Aufführung am 2.12.18 (Premiere am 13.1., WA am 25.11.)
Als diese Produktion im Januar des Jahres herauskam, schlugen die Wellen hoch, denn diesmal wurde nicht die Titelrollenvertreterin von Don José getötet, sondern umgekehrt. Es steht völlig außer Frage, dass ein solches Finale nicht nur von den Autoren nicht gewünscht, sondern auf Basis des Textes vollkommen absurd ist. Die weltweit empörten Kommentare waren nur zu verständlich, allerdings fehlte (selbstverständlich) die Durchsicht in die italienischen Opernangelegenheiten. Es ist nämlich so, dass Cristiano Chiarot die Intendanz des Florentiner Opernhauses übernommen hat. Chiarot hatte jahrelang mit großem Geschick das venezianische Teatro La Fenice geleitet und wurde vom italienischen Kulturminister nach Florenz sozusagen zwangsversetzt, um das krisengeschüttelte Haus aus seiner Misere zu befreien. Nun handelt es sich nicht nur um einen wirtschaftlich tüchtigen und künstlerisch denkenden Mann, sondern auch um einen, der nicht um PR-Gags verlegen ist. Daraus entsprang der Einfall für die Veränderung des Finales von Bizets Meisterwerk im Zeichen von #Metoo, was erwartungsgemäß das Interesse der gesamten Opernwelt weckte. Regisseur Leo Muscato schien anfänglich gar nicht von dieser Lösung überzeugt, fand sich schließlich aber damit ab. Soweit die Vorgeschichte, die auch einmal erzählt gehört.
Wie ich mich bei dieser Wiederaufnahme im November/Dezember überzeugen konnte, ist die (hier von Alessandra De Angelis betreute) Regie nämlich ausgezeichnet. Schon die Bühnenbilder von Andrea Belli führen uns in eine moderne Roma-Siedlung, sprich einen Campingplatz mit alten Wohnmobilen, der durch einen Zaun von der Umgebung abgeschirmt wird. (Hier werden sich dessen Bewohner auch die TV-Übertragung von Escamillos Stierkampf ansehen, wobei die Kinder ihn nachstellen). Hinter diesem Zaun äffen die Kinder denn auch die Wachablöse der Soldaten nach. Dieses unaufdringlich heutige Ambiente bildet den idealen Rahmen auch für den Zusammenprall der streitenden Frauen, sind die einen doch Fabrikarbeiterinnen, die anderen Zigeunerinnen (falls das Wort gestattet ist). Das (gar nicht so) wandernde Volk ist auch perfekt geschminkt, wie auch die äußerst kreativen Kostüme zu dem starken Eindruck beitragen. Originell und nicht nur das auch die letzte Szene des 1. Akts, die sich auf dem Kommissariat abspielt (für den Szenenwechsel genügt eine Zwischenwand).
Im Ganzen bleibt das Bühnenbild aber unverändert, was starke Szenen erlaubt. Wir sehen beispielsweise Don Josés Neigung zur Gewalt, wenn ihn Carmen im 2. Akt wegschickt und sich in ihren Wohnwagen zurückzieht: José stürzt ihr nach, und Carmen wird sich bei Zunigas Auftritt mit einer Platzwunde im Gesicht zeigen. Überhaupt ist von Anfang an klar, dass diese Geschichte nicht gut ausgehen kann und Carmen sich besser nicht auf diese Caprice (denn was ist ihr Benehmen im 1. Akt gegenüber José anderes?) eingelassen hätte. Das Duett Carmen-Escamillo im 4. Akt findet an zwei Münztelephonen statt, was dieser Szene nichts von ihrer Intensität nimmt. Unterstützt auch durch die raffinierte Lichtregie von Alessandro Verazzi gelangen Muscato überaus eindrückliche Genrebilder, verstärkt durch eine hervorragende Personenregie, die jeder der Figuren einen sehr persönlichen Charakter verleiht. Da ist man geneigt, über das aufoktroyierte Finale hinweg zu sehen.
Nicht nur mit der szenischen, sondern auch mit der musikalischen Wiedergabe konnte man glücklich sein. Am Pult des Orchestra del Maggio Musicale Fiorentino stand mit Matteo Beltrami ein Dirigent, der dem Damenchor im 1. Akt und der Chanson de Bohème im 2. einen hinreißenden Rhythmus verlieh und dem Klangkörper Töne entlockte, die mich an den Klang eines Metall bearbeitenden Schneebesens erinnerten (man verzeihe das Bild, aber mir fällt kein besseres ein). Ergänzt wurden diese Beispiele durch eine Carmens Beklemmung transparent machende Begleitung der Kartenarie und eine fast unerträgliche Spannung während der Schlussszene.
Beltrami hatte aber auch Sänger zur Verfügung, die seinen Tempi zu folgen vermochten. In der Titelrolle überzeugte Marina Comparato mit homogenem Mezzosopran, ausgezeichnetem Französisch und einer Sinnlichkeit, die nie den Touch der Unabhängigkeit verlor, in deren Zeichen Carmen in den Tod geht. Roberto De Biasio hat das richtige Material für Don José, da er über Spintoqualitäten ebenso verfügt wie über die Fähigkeit der Interpretation von Pianophrasen. Dass ihm der Schlusston der Blumenarie nicht ganz nach Wunsch gelang, war wohl eher eine Nervensache.
Der Micaëla verlieh Laura Giordano innige Töne, auch wenn ihr schön geführter Sopran eine Spur zu leicht war. Der flott und selbstsicher auftretende Escamillo des Leon Kim verfügte über einen etwas lärmenden Bariton, der aber nicht schlecht zur Figur passte. Geboten schmierig, aber auch gefährlich zeigten sich Dario Shikhmiri (Dancaïre) und Manuel Amati (Remendado), der Bariton stimmlich nachdrücklicher als der Tenor. In der gewählten Fassung mit gesprochenen Dialogen konnte Adriano Gramigni (Zuniga) stimmlich nicht viel zeigen. Darstellerisch war er so präsent wie Patrizio La Placa (Moralès). Frasquita Eleonora Bellocci überstrahlte die Ensembles, aber auch Mercédès Giada Frasconi mit satten Tiefen ließ sich stimmlich nicht lumpen. Bravourös und mit vielen Farben sangen der Chor und der Kinderchor des Hauses, beide einstudiert von Lorenzo Fratini.
Ein paar für die Regie gedachte Pfiffe, ansonsten einmütige Zustimmung des Publikums für diese Nachmittagsvorstellung.
Eva Pleus 29.12.18
Bilder: Michele Borzoni / Terra Project