20./23. April 2016
Seit einigen Jahren führt Daniel Karasek, Sohn des bekannten Literatur-Kritikers, die Oper Kiel mit großem Erfolg und ebenso großer Zustimmung des Publikums. Und so ist es nicht zu verwundern, dass so ein doch relativ kleines Haus wie Kiel sich an Richard Wagners opus magnus, den „Ring des Nibelungen“, heran wagt. Und das mit großem künstlerischem Erfolg! „Das Rheingold“ erlebte seine Premiere am 26. September 2015, und „Die Walküre“ folgte am 12. März 2016. An beiden Abenden findet Karasek mit seiner Dramaturgin Cordula Engelbert in den Bühnenbildern von Norbert Ziermann und mit den Kostümen von Claudia Spielmann, sowie der stets treffenden Lichtgestaltung von Martin Witzel eine glaubwürdige und streckenweise dramaturgisch beeindruckende Antwort auf das Geschehen um die Herrschaft über die Welt. Dabei wird mit den Stilmitteln des modernen Musiktheaters nachvollziehbar die Geschichte erzählt, im „Rheingold“ gar auf eine „naive“, damit hier aber passende Art und Weise, bei der die Figur des Wotan eine besonders intensive Deutung erfährt.
Es beginnt schon im Vorspiel des „Rheingold“ mit der Videoprojektion (Konrad Kästner) großer Planeten und der Erde im Besonderen, die sich effektvoll im Raum bewegen und damit universalen Herrschaftsanspruch dokumentieren. Wotan wird hier als eine schillernde Figur dargestellt, im „Rheingold“ noch als hippieartiger und somit weitgehend unschuldiger Visionär, der den globalen Herrschaftsanspruch anmeldet und erst mit dem brutal gezeigten Raub des Rheingolds von Alberich seine Unschuld verliert. Indem er eine Weltordnung aus der Urmasse der Welt schaffen kann, durch die Versiegelung der Gesetze in seinem Speer, ist Wotan in der Rolle des Politikers, wie auch Udo Bermbach ihn nennt.
„Das Rheingold“ beginnt mit einer Art Unterwasserpanorama, in dem die drei anmutig und vorsichtig erotisch gekleideten Rheintöchter mit Alberich buhlen. Hye-Long Lee als Woglinde, Ks. Heike Wittlieb als Wellgunde und Tatja Jibladze als Flosshilde wiegen sich geschickt in den Wogen und singen ihre Rollen klangvoll, wirken gar sehr stark im Ensemble. Ks. Jörg Sabrowski liefert nicht nur hier, sondern erst recht in der späteren Auseinandersetzung mit Wotan und Loge eine erstklassige Rollenstudie des Alberich, wobei ihm sein ausdrucksstarker Bassbariton zusätzliche Darstellungskraft verleiht – eine der eindrucksvollsten Figuren des „Rheingold“-Abends.
Im 2. Bild sehen wir in einem eleganten Salon diverse Holz-Modelle des ultramodernen Walhall, welches in der „Walküre“ vergrößert im Hintergrund mit einem riesigen Raffinerie-artigen Industriekomplex als Machtbastion überhöht aus dem Boden schießt. Die beiden Riesen treten in einem ebenso überraschenden wie interessanten Outfit auf: Sie sind als große transparente Puppen dargestellt, mit bedrohlichen Schädeln und kräftigen Armen – eben das, worauf es beim Bau Walhalls ankam. Die Sänger stehen jeweils hinter diesen Puppen. Die Großfiguren und die Choreografie der Figurenspieler, die sie bewegen, liegen in den Händen von Marc Schnittger. Timo Riihonen ist ein klangschöner Fasolt, der in der „Walküre“ auch einen starken Hunding singt und spielt. Marek Wojciechowski ist ein etwas grober Fafner, was aber zu seiner Rolle passt. Agnieszka Hauzer, die tags darauf die Tosca singen sollte, ist eine stimmliche Luxusbesetzung für die Freia.
