besuchte Vorstellung: 16.03.2017
Lieber Opernfreund-Freund,
die Schauerballade „Der Untergang des Hauses Usher“ von Edgar Allan Poe war schon beinahe 150 Jahre alt, ehe man die atmosphärische Dichte des düsteren Werkes erkannte und es auf die Opernbühne brachte. Claude Debussy hatte zwar mit einer Oper, die auf diesem Stoff basiert, begonnen, diese aber nur als Fragment hinterlassen. Anfang der 1980er wagte der deutsche Komponist Manfred Stahnke eine Umsetzung in Form einer Kammeroper. Aber es war erst Philip Glass, der jüngst seinen 80. Geburtstag feierte und sicher zu den erfolgreichsten modernen Komponisten zählt, der die Novelle schließlich 1988 als Oper auf der Bühne realisierte. Er fand in dieser Geschichte die ideale Vorlage, um die hypnotische Wirkung seiner Minimal Music zur Geltung zu bringen. Schon die ersten Takte mit der charakteristischen Glass’schen Rhythmik und seinen immer wiederkehrenden, wenn überhaupt nur minimalsten Variationen unterzogenen Motive lassen unverkennbar auf den Amerikaner schließen und entfalten nach kürzester Zeit einen Sog, dem man sich als Zuhörer nicht entziehen kann. Ähnlich ist es mit der morbiden Stimmung in der Vorlage von Poe, in der die Geschichte zweier Freunde erzählt wird. William, in der literarischen Vorlage noch namenloser Ich-Erzähler, findet Roderick Usher bei einem Besuch in jämmerlichem Zustand. Offensichtlich ist sein Freund dem Wahn verfallen. Kurz nach Williams Ankunft stirbt angeblich Rodericks Zwillingsschwester Madeleine und wir begraben. Im Laufe der Geschichte wird in dem unheimlichen Haus aber deutlich, dass man sie lebendig begraben haben muss. Sie erscheint blutüberströmt und wirft sich sterbend auf ihren Bruder, der ebenfalls stirbt. Der Ich-Erzähler flieht aus dem Haus Usher und sieht es im Davonreiten im Moor versinken.
Von Anfang an ist dem Leser wie dem Besucher der packenden Inszenierung von Waltraud Lehner klar, dass die Geschichte keinen guten Ausgang wird nehmen können. Die immer wiederkehrenden Motivfetzen ziehen den Zuhörer in ihren Bann, versetzen ihn in einen Zustand, der zwischen Meditation und Nervosität angesiedelt ist. Dies spiegelt Lehner in ihrer Lesart des Stoffes und wird dabei von genialen Videoeinspielungen unterstützt, für die Georg Lendorff verantwortlich zeichnet. Sie schaffen eine zusätzliche Ebene, visualisieren Gefühle, Ängste und Gedanken der Protagonisten, die sich irgendwo zwischen Wahnsinn und Alptraum gefangen sehen. Die Drehbühne setzt der Monotonie, die aus dem Graben zu tönen scheint, Bewegung entgegen, die verschiedenen Räume des Hauses, auf deren Wände dann auch besagte Videos zu sehen sind, scheinen zu leben, auch wenn die komplette Szenerie, die an einen Gruselstummfilm der 1920er Jahre erinnert, dunkel gehalten ist (Bühne: Ulrich Frommhold). Das gilt auch für die Kostüme, die an die Entstehungszeit des Romans angelehnt sind und die – von Katherina Kopp entworfen – durch die Bank gelungen sind, sieht man über die unsägliche Perücke hinweg, die die Figur des William tragen muss. Das nur rund 80 Minuten dauernde Werk läuft kontinuierlich auf die sich diffus ankündigende Katastrophe zu und bis zum Schluss bleibt der Zuschauer im Unklaren darüber, ob er da gerade einfach einen Alptraum, eine Wahnvorstellung eines Wahnsinnigen oder eine tatsächliche Begebenheit gesehen hat. Insofern hat das Regieteam um die Münchener Regisseurin den Faden von Poe und Glass nicht nur aufgenommen, sondern äußerst gelungen weiter gesponnen.
Im Graben wir aufs Vortrefflichste musiziert. Der Kompositionsstil von Philip Glass verlangt den gut zwei Handvoll Musikerinnen und Musikern eine ungeheure Präzision ab, fungieren sie doch allesamt gleichsam als menschliches Metronom. Jede Ungenauigkeit, jeder Wackler würde den geforderten immer gleichen rhythmischen Fluss stören. Bei den Mitgliedern des Staatsorchesters Rheinische Philharmonie ist davon aber nichts zu spüren. Wie ein Uhrwerk spulen sie unter der Leitung von Leslie Suganandarajah Glass’ Partitur ab. Der aus Sri Lanka stammende Dirigent, 2. Kapellmeister am Theater Koblenz, leuchtet diese gekonnt aus und bereitet so den Sängern einen farbenreichen Klangteppich. Bei diesen stechen vor allem Nico Wouterse als William und Ella Tyran in der Rolle der Madeline hervor. Der niederländische Sänger gestaltet seine Rolle mit großer Leidenschaft und formt sie mit seinem voluminösen Bassbariton. Dazu spielt er den Freund, der zusehends selbst dem Wahn anheim zu fallen scheint, mit ungeheurer Überzeugung. Darstellerisch mitreißend ist auch Ella Tyran, der der Librettist Arthur Yorinks kein einziges Wort zugestanden hat. Die gespenstische-diffuse Figur der Schwester hat allenthalben Vokalisen zu singen, die die junge Wienerin mit ihrem süchtig machenden Sopran und schier endlosem Atem und nicht enden wollender Kraft bravourös meistert. Gegen diese beiden fällt Ensemblemitglied Juraj Hollý ein wenig ab. Zu popsängerhaft legt der junge Sänger seine Partie an, so dass er mich stimmlich weniger überzeugen kann. Jungho Lee als verstörender Arzt und Jongmin Lee als Angst einflößender Diener komplettieren die schaurig-schöne Gesellschaft mit solidem Gesang und teils zombiehaft-gruseligem Spiel.
Das Publikum ist nach knapp eineinhalb Stunden begeistert und applaudiert so anhaltend wie berechtigt allen Beteiligten. Als kleiner Wermutstropfen erscheinen am gestrigen Donnerstag die teils recht unsynchronen Übertitel. Bei der Präzision, mit der Orchester und Sänger agieren, ist das dann wirklich störend. Positiv fällt hingegen das informative, genau recherchierte Programmheft auf. Auch die Einführung ist inspirierend und macht im Vorfeld schon Lust auf den Abend. Also nix wie hin nach Koblenz, der Werk ist dort noch bis zum Ende der Spielzeit auf dem Spielplan.
Ihr Jochen Rüth / 17.03.2017
Die Fotos hat Matthias Baus für das Theater Koblenz gemacht.