Zum Zweiten
Premiere am 13.2.16
Lieber Opernfreund-Freund,
„L’infante è fuor di sé!“ – „Der Infant ist wahnsinnig“ heißt es an einer Stelle in Verdis „Don Carlo“, der am vergangenen Wochenende am Opernhaus Düsseldorf vor restlos ausverkauftem Premiere hatte. Und dieser Satz scheint zentraler Angelpunkt in Guy Joostens Inszenierung zu sein, wird doch dem historischen Vorbild aus dem 16. Jahrhundert genau das nachgesagt: Wahn aufgrund des engen verwandtschaftlichen Verhältnisses seiner Eltern (sie waren Cousin und Cousine). Der niederländische Regisseur zeigt die Titelfigur sowie alle anderen beteiligten Personen hautsächlich als in Ihren Zwängen verhafteten Individuen. Das variable Bühnenbild von Alfons Flores besteht fast ausschließlich aus Wänden aus wehrhaft erscheinenden Pyramiden, die wie Waben angeordnet sind und je nach Lichteinfall golden oder bronzefarben schimmern.
Bei entsprechender Beleuchtung werden sie durchsichtig, so dass eindrucksvolle Bilder entstehen können (tolles Licht: Manfred Voss). Diese Wände werden herabgesenkt, erzeugen Enge, schaffen Gänge für den ewig präsenten Klerus, die Protagonisten werden zu Gefangenen – auch in sich selbst. Don Carlo zuckt unkontrolliert, sein Wahn ist allgegenwärtig, zeigt sich am deutlichsten im ansonsten recht unspektakulär inszenierten Autodafé. Dieser Focus ist zweifelsohne interessant, ermöglicht aber alleine noch keine neue Sicht auf das Werk, bleibt also bloßer Aspekt, der zwar gezeigt, nicht aber weiter entwickelt wird. Das ist schade, böte doch die versammelte Sängerschar vor allem auch darstellerisch die Möglichkeit, hier inszenatorische mit einer anderen Lesart zu überzeugen.
Allen voran ist Gianluca Terranova zu nennen. Der italienische Tenor besticht durch eine bombensicherer Höhe und ein Timbre voller Italianitá, die der Rolle ausgezeichnet steht. Er singt differenziert, spielt ausgezeichnet und ist so der gesangliche wie darstellerische Star des Abends. Bravo! Sein Freund Posa kann da nicht wirklich mithalten. Zu blass, zu gedämpft kommt der Bariton von Ensemblemitglied Laimonas Pautienius über den Graben, zu einstudiert wirken seine Gesten. Von der Regie vernachlässigt ist auch Elisabetta di Valois, Angebete und Stiefmutter des Titelhelden.
Olesya Golovneva verfügt über einen klaren Sopran mit feiner Höhe und einer satten Mittellage, kann ihrer Figur aufgrund der Regie aber erst im letzten Akt wirklich Kontur verleihen, überzeugt zuletzt in einer packend gesungenen und gespielten Szene am Grab Karls. Die Eboli von Ramona Zaharia besticht durch die gewagte Robe (historisch nicht immer dem richtigen Zeitalter entlehnte, aber nichtsdestoweniger beeindruckende Kostüme von Eva Krämer) wie durch satten Mezzo und leidenschaftliches Spiel. Sami Luttinens bedrohlich wirkender Bass ist ideal für den Großinquisitor, Adrian Sâmpetrean gibt Filippo II. mit geschmeidigem Bassbariton voller Gefühl und Kraft.
Verdi heißt fast immer auch Chor. Der glänzend disponierte Chor wurde von Gerhard Michalski einstudiert und überzeugt ebenso wie die zahlreichen kleineren Rollen. Andriy Yurkevych entfesselt im Graben ein tolles Klangfeuerwerk, wuchtig klingen da die Ausbrüche, geschmeidig und zart die lyrischen Passagen. Wunderbar!
Am Ende gibt es zahlreiche „Bravo“-Rufe, vor allem für die Herren Terranova, Sâmpetrean und Luttinen sowie für Frau Zaharia. Einzelne „Buhs“ sind zu vernehmen, als sich das Regieteam zeigt. Aber warum? Ist ein Kuss zwischen zwei Männern, der länger als eine Sekunde dauert, und damit homosexuelle Neigungen Posas andeutet, immer noch ein Aufreger? Sind Eselsohren für die flandrischen Delegierten unzumutbar? Sicher ist Herrn Joosten gestern nicht der große Wurf gelungen, nicht jede Idee des Flamen überzeugt. Allerdings ist dann doch ein veritabler, wenn auch eher unspektakulärer „Don Carlos“ dabei heraus gekommen.
Ihr Jochen Rüth aus Köln 14.02.16
Bilder (c) Rheinoper / Hans Jörg Michel