Hildesheim: „Fidelio“

Beethovens einzige Oper mit der immer wieder hoffnungsfroh stimmenden idealistischen Utopie der Befreiung von Willkür und Gewaltherrschaft braucht keine vordergründige Aktualisierung, wie man im TfN (Theater für Niedersachsen) eindrucksvoll erleben konnte. Die Inszenierung des jungen spanischen Regisseurs Guillermo Amaya lässt die Story im politisch bewegten, nachnapoleonischen Spanien der frühen 1820er-Jahre spielen. Dabei wird sie szenisch im Lichte Francisco de Goyas betrachtet, indem an einige Radierungen des spanischen Malers aus dem 1808 bis 1814 entstandenen Zyklus „Die Schrecken des Krieges“ angeknüpft wird. Sie erscheinen zur Ouvertüre auf einem Zwischenvorhang und später zeitweise auf der Hinterwand des sonst kahlen Gefängnishofes (Ausstattung: Hannes Neumaier). Zu Don Pizarros Auftritt wird eines der berühmten Gemälde Goyas, „Die Erschießung der Aufständischen am 3. Mai 1808 in Madrid“, nachgestellt und damit sinnfällig die Beziehung zum Inhalt der Befreiungsoper hergestellt. Die einleuchtende Idee des Inszenierungskonzepts ist es, über die Darstellung eines einzelnen Opfers von Gewaltherrschaft hinaus die Entlassung aller Insassen des Staatsgefängnisses plausibel zu machen. Dazu bediente man sich der Neufassung der Sprechtexte von Friedrich Dieckmann, in der vor allem am Anfang bei etwas langatmig geratenen Gesprächen zwischen Rocco und Fidelio/Leonore die politischen Hintergründe verdeutlicht werden. Mit seinen Texten stieß Dieckmann übrigens auf unwilligen Widerstand der SED-Behörden, die 1970 ein Spielverbot durchsetzten. Erst jetzt wurde die dem Duktus der gesungenen Texte angepasste und dezent modernisierte Fassung im TfN uraufgeführt.

In der besuchten Vorstellung beeindruckte die durchweg gut gelungene, stimmige Personenregie, sei es in der engen Wohnküche Roccos, sei es im Gefängnishof, in dem allerdings die verschiedenen Hubpodeste allzu oft rauf- und runtergefahren wurden. Musikalisch war der Abend im Ganzen zufriedenstellend: Chordirektor Achim Falkenhausen hatte Chor und Extrachor sorgfältig vorbereitet, die den ausgewogen gesungenen Gefangenenchor ergreifend gestalteten und in den mitreißenden Jubelchören des Finales Klangpracht entwickelten. Als musikalischer Leiter des Abends wählte er zügige Tempi, denen das gut disponierte Orchester des TfN weitgehend sicher folgte. Von den insgesamt soliden Solisten ist zunächst Mareike Bielenberg in der Titelrolle zu nennen. Sie gefiel mit gleichmäßig und sauber durch alle Lagen geführtem Sopran und glaubwürdiger Darstellung. Die junge Sängerin wird jedoch aufpassen müssen, sich mit solchen Partien dramatischen Zuschnitts nicht zu schnell verheizen zu lassen. Als Florestan setzte Barry Coleman seinen durchschlagskräftigen, dunkel timbrierten Tenor mit inzwischen gewachsener Strahlkraft ein. Der unterwürfige Rocco war bei Levente György und seinem kernigen Bass gut aufgehoben.

Enttäuschend war der Auftritt von Uwe Tobias Hieronimi als Don Pizarro; der verdiente Sänger verkörperte den „bösen“ Gouverneur glaubhaft, war aber stimmlich in keiner Weise überzeugend. Mit der hochdramatischen Partie schien sein charakteristischer Bariton, der eher im lyrischen Bereich zuhause ist, glatt überfordert. Das merkte man an der ziemlich ungefähren Tongebung und daran, dass er sich allzu oft in Sprechgesang flüchtete. Eine reizende Marzelline war Antonia Radneva, die erneut mit ihrem abgerundeten, intonationssicheren Sopran zu gefallen wusste. Mit sympathischer Ausstrahlung und charaktervollem Bariton nahm Peter Kubik als rettender Minister Don Fernando für sich ein, während Jan Kristof Schliep sicher einen etwas ältlichen Jaquino gab.

Das Publikum spendete lang anhaltenden, begeisterten Applaus.

Gerhard Eckels 10.12.2014
Fotos: Dirk Opitz