualitäten im besten Wortsinne, spritzigen Texte, einer operettentypisch vertrackten Handlung, Jazz-Elementen und mitreißenden Tanznummern haben mir den vielleicht vergnüglichsten Musiktheaternachmittag seit Jahren beschert. Mit dazu beigetragen haben neben der außerordentlichen Qualität der Komposition das hohe künstlerische Niveau und die schlicht genial zu nennende Umsetzung durch Tobias Materna. Aber der Reihe nach: „Die stumme Serenade“ spielt in den 1820er Jahren, in denen in Neapel auf Frauenraub die Todesstrafe steht. Die umjubelte Schauspielerin Silvia Lombardi, Verlobte des neapolitanischen Ministerpräsidenten Lugarini, wird nachts überfallen und zeitgleich wird unter Lugarinis Bett eine Bombe deponiert. Die Polizei unter Führung des Polizeiministers Caretto tappt im Dunkeln, verhaftet aber schließlich den Schneider von Silvia Lombardi, Andrea Coclé, der in seine Kundin verliebt ist. Ihm droht nun die Todesstrafe und als Caretto ihm verrät, dass der König anlässlich seines 80. Geburtstags den Bombenleger in jedem Fall begnadigen will, gesteht Coclé beide Verbrechen und wird verurteilt. Doch ehe es zur rettenden Amnestie kommt, stirbt der König plötzlich. Das aufgewiegelte Volk stürzt in einer Revolution den verhassten Lugarini und setzt Coclé als neuen Ministerpräsidenten ein. Der Schneider hat eigentlich keine Lust auf Politik und überlässt den Posten gerne dem plötzlich auftauchenden wahren Bombenleger. Nun kann er mit Silvia Lombardi, die sich während der gemeinsam eingenommenen Henkersmahlzeit in ihn verliebt hatte, in eine glückliche Zukunft starten.

Erich Wolfgang Korngold war während des Krieges in die USA emigriert und musste dort sein Dasein als Komponist von Filmmusiken fristen, von denen die zum Erol Flynn-Streifen „Robin Hood, König der Diebe“ hierzulande zu den bekanntesten zählen dürfte. Dieses Umstands eingedenk verlegt Regisseur Tobias Materna die Handlung in die Emigrationszeit des Komponisten, die von 1934 bis 1949 dauerte, und bettet die Handlung an ein Filmset um. So kommt der Zuschauer nicht nur in den Genuss der wunderbaren, von Art Deco-Elementen dominierten Filmkulissen auf der wandelbaren Bühne, die Lorena Diaz Stephens und Jan Hendrik Neidert ihm gebaut haben, sondern vor allem dazu, deren Kostüme zu bestaunen. Die sind in der Tat wahre Kunstwerke, farbenfroh, gewagt, an Haute Couture erinnernd und alleine schon den Theaterbesuch wert. Materna schafft auf Basis der spritzigen Sprech- und Liedtexte von Bert Reisfeld, Raoul Auenheimer und Korngold selbst durch gekonnte Personenführung und immenses Gespür für Timing und feine Komik einen wahrhaft bunten Operettennachmittag. Die Choreografie von Dirk Mestmacher und Daniel Cimpean und das filmreife Licht von André Fischer tun ein Übriges dazu, dass keine Sekunde Langeweile aufkommt.

Das Produktionsteam kann sich aber auch auf ein motiviertes Ensemble verlassen. Anna Gütter verkörpert Silvia Lombardi als Diva mit Herz mit entsprechender Attitüde und überzeugt mit ausdrucksstarkem Sopran. Der junge Salomón Zulic del Canto legt als Couturier Andrea Coclé eine gute Portion balsamischen Schmelz in seinen schmeichelnden Tenor. Felix Rathgeber ist ein wunderbarer Carletto mit profundem Bass und echten Parlando-Qualitäten, Dirk Mestmacher ein solider Reporter voller Spielwitz und Jelena Banković hört man die angesagte Erkältung keine Sekunde an, so schwingt sie ihren beweglichen Sopran in schwebende Höhen und beglückt mit wunderbaren Piani. Auf der schauspielerischen Seite überzeugen der Vollblutkomödiant Thorsten Köhler, der mit charaktervoller Stimme den Despoten Lugarini verkörpert und Stephan Ignaz, der in Travestiemanier als Geschäftsführerin des Modehauses, Laura, für Lacher und Szenenapplaus sorgt. Tief beeindruckt hat mich auch Kerstin Hänel als schüchterne Assistentin Bettina. Die Rolle ist beinahe stumm, aber was sie allein mit ihren ausdrucksstarken Augen, ihrer kompletten Mimik und ihrer Körperhaltung an Komik über die Rampe schickt, ist oscarreif. Auch der Rest der Schauspieler- und Sängerriege bis hin zum letzten Statisten ist ohne Fehl und Tadel und macht aus der Geschichte eine runde Sache. Korngold hat für das Orchester ein kleines Salonorchester, bestehend aus zwei Klavieren, zwei Violinen, Celesta, Cello, Flöte, Klarinette und Schlagwerk vorgesehen. Unter der Leitung von Roland Fister laufen die nicht einmal zwei Handvoll Musiker zu Höchstform auf, erzeugen einen beinahe intimen, stellenweise an Filmmusik erinnernden Klang und erwecken Korngolds wunderbare Melodien mit viel Herzblut zum Leben.

Wenn eine mitreißende Story mit Texten voller Witz, schwelgerisch-wogende Melodien, geniale Garderobe und durchdachte Regie mit beherzt aufspielenden Musikern und talentierten Sängern und Schauspielern zusammen kommt, gehen die zweieinhalb Stunden viel zu schnell vorbei. Sie haben noch bis in den Mai hinein Gelegenheit, sich diese Rarität in Coburg anzuschauen. Ich habe letzteres leider nicht und hoffe deshalb auf eine Wiederaufnahme in der kommenden Spielzeit, damit sich auch für Auswärtige vielleicht noch einmal ein Samstagstermin bietet. Ich komme in jedem Fall. Neugierig macht die Produktion auch auf das, was Tobias Materna und der scheidende Hausherr gemeinsam ab dem 13.05. auf die Bretter des Landestheaters bringen. Dann Inszenieren die beiden Poulencs „La voix humaine“ und die deutsche Erstaufführung von Toshio Hosokawas „The Raven“, ehe Bodo Busse Coburg Richtung Saarland verlässt.

Ihr Jochen Rüth / 21.03.2017

Die Fotos stammen von Andrea Kremper.