Premiere: 7. Februar 2014
Taliban-Philosophie und -Moral im mährischen Dorf.
„Muss das böhmische Dorf so trist sein?“ – schrieb jemand nach der Premiere in das Gästebuch des Landestheaters.
Es muss nicht trist sein, es ist nur eine triste, und doch keine ungewöhnliche, Geschichte, die sich in einem mährischen (nicht böhmischen!) Dorf Ende des 19. Jahrhunderts abspielt: Jenufa wird schwanger von einem Mann, der sie nicht liebt und fallen lässt. Und der Mann, der Jenufa liebt, verstümmelt sie mit dem Messer. Weil er sie liebt. Kein Grund, dass das Dorf trist ist. Im Gegenteil, ein solcher Vorfall wird strengst geheim gehalten, und die Menschen feiern, mal mit mal ohne ersichtlichen Anlass. Bunt, fröhlich, ausgelassen.
Hier beginnt das Missverständnis. Die Regie (Dirk Schmeding) hat sich für eine allgemeine Tristesse entschieden, im Einklang mit deprimiert farblosen Bühnenbild und Kostümen (Susanne Ellinghaus). Der Blick in die Kulturgeschichte, oder einfacher, der Blick in die Literatur der Jenufa-Zeit, zeigt die typische Eigenart der kleinbürgerlichen Moral, von der auch ein mährisches Dorf nicht frei ist: Erotische Leidenschaft ist die Schande für die Frau und das selbstverständliche Vergnügen für den Mann. Die Schwangerschaft ohne den Segen der ausgerechnet zeugungsabstinenten Priester wird zur Lebenskatastrophe der Frau. Das Natürlichste im Menschenleben, die Zeugung und Geburt eines Kindes, wird so zur ungeheuerlichen Schande. Soweit stimmt das Theaterbild.
Doch je größer diese Schande, umso pompöser, bunter und schöner der Besen, der sie unter den Teppich kehrt. Nach außen hin muss das Dorf, oder die betroffene Gemeinschaft, Glück, Freude, Unbekümmertheit vortäuschen: Nichts ist passiert, alles ist gut. Prüderie pur. Die Dramatik der Janacek-Oper – und der literarischen Vorlage von Gabriela Preissova – liegt in diesem krassen (auch im audiovisuellen Sinn) Widerspruch zwischen der Tragödie Jenufas und ihrer Ziehmutter einerseits, und dem bunten ausgelassenen Treiben der ahnungslosen oder wegschauenden Dorfgemeinschaft anderseits. Die Detmolder Inszenierung lässt aber den Eindruck entstehen, dass alle Beteiligten von Anfang an mit der Last der Mitwisserschaft und Mittäterschaft zu schaffen haben. Oder… Wollte der Regisseur hier – auch durch die Verlegung des Geschehens in eine nicht näher unbestimmte moderne Zeit – andeuten, wie dünn unsere Zivilisationsdecke ist, wie nah es ist zu einem Rückfall in die Taliban-Philosophie und -Moral?
Dem trist bedrohlichen Ton des Bühnenspiels fügt sich auch die Orchesterführung (Lutz Rademacher): Wenig nuanciert, sehr auf die (programmatische) Expression, und weniger auf Janaceks positivistische Volksmusik-Empathie bedacht, die ja auch sehr lyrisch und farbenfroh ist. Die Sänger (Jana Havranova als Jenufa, Andrea Baker als Küsterin, Ewandro Stenzowski als Stewa, Heiko Börner als Laca – um nur die vier wichtigsten Protagonisten zu nennen) müssen oft in ihren nicht gerade leichten Parten gegen das forte des Orchesters ankämpfen. Was gut dabei, sie verlieren trotz alledem nicht ihre hohe Stimmqualität.
Was auf Unverständnis stößt, ist die Entscheidung, Jenufa auf Deutsch aufzuführen. Nach dem fragwürdigen, auf Deutsch gesungenen Gianni Schicchi, ist nun Jenufa die zweite in Folge Produktion in Detmold, die die Originalfassung umgeht. Mag die Übersetzung von Max Brod auch so kongenial sein, der deutsche Text ist ein fonetischer Fremdkörper, der allerdings dem Regiekonzept (grau & grausam) folgt. In seinem Werk setzt Janacek die verbale Volksart in die Tonsprache der Musik um: traurig – tragisch – spielerisch – lustig – komisch. Er sublimiert ihre Sinnlichkeit bis zu einer raffinierten Harmonie der Musik und des Wortes. Der gesungene Text wird im Original zur „Wortmelodik“, einem Begriff der Musikgeschichte, den er mit kreiert hat. Die Übersetzung in eine klanglich andere Sprache zerstört sie. Nur einmal singt Jana Havranova eine Arie auf Tschechisch, zu wenig Gutes für eine gelungene Produktion.
Jan Ochalski 15.1.14 Fotos Landestheater/Lefebvre