Aufführung am 20.10.19 (Premiere am 12.10.)
Zwischen Tragédie lyrique und grand-opéra
Mit einer Rarität begann die neue Saison in Florenz. Die Werke von Gaspare Spontini (1774-1851) haben sich mit Ausnahme seltener Wiedergaben von „La vestale“ nicht auf den Spielplänen halten können. Zu Lebzeiten war der Komponist allerdings überaus angesehen und wurde nach ersten Erfolgen in seiner italienischen Heimat 1803 nach Paris berufen, wo er ab 1805 Napoleons Hofkomponist wurde, sich nach dem Sturz des Kaisers aber1814 als königlicher Hofkomponist der Bourbonen nach der Restauration etablieren konnte. 1820 wurde er von Friedrich Wilhelm III. von Preußen als Generalmusikdirektor nach Berlin berufen (wobei dieser Titel zum allerersten Mal überhaupt verliehen wurde!). In Berlin hielt es ihn 20 Jahre lang, dann kehrte er nach Paris zurück, um sein Leben schließlich in den heimatlichen Marken zu beenden.
Napoleon, der viel für die italienische Musikschule übrig hatte, beauftragte Spontini mit der Vertonung der Taten von Hernán Cortez, dem Eroberer Mexikos (Untertitel ist denn auch „ou La conquête du Mexique“). Der Korse wusste sehr gut, warum er sich für dieses Sujet entschieden hatte, denn er plante gerade seinen Feldzug gegen Spanien. So wie er diesen unter das Motto „Aufklärung gegen Obskurantismus“ stellte (immerhin waltete die Inquisition in Iberien noch zu Beginn des 19. Jahrhunderts ihres Amtes), übersah er bewusst die Greueltaten der spanischen Eroberer unter dem Vorwand, diese hätten die mexikanischen Ureinwohner bloß von dem blutigen Kult der aztekischen Priester befreien wollen. Also eine Hymne auf Napoleon, wobei sich das Kaiserpaar (damals war noch Joséphine Beauharnais die Gemahlin des Kaisers) bei verschiedenen Vorstellungen persönlich zeigte und das Publikum jeglichen Hinweis auf Cortez‘ Tapferkeit lauthals bejubelte.
Soweit die Vorgeschichte der 1809 uraufgeführten Oper, die von ihren Librettisten Étienne de Jouy und Joseph-Alphonse d’Esménard als tragédie lyrique in drei Akten bezeichnet wurde. Da Spontini aber nach Napoleons Sturz starke Veränderungen an seinem Werk vornahm, ganze Szenen von einem zum anderen Akt verschob und immer wieder an der Oper tüftelte, gibt es drei verschiedene Versionen davon, deren letzte von 1817 in Frankreich noch einige Jahrzehnte lang populär war. In Florenz hörten wir aber die mehr oder weniger vergessene Erstfassung.
Der Blick 200 Jahre später zeigt uns eine hochinteressante Mischung, nämlich einerseits die der Tradition Glucks folgende Deklamation, in der die Rezitative oft wichtiger sind als die Arien (wobei sich Spontini als raffinierter Könner der Orchestrierung, aber wenig phantasievoller Melodiker erweist), andererseits, schon dem Sujet geschuldet, einen ersten Prototyp der grand-opéra. Vom Musikalischen her bleiben dem heutigen Hörer wohl am ehesten die martialischen Märsche im Ohr, zusammen mit etlichen eindrücklichen Chören. In der Pariser Tradition gibt es mehrere Balletteinlagen, die insgesamt rund 40 Minuten umfassen. Die Länge der drei Akte ist ziemlich unausgeglichen, denn der erste dauert gut eineinhalb Stunden, der zweite rund 50 Minuten, der dritte eine Stunde. Da gerade der 1. Akt musikalisch der dürftigste ist, zog er sich. Dann nahm die Musik langsam an Fahrt auf und brachte ein paar dramatisch gelungene Szenen.
Die Handlung: Cortez (Tenor) ist in Mexiko gelandet, hat sich in die Prinzessin Amazily (Sopran) verliebt und will die Ureinwohner befrieden. Telasco (Tenor), Amazilys Bruder, hasst die Eroberer. Alvaro (Tenor), Cortez‘ Bruder, ist in den Händen der Mexikaner und soll geopfert werden, um die Götter günstig zu stimmen. Hin- und hergerissen zwischen ihrer Liebe zu Cortez und der zu ihrer Heimat, beschließt Amazily, sich anstelle von Alvaro zu opfern, wird aber in letzter Minute von Cortez gerettet. Telasco schließt nun auch Frieden mit dem Eroberer, die Geschwisterpaare Cortez-Alvaro und Telasco-Amazily und schließlich das spanisch-mexikanische Liebespaar jubeln und besingen die neue Freundschaft. Nur der böse Hohepriester (Bass) will von Frieden nichts wissen und wird von spanischen Soldaten weggebracht. Über sein (vermutlich nicht gerade sanftes) Ende erfahren wir nichts.
