Graz: Bühnenshow „Hereinspaziert!“

Vorstellung am 7. September 2019

Anregender Querschnitt durch das Programm 2019/20

In Graz wird die Spielzeit 2019/20 des Opernhauses erst am 28. September mit der Premiere von Verdis Don Carlo eröffnet. Um den Opernfreunden das Warten nicht allzu lange werden zu lassen, gab es auch in diesem Jahr wieder eine Bühnenshow , in der die Intendantin Nora Schmid durch das Programm der neuen Saison führte. Und da sei gleich ein Kompliment vorangestellt:

Als Nora Schmid im September 2015 das erste Mal vor das Grazer Publikum trat, schrieb ich: Sie tat dies mit attraktiver Schweizer Präzision – zunächst wohl noch ein wenig angespannt, bald aber durch den freundlichen Beifall des Publikums an Sicherheit gewinnend. Nun: heute bei der Präsentation ihrer fünften Saison sind Attraktivität und Präzision weiterhin da – dazu kam ein locker-souveränes Auftreten, das auch den Ausfall eines Mikrofons dazu nutzen konnte, um Sympathien des Publikums zu gewinnen. Die Intendantin und ihr Grazer Publikum haben wohl endgültig zueinander gefunden!

Das 75-Minuten-Programm bot einen anregenden Querschnitt durch das Jahresprogramm, das im informativen Opernsaisonal nachzulesen ist. Ich beginne meinen Bericht – nicht chronologisch – mit jener Oper, die für Graz neu ist: Die-Passagierin von Mieczysław Weinberg. Diese schon 1968 vollendete Oper fand erst 2006 in Moskau ihre konzertante Uraufführung und wurde 2010 bei den Bregenzer Festspielen erstmals szenisch aufgeführt. Seither wurde das Werk mehrfach auf deutschen Bühnen nachgespielt und nun kann sich Graz auf spannendes Neues freuen. Chefdirigentin Oksana Lyniv berichtete interessant über die thematischen Bezüge zu zwei anderen Programmpunkten der Saison (Eröffnungskonzert mit Schostakowitsch und Friede-auf-Erden – Stravinsky und Schönberg mit Sunnyi Melles). Aber ich stelle diesen kurzen Ausschnitt nicht nur wegen des Stücks, sondern auch wegen der hervorragenden stimmlichen Leistung von Tetjana Miyus im Lied der Katja an den Anfang. Sie sang technisch perfekt und berührend.

Überhaupt kann registriert werden, dass das junge Grazer Hausensemble stimmlich Erfreuliches zu bieten hat. Der 28-jährige weißrussische Tenor Pavel Petrov hatte im Vorjahr beim renommierten Operalia-Wettbewerb zwei erste Preise gewonnen und wird noch im September an der Wiener Staatsoper als Nemorino debutieren. So wie Petrov hat sich der gleichaltrige polnische Bariton Dariusz Percak in Graz schon vielfach bewährt. Miteinander sangen die beiden wirklich sehr schön und dynamisch ausgewogen den „Schlager“ des Duetts Nadir/Zurga aus den Perlenfischern. Dieses Bizet-Werk war seit über 20 Jahren nicht mehr auf dem Grazer Spielplan und wird mit Tetjana Miyus als Leila die letzte Opernpremiere der Saison sein. Belcanto-Genuss ist bei dieser Besetzung gesichert.


Der erst 25-jährige bosnische Bariton Neven Crnić hatte im Juni Preise beim Internationalen Haydn-Wettbewerb gewonnen und wechselt mit dieser Saison aus dem Opernstudio ins fixe Ensemble. In der Eröffnungspremiere werden wir ihn als Posa erleben. Soweit man dies nach der „Kostprobe“ in der Eröffnungsshow einschätzen kann, wird er für diese Partie noch an Profil zu gewinnen haben. Neu ins Opernstudio kommt die oberösterreichische Sopranistin Eva-Maria Schmid. Sie durfte sich dem Grazer Publikum mit dem Walzer der Juliette aus Gounods Roméo et Juliette vorstellen. Das war ein sympathischer Einstand – aber auch (noch) nicht mehr. In der Wiederaufnahme der Produktion aus der Saison 2016/17 wird sie diese Partie noch nicht singen.

