Florenz: „Il barbiere di Siviglia“

Aufführung am 14.7.17 (Premiere am 10.7.) – Palazzo Pitti

Phantasievoll

In den letzten zehn Jahren ist Damiano Michieletto einer der international führenden Regisseure geworden (und der einzige Italiener auf diesem Level). Es war daher interessant, nun eine Inszenierung aus 2005 von ihm sehen zu können, die zu seinen ersten Arbeiten gehörte und für die Florentiner Nachwuchsinstitution „Maggioformazione“ entstanden war.

Gegeben wird sie nun im Rahmen des Sommerprogramms der Opera di Firenze, das im Hof des berühmten Palazzo Pitti stattfindet. Mit diesem prachtvollen Bau wollten die Pitti die Familie Medici übertrumpfen, was ihnen in politischer Hinsicht allerdings nicht gelungen ist. Wir können uns heute an dem von Bartolomeo Ammanati (1511-1592) gestalteten Hof erfreuen, der außer optischen Freuden auch eine durchaus akzeptable Akustik für Freilichtaufführungen besitzt.

Die also über 12 Jahre zurückliegende Arbeit von Michieletto (hier von Silvia Paoli betreut) zeigt bereits die große szenische Phantasie des Regisseurs, denn die von ihm selbst entworfene Szenerie besteht praktisch nur aus Stühlen.

Zu Beginn wird über Lautsprecher ein Zug von Florenz nach Sevilla angekündigt, und sobald die Ouvertüre einsetzt, sitzen die Sänger, unterstützt von ausgezeichneten Mimen (die auf Italienisch sehr hübsch als „figuranti speciali“ bezeichnet werden) auf Stühlen und zeigen durch ihre Bewegungen das Rattern der Fahrt samt etlichen plötzlichen Bremsungen an. Grundsätzlich bin ich nicht für die szenische Bebilderung von Ouvertüren, doch war dieser Einfall so nett wie überzeugend. Mit Hilfe der Stühle werden dann sämtliche Szenen bestritten – unglaublich, wie deren verschiedene Anordnung ganze Bühnenbilder zu ersetzen vermag! Da schien es fast schon zuviel, dass eine Leinwand erklärend bemalt wurde, während Figaro seinen Laden beschrieb. Weitere Versatzstücke waren ein paar Polster, ein Cello (für Rosinas Musikstunde) und – ein Bügelbrett (für die Arie der Berta). Ja, und Regenschirme waren während der Gewittermusik rechtens zu sehen.

Weniger erfreulich waren die Kostüme von Carla Teti (obwohl natürlich anzunehmen ist, dass sie den Vorgaben des Regisseurs folgten). Als störend empfand ich vor allem Figaros Gewandung, der wie ein Mix aus einer Figur der commedia dell’arte und eines mittelalterlichen Hanswurst (samt Schmerbauch) wirkte. Damit war die Figur abstrakter charakterisiert, unter Verlust ihrer so sympathischen menschlichen Eigenschaften. Alessandro Luongo hielt dieser Schwierigkeit aber mehr als tapfer stand und ließ einen brillant klingenden, beweglichen Bariton hören. Auch Don Bartolo hatte wie eine Maske aufzutreten, deren weiße Schminke seinen Darsteller an mimischer Umsetzung hinderte, doch auch in diesem Fall ließ sich Omar Montanari nicht einschüchtern und sang mit geläufiger Gurgel einen kraftvollen Unsympathler. Die verfremdende Verkleidung passte am besten zu Don Basilio, der wie ein grünes, schleimiges Reptil wirkte. Luca Dall’Amico nutzte diese Vorgabe schauspielerisch, während er stimmlich eher blass blieb.

Die Maskierung Almavivas war am schwersten zu akzeptieren, denn war die Halbmaske mit langer, gebogener Nase (ergänzt im 2. Akt durch eine bischöfliche Kopfbedeckung) einerseits überzeugend, um ihn nicht gleich erkennbar zu machen, so musste er zwei Drittel der Oper als ziemlich hässliches Geschöpf verbringen, was bei dem feschen Piero Adaini schade war. Sobald der junge Tenor die Koloraturen besser im Griff hat, wird seine Leistung eine tadellose sein. (Es war daher richtig, das Schlussrondo, wie früher immer üblich, zu streichen). Als Fiorello machte Tommaso Barea gute Figur – ich würde ihn gern in einer größeren Rolle begutachten. Die Berta der Eleonora Bellocci gab ihre Arie korrekt wieder, aber nicht mehr. Ein stimmstarker Offizier war Vito Luciano Roberti. Mittelpunkt der Aufführung war aber die Rosina der jungen Laura Verrecchia, die einen wahren Wirbelwind auf die Bühne brachte und in jeder Szene das Bild einer starken, unabhängigen jungen Frau war (freilich durfte sie als Einzige ein hübsches Kostüm tragen). Grundlage für diese schauspielerische Wirkung war ihr voll timbrierter Mezzo, der die Koloraturen so agil wie schlank sang und damit das Versprechen auf eine nahe Zukunft als szenisch und vokal perfekter Rossinimezzo abgab.

Präzise der Chor des Maggio Musicale Fiorentino unter der Leitung von Lorenzo Fratini und entscheidend für die brillante Wirkung des Abends der qualitätvolle Klang des Orchestra del Maggio Musicale Fiorentino, dem Matteo Beltrami vom Pult aus ganz schön einheizte. Rossinis brillante Klangkaskaden wirkten wie aufpoliert und verfehlten keinen Augenblick lang ihre mitreißende Wirkung.

Ein schöner, heftig bejubelter Abend.

Eva Pleus 24.7.17

Bilder: Manuela Meloni / Contrasto