Gießen: „Die Eroberung von Granada“, Emilio Arrieta

Premiere am 24.05.2014

Deutsche Erstaufführung nach 164 Jahren

Reconquista verständlich erzählt und geschmackvoll in Szene gesetzt

Als nach den Napoleonischen Kriegen vom spanischen Hof mehr und mehr Dokumente aus der Ära der Reconquista veröffentlicht wurden, kam ein großes Interesse an den Geschehnissen um die Eroberung des Emirats von Granada 1492 auf, der Eroberung des letzten Maurenstaats auf iberischem Boden. Es entstand gar eine ganze Stilrichtung, der „Alhambrismus“, der auch in die Musik eindrang. Emilio Arrieta war ein spanischer Komponist, der sein (Opern)Handwerk in Italien gelernt hatte und dort mit einer ersten Oper Erfolge feierte. Aber später sollte Arrieta sich Geld und Namen mit Zarzuelas machen, die noch heute vielfach aufgeführt werden. „La conquista di Granata“ kam 1850 in italienischer Sprache im Teatro Real Palacio in Madrid heraus. Isabella II. von Spanien, Mäzenin von Arrieta, hatte sich für das Werk eingesetzt; so wurde es auch eine Huldigungsoper für ihre Vorgängerin Isabella I., unter deren Regentschaft die Oper spielt. Historisches Ergebnis: Die Mauren mussten entweder konvertieren oder das Land verlassen. (Das gleiche geschah übrigens mit den Juden, die der kastilischen Krone zwar den Krieg finanziert hatten, aber zum Dank dafür ebenfalls Iberien verlassen mussten, sollten sie nicht konvertieren wollen.)

Naroa Intxausti (Zulema)

Temistocle Solera, als Librettist für Verdis Nabucco bekannt, schrieb das Libretto für Arrietas Oper und basierte es auf damals beliebten literarischen Vorlagen für den Stoff. Als historisch verbürgte Personen treten Isabella I. von Kastilien, Muhammad XII. („Boabdil“) und Gonzalo Fernández de Córdoba y Aguilar auf. Die anderen Figuren sind ganz im Stil einer barocken seria-Oper hinzugefügt, so fehlt auch die für die italienische Oper des 19. Jhdts. sonst so typische Dreierkonstellation. Handlung: die Kastilier unter Isabella befinden sich in Stellung vor Granada; ihr Befehlshaber Gonzalo ist aber heimlich in die zum Christentum konvertierte Schwester des Boabdil verliebt; ihrVater Mulay Hassem lehnt die Verbindung schroff ab und vermaledeit seine Tochter derentwegen sogar. Die Mauren wollen den Konflikt stellvertretend durch ein Duell zwischen zwei Repräsentanten der Regime lösen, wozu ein weiterer Bruder Zulemas die Kastilier durch den maurischen Fürsten Alamar herausfordern lässt. Isabella ernennt Gonzalo zu ihrem Duellanten; der hatte aber Zulema geschworen, nie mit einem ihrer Familienangehörigen zu kämpfen; somit springt sein Freund Lara im Duell für Gonzalo ein und tötet Zulemas Bruder. Diese weiß zunächst nichts von dem Kombattantentausch und wendet sich von Gonzalo ab. Die Verwicklungen werden leicht gelöst, als sich die Wahrheit herausstellt und zudem noch Muley Hassem nach einem Traum zum Christentum konvertiert. Die Mauren übergeben Granada, Jubelchor, Ende der Oper. Die Handlung erscheint nur im ersten Blick kompliziert, aber es zeigt sich, dass gerade der Mangel an wirklicher Verwicklung die Schwäche des Librettos ausmacht. Inhaltlich ist das tatsächlich noch eine barocke Herrschaftsoper, in der sich alles zur Freude der Königin regelt.

Leonardo Ferrando (Gonzalo)