Cristina Melis ist eine nachdrückliche Fricka und Fred Hoffmann ein guter Mime. Die beiden kleineren Götter, Tomohiro Takada als Donner und insbesondere Yoonki Baek, der am Folgetag immerhin den Cavaradossi singen sollte, als Froh, agieren mit jeweils kräftiger Stimme. Auch Thomas Hall als Wotan gestaltet den wagenden Gott mit starker Emphase und singt ihn mit einem bestens geführten klangvollen Bassbariton. In der „Walküre“ wird er auch den großen Herausforderungen des 2. und 3. Aufzugs gerecht und beweist große Höhensicherheit. Hall ist sicher ein Nachwuchstalent in dieser Rolle. Die Erda von Rena Kleinfeld verströmt einen schönen Mezzo und macht mit ihren mahnenden Worten auch darstellerisch guten Eindruck. Sehr effektvoll wird ihr Auftritt von der Lichtgestaltung unterlegt. Einzig der Loge von Michael Müller ist zwar darstellerisch sehr präsent, sein Tenor klingt aber etwas flach und unkonturiert, als dass man mit ihm hätte voll zufrieden sein können. Mit großem Pomp ziehen die Götter schließlich in ein virtuelles Walhall ein.
„Die Walküre“ beginnt in einem finsteren Wald, der passend zu den rhythmischen Fluchtschritten von Siegmund und Sieglinde in wilden Bildbewegungen vor dem Zuschauer weicht. Hier wird ein maximales Zusammenspiel von Optik und Musik aus dem Graben erzielt. Wotan und Fricka sind in einer Art bourgeoisem Wolkenkuckucksheim sesshaft geworden. Man gewahrt ein mondänes Badezimmer und ein Andy Warhol-Bild von Marilyn Monroe oder einer anderen Blondine an der Wand dahinter. Dass Wotan sich in einem Anfall von Bagatellisierung des Regisseurs dazu ausgerechnet die Zähne putzen muss, ist absolut entbehrlich und führt vom wahren Gehalt der Szene weg. Warum können Regisseure, die an sich gute Regiekonzepte haben, solche Gimmicks nicht lassen …?! Aber auch das Kostüm Wotans ist mondän und passt somit zur hier gezeigten Ästhetik des modernen Walhall aus dem „Rheingold“. Offenbar ist Wotan nun der Herr dieses großen Industriekomplexes, der im Hintergrund eschatologisch aufscheint (übrigens nach Toulouse und Stockholm nicht das erste Mal so zu sehen…). Von Natur ist hier nichts mehr zu spüren – sie wurde vom Göttergeschlecht domestiziert.
Brünnhilde ist die sehr engagierte Jane Dutton mit einem lyrisch dramatischen und höhensicheren Sopran – eine einnehmende Sängerdarstellerin! Besonders gefallen können aber Bryan Register als Siegmund und Agnieszka Hauzer als Sieglinde. Besonders Hauzer kann stimmlich und darstellerisch alle Facetten der Sieglinde ausloten und hinterlässt einen starken emotionalen Eindruck. Bryan Register hat einen klangschönen Tenor, könnte aber darstellerisch mehr aus sich heraus gehen. Alexandra Petersamer, eine gefragte Mahler- und Wagnerinterpretin, verkörpert als Gast eine ungemein persönlichkeitsstarke Fricka mit einem durchschlagskräftigen und besonders ausdrucksstarken Mezzosopran. Sie bekam am Ende viel Applaus für diese Charakterstudie. Das Walküren-Oktett kann an stimmlicher Qualität mit jedem großen Haus mithalten, hier gibt es keinen einzigen Ausfall. Am Ende baut Wotan um eine riesige Weltkugel, – die optisch-dramaturgische Verbindung zum „Rheingold“ – in der er Brünnhilde zum Schlaf bettet – einen Firewall aus. Im Hintergrund sieht man weiterhin den Industriekomplex – noch ist Wotan in seiner Welt von Bedeutung.
GMD Georg Fritsch dirigierte das Philharmonische Orchester Kiel mit offenbar großer Kenntnis des Wagnerschen Oeuvres. Er gab die richtigen Tempi vor und legte Wert auf die dramatischen Steigerungen, zumal der Abgang nach Nibelheim, die diversen Szenen im 2. Aufzug der „Walküre“ und der Feuerzauber. Dieser „Ring“ ist optisch wie musikalisch sehenswert und gut geprobt. Man darf sich schon jetzt auf seine Weiterführung mit dem „Siegfried“ im März 2017 freuen.
Fotos: Olaf Struck
Klaus Billand, 6.5.2016