Aufführung am 19.1.20 (Premiere am 17.1.)
Gezügelter Verismo
Franco Alfano (Neapel, 1876 – San Remo 1954) hat zwar 10 Opern geschrieben, ins Gedächtnis der Opernliebhaber hat er sich allerdings nur als Vollender von Puccinis „Turandot“ eingebrannt. Vielleicht fällt einem auch noch „Cyrano de Bergerac“ (1936) ein, weil das Werk zunächst von Roberto Alagna ausgegraben und dann auch von Plácido Domingo gegeben wurde. Nach Neapel hatte der Komponist auch in Leipzig studiert und war u.a. ein gefragter Pianist, der als rechter Kosmopolit auftrat, was vielleicht auch seiner französischen Mutter zu verdanken war.
„Risurrezione“ nach Tolstois „Auferstehung“, 1898 geschrieben, aber erst 1904 in Turin unter Tullio Serafin uraufgeführt, war das Werk, das in Italien den größten Erfolg hatte, sich aber im Ausland nicht durchzusetzen vermochte (obwohl es 1909 in Berlin gegeben wurde). Dass Alfanos Kompositionen mehr oder weniger in der Nachfolge Puccinis stehen, dürfte der Grund sein, weshalb ihm die Aufgabe der Vollendung von „Turandot“ anvertraut wurde.
In Florenz war die Fassung zu hören, die Alfano schon 1906 für die Scala erstellt hatte. Der Komponist nahm bedeutende Striche vor, die aus dem Libretto von Cesare Hanau Nebenfiguren eliminierte, die das vermitteln sollten, was man vor rund 120 Jahren in Mitteleuropa für „typisch russisch“ hielt und wie es z.B. bei Umberto Giordanos „Fedora“ und „Siberia“ zu beobachten ist. An sich ist das Libretto sehr gut gemacht und gibt einen guten Überblick über die Schlüsselszenen und -anliegen von Tolstois Spätwerk. Der 2. Akt stammt allerdings zur Gänze der Phantasie des Librettisten, denn die Szene am Bahnhof, in der die schwangere Katjuscha vergeblich auf den Fürsten Dimitri Nekludoff, den Vater des zu erwartenden Kindes, wartet, nimmt bei dem großen Russen eine knappe Seite ein.
Bei Tolstoi steht der Fürst im Mittelpunkt, ein oberflächlicher Lebemann, der sich erst als Geschworener bei einem Prozess gegen eine des Mordes angeklagte Dirne an diese Katjuscha erinnert, die er vor vielen Jahren verführt hatte. Als ihr Zustand nicht mehr zu verbergen war, wurde sie von der Herrschaft (einer Tante des Fürsten) hinausgeworfen und sank nach dem Tod ihres Kindes immer tiefer. Sie wird zu 20 Jahren Sibirien verurteilt, aber der Fürst findet heraus, dass sie unschuldig ist. Nun will er sein Unrecht gutmachen, folgt der jungen Frau auch nach Sibirien. Obwohl ihn Katjuscha nicht heiraten will, sieht Tolstoi in Dimitris Sinneswandel , der auch dazu führt, dass er sich seiner Güter entledigt, eine spirituelle „Auferstehung“. In der Oper hingegen steht Katjuscha im Mittelpunkt, und ihr Nein zur Heirat mit dem Fürsten, ihre Hingabe bei der Betreuung der Mitgefangenen und ihre Eheschließung mit dem politischen Gefangenen Simonson symbolisieren ihre persönliche „Auferstehung“.
Musikalisch wird ein Gutteil im canto di conversazione abgewickelt, der aber immer wieder ariose Stelle beinhaltet und auch schöne lyrische Aufschwünge bietet. Der erwähnte Akt am Bahnhof sieht für den Sopran eine intensive Szene vor, die nicht als eigentliche Arie zu bezeichnen ist, doch war. dem Programmheft zu entnehmen, dass sie von Größen wie Mary Garden, Magda Olivero, Gianna Pederzini oder Mirella Freni eingespielt wurde. Das Orchester ist in typischer Verismo-Manier üppig besetzt.
Der inzwischen abgetretenen Direktion des Hauses und Fabio Luisi ist es zu danken, dass man sich an dieses Werks erinnerte. Aus den Pausengesprächen war zu entnehmen, dass das Publikum im überaus gut besuchten Haus großes Interesse zeigte (das sich am Schluss auch in begeisterter Zustimmung niederschlug). Sehr gelungen war nämlich auch die Regie von Rosetta Cucchi in den sich auf das Wesentliche beschränkenden Bühnenbildern von Tiziano Santi und den Kostümen von Claudia Pernigotti. Der ländliche Bahnhof mit seinen Wärme suchenden Besuchern, die graue, oppressive Atmosphäre im Kerker und schließlich die eisige sibirische Landschaft blieben mir stark im Gedächtnis. Alle Achtung vor dem Wexford Opera Festival, wo diese Produktion ursprünglich entstanden ist.
Die Französin Anne Sophie Duprels war eine sehr überzeugende Katjuscha, die von ihrer kindlichen Schwärmerei für den Fürsten über die zynisch gewordene Kerkerinsassin bis zur geläuterten, „auferstandenen“ Frau alle Nuancen intensiv ausspielte und dazu einen Sopran hören ließ, der furchtlose Höhen bot, aber auch im canto di conversazione Schmiegsamkeit offerierte. Der Amerikaner Matthew Vickers (keine Verbindung zum großen Jon V.) gefiel vor allem durch sehr schön aufgehende Höhen bei angenehmem Timbre, während die Mittellage eher schwach ausgeprägt ist. Auch kann ich ihn nicht als „wirkungsvollen Darsteller“ einstufen, der er laut Sängerprofil im Programmheft ist, denn er stand eher stocksteif herum. Der Koreaner Leon Kim nützte als Simonson seinen erst im 4. Akt erfolgenden Auftritt mit Nachdruck, aber eher rauhen Höhen. Romina Tomasoni überzeugte als unfreundliche Gouvernante im 1. Akt und als sich liebevoll um Katjuscha kümmernde Anna im 2. Ana Victoria Pitts aus Brasilien lieh der Aufseherin im Kerker ihren angenehmen Mezzo. Die zahlreichen anderen Figuren in Kleinstrollen wurden von Mitgliedern des Chors des Hauses bestens wahrgenommen. Unter Lorenzo Fratini sang besagter Chor seine russisch getönten Einwürfe bestens. Am Pult des Orchesters des Hauses erwies sich Francesco Lanzillotta als dem Werk überzeugt dienender Leiter. Die ganze Aufführung bewirkte, dass man dem viel geschmähten Verismo sowohl vom Werk her, als auch in dieser Form gerne öfter begegnen würde.
Eva Pleus 23.1.19
Bilder: Michele Monasta