Am Stadttheater Gießen stellt nun Intendantin und Regisseurin Cathérine Miville diese Oper zum ersten Mal außerhalb von Spanien als deutsche Erstaufführung vor. Im Sinne des Alhambrismus könnte man das Stück in historisierend prächtiger Szenographie mit Löwenhof präsentieren: Architektur, Kostüme, Aufmärsche. Aber einmal ist das auf der kleinen Gießener Bühne gar nicht so einfach, und die Geschmacksrichtung von heute würde da auch nicht mehr treffen. So steuert Frau Miville mit ihrem Ausstatter Lukas Noll einen Mittelweg. Der stellt eine halb-abstrakte modern kubistische gestaltete und vielfach gegliederte Stahlkonstruktion auf die Drehbühne, wobei sich die einzelnen Spielorte nur wenig konkret präsentieren, aber durch die Drehungen der Bühne immer gut abgehoben werden können. In eine große Blechwand sind die Namen der Reyes Católicos, Fernando und Isabella gestanzt; davor, dahinter und darunter präsentieren sich Protagonisten und Chöre in modern stilisierten Kostümen. Den Bühnenabschluss bilden (in frühbarocker Technik) stehende, drehbare dreikantige Prismen, die von innen beleuchtet sind und orientalisierende Muster zeigen. Von der Alhambra bleibt auf der Bühnenrampe lediglich ein bemaltes Sperrholzmodell in Form eines Throns übrig, auf den sich Isabella besitzergreifend und provozierend zu Beginn der Oper setzt. Während der Text mit heute als diskriminierend empfundenen Ausdrücken (die Luft „stinkt“ vor Moslems) angereichert ist, werden in der szenischen Darstellung Vorurteile gegen die Muslims natürlich nicht Text-entsprechend instrumentalisiert, keine Pluderhosen oder Fese für die orientalischen Truppen, aber doch genügend deutliche Hinweise auf die Zugehörigkeit zu den Parteien von Einzelpersonen und Chor, der sich mehrere Male umziehen muss. So wird die Handlung leicht verständlich erzählt. Großes Mitempfinden für die eine oder andere Person mag sich handlungsbedingt nicht einzustellen, aber dafür sorgt dann die Musik.

Michaela Wehrum (Almeraya); Naroa Intxausti (Zulema); Chor

Unter der Leitung von Chorleiter und Kapellmeister Jann Hoffmann musizierte das Philharmonische Orchester Gießen frisch und konzentriert aus dem Graben. Wie auch Verdis Opern aus den späten vierziger Jahren des 19. Jhdts. liegt die Musik stilistisch in der Übergangsphase zwischen Belcantismus und melodamma. Sie ist einfach strukturiert, süffig, wenig filigran, arbeitet mit der für die Zeit typischen formelhaften Begleitfiguren und klingt dabei aber jederzeit recht inspiriert. Mit spanisch alhambrischen Melismen durchsetzt erhält sie einen eigenständigen Charakter. Durch die Ouvertüre wabert auch etwas deutsche Romantik. Große Bedeutung für das Werk haben die Chornummern. Dem tragen der musikalische Leitung, Regie und Ausstattung in beispielhafter Weise Rechnung: klangstark und präzise einstudiert, spannend bewegt und überzeugend kostümiert. Erwähnenswert noch das gekonnt auf der Bühne vorgetragene Flötensolo von Carol Brown, die als hübsches Kopftuchmädchen kostümiert war.

Giuseppina Punti (Isabella)

Auch bei der Besetzung der Solisten ließ das Theater mit einer Mischung von bewährten Gastsängern und Ensemblemitgliedern nichts anbrennen. Zu den regelmäßigen Gästen in Gießen gehört Giuseppina Piunti. Sie sang die Isabella. Von nobler und zugleich feuriger Bühnenerscheinung, über welche die historische Isabella nach den bekannten Portraits zu urteilen nicht verfügte, gestaltete sie ihre Rolle stimmlich mit sattem Mezzo und schönen leuchtenden Höhen, wenngleich die Stimme etwas eindimensional klang und im Blick auf eine bessere Textverständlichkeit mehr Modulation und Nuancierung gebrauchen könnte. Naroa Intxausti war als Zulema besetzt; sie verfügt über den rollenspezifischen silbrig-hellen Sopran, sang sich im Verlauf immer besser in ihre Rolle und entwickelte schöne Geschmeidigkeit unter dem in der Höhe etwas spitzen Vibrato. Michaela Wehrum aus dem Gießener Opernchor gab in der Nebenrolle der Almeraya, Zulemas Dienerin mit schlankem, gut fokussiertem Mezzo. Der Uruguayer Leonardo Ferrando war als Gonzalo besetzt und setzte mit seinem hellen Belcanto-Tenor positive Akzente setzen: beweglich in den Koloraturen und höhenfest ohne Schärfe bei sehr ordentlicher Textverständlichkeit. Seinen Freund Lara gestaltete Adrian Gans als kräftigen draufgängerischen Haudegen mit durchschlagsstarkem hellem, in der Höhe aber nicht recht fest sitzendem Bariton. Calin Valentin-Cozma überzeugte als Muley-Hassam, Vater der Zulema, mit mächtigem, runden Bass. Tomi Wendt bestritt die kurzen Auftritte des Boabdil mit schön konturiertem, kultivierten Bariton. Aleksey Ivanov, ebenfalls vom Gießener Chor, gefiel als Alamar mit kräftigem Bass.

Tomi Wendt (Boabdil); Aleksey Ivanov (Alamar)

Gießen hat wieder einmal mit einer Ausgrabung der Belcantozeit Interesse erweckt. Die Aufführung erfreute sich ausgesprochen großer Zustimmung aus dem vollen Gießener Haus. Sie kommt noch sechs Mal in dieser Spielzeit. www.stadttheater-giessen.de/

Manfred Langer, 25.05.2014

Fotos: Rolf K. Wegst