Frankfurt, Konzert: „London Philharmonic Orchestra“, Hélène Grimaud

Am Abend des 14. November 2023 versammelte sich das Frankfurter Publikum in der ehrwürdigen Alten Oper, um Zeuge eines musikalischen Spektakels zu werden. Die gefeierte Pianistin Hélène Grimaud und das renommierte London Philharmonic Orchestra, dirigiert von Edward Gardner, versprachen eine musikalische Reise mit zwei Werken von Johannes Brahms: dem Klavierkonzert Nr. 1 in d-Moll, Op. 15, und der Sinfonie Nr. 1 in c-Moll, Op. 68.

Das erste Klavierkonzert von Brahms, aufgeführt von Hélène Grimaud, ist ein Meisterwerk, das mit seiner epischen Struktur und emotionalen Tiefe fasziniert. Brahms komponierte das Konzert in den Jahren 1854-1858 und widmete es seinem Freund und Mentor, dem Pianisten und Dirigenten Joseph Joachim. Das Werk ist von beeindruckender Länge und zeichnet sich durch seine symphonische Herangehensweise aus, bei der das Klavier eine gleichberechtigte Rolle neben dem Orchester spielt. 

(c) Matt Hennek

Hélène Grimaud ist zweifellos eine bedeutende Pianistin unserer Zeit. Was sie besonders macht, ist nicht nur ihr herausragendes pianistisches Können, sondern vor allem ihr ganz eigener Zugang zur Musik. Sie schafft es, selbst bekannte Repertoirewerke von ihrer Patina der Tradition zu befreien und sie in ihrer ursprünglichen Unmittelbarkeit aufleben zu lassen. Im ersten Klavierkonzert von Brahms, zeigte Hélène Grimaud ihre Sensibilität und Ausdruckskraft. Der erste Satz, wild und grimmig auffahrend, präsentierte die markanten Klavierthemen mit kraftvollem Nuancenreichtum. Grimaud gestaltete die dynamischen Wechsel sprunghaft und verzögerte geschickt in den Modulationen. Das zweite Thema des ersten Satzes wurde von ihr mit großem Ernst und lyrischer Anmut musiziert, wobei sie die Melodie mit einer feinen Kantabilität durchdrang. Die langsamere, lyrische Passage des zweiten Satzes entführte die Zuhörer in eine Welt der tiefen Emotionen. Grimauds Spiel machte die Herzschläge der Melodie unmittelbar erlebbar, und ihre feine Artikulation spürte jedem Taktverlauf nach. Im dritten Satz brillierte Hélène Grimaud mit atemberaubender Technik, meisterte virtuose Passagen mit beeindruckender Leichtigkeit und fesselte das Publikum mit ihrem kraftvollen Zugriff. In den Kadenzabschnitten entfaltete sie erneut ihre Virtuosität. Grimaud tauchte intensiv in die Klangwelt des großen Hanseaten. Dabei war auch deutlich zu bemerken, dass sie dabei ganz allein in ihrem eigenen Kosmos unterwegs war. Sehr introvertiert saß sie ausdauernd kerzengerade am Steinway und suchte nicht wirklich erkennbar den Dialog zum dynamischen Orchester. Dies war insofern bedauerlich, weil so ein Eindruck des Nebeneinanders entstand, bei dem das famose Orchester ganz klar der emotionale Sieger war. Das London Philharmonic Orchestra unter der feurigen Leitung von Edward Gardner präsentierte in beiden Werken von Brahms eine beeindruckende Darbietung, die sämtliche Erwartungen übertraf. Gardner erwies sich im Klavierkonzert als meisterhafter Dirigent, der stets in der Lage war, einen reichen, symphonischen Klang zu erzeugen. Seine Fähigkeit, die orchestralen Möglichkeiten des fabelhaften London Philharmonic Orchestras optimal zu nutzen, wurde deutlich hervorgehoben. Dabei war er für Grimaud ein musikalischer Partner auf Augenhöhe. Die Streicher brillierten mit einem satten und ausdrucksstarken Klang. Ihre beeindruckende Klangfülle verlieh den musikalischen Momenten eine besonders intensive Qualität. Die Bläser wiederum präsentierten sich warm und edel, trugen maßgeblich zur klanglichen Vielschichtigkeit bei und setzten Akzente von bemerkenswerter Schönheit. Das Publikum applaudierte ausdauernd, ohne dabei in Euphorie zu geraten. Grimaud bedankte sich mit einer empfindsam kurzen Zugabe: Rachmaninow: 8 etudes tableaux Op.33, Nr. 2 C Dur.

Die Sinfonie Nr. 1 von Brahms ist ein bedeutendes Werk, das den Komponisten über viele Jahre hinweg beschäftigte. Sie ist geprägt von tiefen Emotionen, leidenschaftlichen Ausbrüchen und einer monumentalen Struktur. Die nachfolgende Interpretation dieses Werks war von Anfang bis Ende beeindruckend. Die majestätischen Eröffnungstakte des ersten Satzes erzeugten eine unmittelbare Spannung, die sich durch das gesamte Werk zog. Die Soli, insbesondere die des Horns und anderer Bläser, erfüllten den Saal mit ihrem warmen und expressiven Klang. Die subtile Gestaltung des Orchesters schuf eine eindrucksvolle Klanglandschaft, die die Zuhörer bestrickten.  Gardner führte das Orchester mit beeindruckender gestalterischer Kompetenz und verlieh dem Werk eine bemerkenswerte Tiefe und Dramatik. Das Werk wurde mit außergewöhnlicher Präzision und Leidenschaft aufgeführt. Gardner erwies sich als kraftvoller Dirigent, der das Orchester zu Höchstleistungen antrieb. Die Bläser und Streicher des Orchesters brillierten erneut in den lyrischen Passagen, während die Tutti-Abschnitte mit eindringlicher Dramatik und Leidenschaft gespielt wurden. Große Begeisterung im Auditorium der Alten Oper und als Dank noch einmal Brahms mit dessem unverwüstlichen ungarischen Tanz Nr. 5.

Ein schöner Konzertabend, der die Virtuosität von Hélène Grimaud, die Exzellenz des London Philharmonic Orchestras und die gestalterische Meisterschaft von Edward Gardner in den Mittelpunkt stellte. Die Kombination aus Grimauds ausdauernder Kraft und ihrer technischen Meisterschaft sowie dem herausragenden Orchester und Dirigenten machte diesen Abend zu einem musikalischen Höhepunkt. Es war eine Darbietung, die die Seele berührte und die Größe der klassischen Musik in all ihrer Pracht zeigte.

Dirk Schauß, 16. November 2023


Besuchtes Konzert
Alte Oper Frankfurt
4. November 2023

Johannes Brahms
Klavierkonzert Nr. 1 d-moll
Hélène Grimaud, Klavier

Sinfonie Nr. 1 c-moll
Edward Gardner, Dirigent
London Philharmonic Orchestra