Wie es schon seit Jahren bei der Eröffnungsshow der Fall ist, singen hier wiederholt nicht die vorgesehenen Premierenbesetzungen, sondern es ist eine Chance für das Stammensemble, sich in ersten Rollen zu präsentieren. Diese Chance haben diesmal Wilfried Zelinka und Sieglinde Feldhofer als Don Giovanni und Zerlina hervorragend genutzt. Das war von beiden technisch und stilistisch sehr gut gesungen – wenn auch in einer grell-banalen szenischen Umsetzung mit phallischem Degen, bei der ich nicht absehen kann, ob sie so auch für die Premiere im Februar vorgesehen ist oder ob es nur ein „Gag“ für diesen Abend war. Jedenfalls wäre es erfreulich, den beiden in diesen Rollen auch in der Neuproduktion zu begegnen.

Die Show war vom Team Christian ThausingIsabel Toccafondi routiniert und bühnenwirksam gestaltet, wenn auch für mich mit allzu vielen Video-Einspielungen (etwa der Rückblick auf die Premieren seit 2015 während der Fledermaus-Ouvertüre oder der sentimental-kitschige Weg der Sopranistin vom Marktplatz zum Juliette-Auftritt)

Der Chor des Hauses hatte diesmal nur eine kleine Aufgabe: der Männerchor sang mit dem Tenor Martin Fournier die Introduktion aus dem Opernoratorium Oedipus Rex von Igor Stravinsky. Die Ballettdirektorin Beate Vollack stellte im Gespräch mit der Intendantin das Ballett-Jahresprogramm vor – da erwartet uns Vielfältiges, u.a. auch eine tänzerische Umsetzung von Schuberts Schwanengesang! Wohlgelungene Kostproben des Balletts sah man in einer kurzen Einlage in der Fledermaus-Ouvertüre und in einem größeren Ausschnitt aus Prokofjews Cinderella.

Die Grazer Philharmoniker saßen wie immer bei der Eröffnungsshow nicht im Orchestergraben, sondern darüber, praktisch auf gleicher Ebene mit Publikum und Bühne. Das bezieht das Orchester zwar unmittelbar ein in das Geschehen und in die Publikumsaufmerksamkeit, bringt aber auch die Gefahr mit sich, dass die dynamische Balance zwischen Orchester und Bühne immer wieder gefährdet ist – vor allem wenn die Solisten weiter hinten im Bühnenraum postiert sind. Markus Butter im Ausschnitt aus Humperdincks Königskinder hatte darunter zu leiden. Der begabte junge und energiegeladene Dirigent Marcus Merkel bemühte sich nach Kräften, dieses Manko nicht allzu hörbar werden zu lassen und hatte auch diesmal den Gesamtablauf sehr gut im Griff Das Orchester war gut disponiert und musizierfreudig.

Die Bühnenshow endete mit dem Frank-Sinatra-Song Luck be a Lady aus dem Musical Guys and Dolls, das im Jänner seine Grazer Erstaufführung erleben wird – von Ivan Oreščanin mit ansteckendem Temperament vorgetragen. Und zuletzt gab es wiederum den schon gewohnten Ruf: Die Saison ist eröffnet! – samt obligatem Flitterregen über das Publikum. Großer Beifall für alle Ausführenden im sehr gut besuchten Hause. Viele Kinder und Jugendliche waren da – eine glänzende Werbung für die Grazer Oper, die da an drei Terminen um 12 Uhr, 15 Uhr und 19 Uhr vor stets vollem Haus abgespielt wurde! Man kann sich jedenfalls auf die neue Saison mit einem vielfältigen Programm freuen.

Hermann Becke, 8. 9. 2019

Aufführungsfotos: Oper Graz, © Oliver Wolf