Wie kann man heute an ein solches geschichtsverfälschendes Sujet für ein Publikum, das für die fast völlige Ausrottung der ursprünglichen Bewohner Amerikas sensibilisiert ist, herangehen? Die Regisseurin Cecilia Ligorio hatte einen blendenden Einfall: Sie zeigte Moralez (Bass), den Freund und Vertrauten Cortez‘, wie er an seinen Erinnerungen schreibt. Dazu bediente sie sich der Verdadera Historia de la Conquista de Mexico von Bernal Díaz de Castillo, der zu Cortez‘ Truppen gehört hatte und im Alter mit dieser Niederschrift Abbitte für die Taten der Eroberer zu leisten versuchte. So sehen wir diese Texte nach und nach auf Zwischenvorhänge projiziert, was es erleichtert, die kriegerischen Worte des Librettos als das hinzunehmen, was sie sind – Propaganda für Napoleon.
Mit Hilfe einer Ausstattung (Alessia Colosso, Massimo Checchetto), die – vor allem im 1. Akt – einer grand-opéra würdig ist, bekommt der Zuschauer beim Anblick der spanischen Korvetten (und deren von Cortez selbst veranlasstem Brand, um sein meuterndes Heer zum Zurückbleiben zu zwingen) und umgekehrt üppiger Maisfelder einen Eindruck des Aufeinanderprallens zweier Welten. Die Kostüme von Vera Pierantoni Giua waren hinsichtlich des Damenchors weniger geglückt, denn die orangefarbenen Hänger erweckten eher Assoziationen zur Befreiung der Frauenkörper vom Mieder, als sie an Gewänder der Einheimischen denken ließen. Überzeugender war der Anblick der gepanzerten Spanier ausgefallen. Während sich die Beleuchtung von Maria Domènech Gimenez als stimmungsvoll erwies, erweckte die Choreographie von Alessio Maria Romano leider eher den Eindruck eines sinnlosen Herumgerennes, vor allem bei den den Ureinwohnern gewidmeten Stücken (Compagnia Nuovo BallettO di ToscanA).
Die musikalische Leitung hatte Jean-Luc Tingaud inne. Ursprünglich hätte Musikchef Fabio Luisi die Produktion leiten sollen, aber nach der skandalösen Entfernung aus politischen Motiven des Intendanten Cristiano Chiarot hatte auch er in Florenz demissioniert. Tingaut schien mir eine professionelle Leistung ohne besondere Glanzlichter zu bieten, dem Orchester und Chor des Maggio Musicale Fiorentino (letzterer unter der Leitung von Lorenzo Fratini) mit Sorgfalt folgten.
Die Sängerbesetzung hätte brillanten ausfallen dürfen. In der Titelrolle klang der argentinische Tenor Dario Schmunck stimmlich robust, doch fehlte ihm der Sinn für die Deklamation à la française. Als Telasco musste der Franzose Luca Lombardo einer langen Karriere Tribut zollen. Seine idiomatische Aussprache ließ die Versuche seiner Kollegen, in halbwegs akzeptablem Französisch zu singen, einen deplorablen Ausgang nehmen. David Ferri Durà hätte mit seinen aus dem Chor rekrutierten Mitstreitern Davide Ciarrocchi und Nicolò Ayroldi ein bewegendes Terzett der gefangenen Spanier zu interpretieren gehabt, aber seine quäkende Buffostimme verhinderte das Aufkommen von Emotionen. Bei den tiefen Stimmen klang der Amerikaner André Courville (Hohepriester der Azteken) recht ruppig, was man seinem grausamen Metier zugute halten kann. Gianluca Margheri war ein sehr lebhaft agierender Moralez und befriedigte auch gesanglich. Als Amazily zeigte die Griechin Alexia Voulgaridou die von starker emotionaler Teilnahme gezeichnete, gesanglich überzeugendste Leistung. Ihr galt denn auch mehrmaliger Szenenapplaus. Weitere fünf Interpreten von Kleinstrollen seien pauschal gelobt.
Trotz der Länge der Vorstellung (Beginn: 15.30 Uhr, Ende 19.45 Uhr) zollte das Publikum am Schluss mehr als freundlichen Beifall für das interessante Unternehmen.
Eva Pleus 26.10.19
Bilder: Michele Monasta