Hildesheim: „Gespräche der Karmeliterinnen“

Beklemmend

Chor/Martina Nawrath/Antonia Radneva

Als Beitrag zum Jubiläum 1200 Jahre Bistum Hildesheim hat sich das TfN (Theater für Niedersachsen) an Poulencs Oper gewagt, die neben Debussys „Pelléas et Mélisande“ zu den bedeutendsten französischen Opern des 20. Jahrhunderts zählt. Obwohl Poulenc einen eher spröden Stoff, den Kontrast zwischen Religion und Revolution, gewählt hat, ist es ihm wohl auch wegen durchweg tonaler Musiksprache gelungen, das Werk zu einem Welterfolg zu machen, das seit der Uraufführung 1957 an der Mailänder Scala kontinuierlich im Repertoire der Opernhäuser erscheint. Die Handlung geht zurück auf eine historisch verbürgte Episode aus den Schreckensjahren der Französischen Revolution. Im Zuge eines Dekrets zur Aufhebung aller Klöster legten die Karmeliterinnen einen Märtyrereid ab und stiegen singend aufs Schafott.

Das Libretto zu „Gespräche der Karmeliterinnen“ schrieb sich Poulenc selbst und nahm sich dazu des 1947/48 entstandenen gleichnamigen Bühnenwerks von Georges Bernanos an, das seinerseits auf die Novelle „Die Letzte am Schafott“ von Gertrud von le Fort (1876-1971) aus dem Jahr 1931 zurückgeht, ein weiterer Bezug zu Hildesheim, wo die Dichterin von 1888 bis 1897 lebte. Diese fand übrigens Aufzeichnungen der Mutter Maria von der Menschwerdung, die sich dem Märtyrertod ihrer Glaubensschwestern entzogen hatte.

Zum Inhalt der Oper: Die ängstliche Adelstochter Blanche de la Force, eine Erfindung von le Fort, wird durch die ersten Volkstumulte der französischen Revolution zusätzlich verschreckt; um innere Ruhe zu finden, tritt sie in den Orden der Karmeliterinnen im Kloster von Compiègne ein. Als die politische Situation eskaliert, und die Nonnen das Kloster räumen sollen, beschließen sie, den Märtyrertod zu sterben. Blanche hingegen flieht. Doch als sie von der bevorstehenden Hinrichtung ihrer Schwestern erfährt, eilt sie zum Richtplatz und geht gemeinsam singend mit ihnen in den Tod.

Unabhängig davon, wie man dem christlichen Glauben gegenüber steht, kann man sich von dem Schicksal der Karmeliterinnen ergreifen lassen, so dicht und intensiv spricht die Oper unmittelbar an. Und dies geschah auch in Hildesheim in eindrucksvoller Weise, was sicher auch an der einfühlsamen deutschen Übersetzung des Librettos vom dortigen Musik-Chef Werner Seitzer lag. Das tragische Geschehen spielte sich auf einer Einheitsbühne mit schlichten dunklen Holzwänden ab, auf der wenige Requisiten den jeweiligen Handlungsort kennzeichneten. Der hellbraune Habit und die farbenreichen Kostüme des Volkes waren historisch passend (Ausstattung: Philippe Miesch). Die Inszenierung von Eike Gramss beeindruckte vor allem durch die ausgezeichnete Personenführung, was die Intensität noch erhöhte. Da die Wirkung des „Salve Regina“ in der Schlussszene mit den Schlägen des Orchesters keiner Verstärkung durch optische Mittel bedarf, hatte man hier eine relativ schlichte, aber dennoch höchst beklemmende Darstellung gewählt: Eine Karmeliterin in weißem Unterkleid nach der anderen stürzte zu Boden, wenn das Geräusch des fallenden Guillotine-Messers zu hören war. Ganz am Schluss ging die hintere Wand hoch und gab den Blick ins Helle frei – ein kleiner Hoffungsschein auf die Glaubenserfüllung der Nonnen?

Martina Nawrath/Antonia Radneva

Wie der Titel der Oper verdeutlicht, lebt sie von den Dialogen der Handelnden, besonders der uniform gekleideten Nonnen, die ihre Individualität nur durch ihre Stimmen zum Ausdruck bringen können. Und das gelang in Hildesheim vortrefflich: Antonia Radneva ließ die Ängstlichkeit und Nachdenklichkeit der Blanche glaubhaft deutlich werden; ihren klaren Sopran führte sie intonationsrein durch alle Lagen. Ergreifend waren die letzten Worte der alten Priorin an Blanche, ihr qualvolles Sterben, als sie den Arzt Javelinot (Michael Farbacher) – vergeblich – um schmerzlindernde Mittel bittet, und schließlich ihre Vorhersage des Untergangs des Klosters. Das alles gestaltete Christiane Oertel als Gast von der Berliner Komischen Oper mit kraftvollem Mezzo ungemein eindringlich – ein ganz starker Auftritt. Besonders positiv fiel die junge Mezzosopranistin Neele Kramer auf, die die stimmlich und darstellerisch anspruchsvolle Partie der Mutter Maria in deren fürsorglicher Unerbittlichkeit aufs beste bewältigte. Isabell Bringmann als neue Priorin sang mit ausgeglichener Linienführung besonders stimmschön; so gaben ihre letzten Worte vor der Hinrichtung, wenn sie an Jesu Todesangst in Gethsemane erinnerte, starken Trost. Stilsicher und mit sauberer Stimmführung machte Martina Nawrath die Fröhlichkeit und Lebenslust der Schwester Constance deutlich. Seinen Tenor setzte Konstantinos Klironomos als der um seine Schwester Blanche aufrichtig besorgte Chevalier differenziert ein. In den zahlreichen Nebenrollen bewährte sich das solide Hildesheimer Ensemble einschließlich einiger Chorsolisten.

Neele Kramer/Antonia Radneva

Werner Seitzer sorgte am Pult des gut disponierten Orchesters für schillernde Farbigkeit und die stets durchschimmernde Härte der Musik, die das unausweichliche Schicksal der Karmeliterinnen lange vor seinem Eintreten hörbar werden lässt. Chor und Extrachor (Achim Falkenhausen) gefielen wieder durch gute Ausgewogenheit.

Im recht gut besuchten Haus gab es lang anhaltenden, begeisterten Applaus.


Gerhard Eckels 29. April 2015

Fotos: Andreas Hartmann