Zu einer besonderen Premiere lud die Frankfurter Alte Oper die zahlreichen Zuhörer in den ausverkauften großen Saal. Intendant Markus Fein erdachte den KiezPalast, welcher klassische Musik einem größeren Publikum zugänglich machen soll.
Eine bunt eingeleuchtete Alte Oper empfing die Besucher. Leichte Barmusik erklang bereits aus dem großen Saal, immer wieder unterbrochen durch heitere Ansagen von Ulrich Tukur. Dann wurde es ganz dunkel, im Dauereinsatz gab es Trockeneis und schöne Lichteffekte vom Podium.
In Multifunktion war der bekannte Schauspieler Ulrich Tukur und das hr-Sinfonieorchester zu erleben. Eine musikalische Reise führte das Publikum in Katakomben und (Laster)höhlen, Parallelwelten und Seelentiefen.
Der ungemein vielseitige und so spielfreudige Tukur hatte spannende Figuren zu verkörpern. Am Beginn und Finale stand der leicht hessisch parlierende Hausmeister, der seine Frau Euri(dice) suchte und darüber dem Publikum launig sein Leid klagte.
Dann der Wechsel zum charmant plaudernden Conferencier mit Zylinder, der die Zuhörer fesselnd durch das Programm moderierte. Viel Wissenswertes war zu erfahren über das Leben unter Tage, die z.T. gruselig anmutenden Bräuche der Katakomben oder die immensen Abwassermengen einer Stadt. Dazu rezitierte Tukur Lyrik und Weltliteratur, begeisterte mit seinen sprachlichen Fähigkeiten, ob hessisch oder wienerisch und wickelte sein hingerissenes Publikum um den Finger, als er sich fabelhaft Klavier spielend bei Hollaenders Evergreen „Das kleine Nachtgespenst“ selbst begleitete.
Hinzu kamen Tango, Film, Jazz, Pop und Chanson. Es war mutig und richtig, in der Unterwelt Thematik auch an die zerbombten Städte des zweiten Weltkriegs zu erinnern. Gerade bei der gegenwärtig fortwährend angeheizten Kriegsgeilheit der politischen Entscheider, wirkt diese Erinnerung an die brutale Vergangenheit besonders schmerzvoll.
Ulrich Tukur glänzte nicht nur als Sänger, sondern auch als Akkordeonspieler. Wunderbar sein Timing für Pointen, sein Wortwitz und seine Selbstironie. Allein, manchmal wäre weniger, mehr gewesen. Die beiden je gut siebzig minütigen Programmhälften waren überreich gefüllt. Mancher Vortrag wäre noch wirkungsvoller geraten, wenn es Ruhepunkte gegeben hätte, das Gehörte besser auf sich wirken zu lassen.
Ein wenig daneben ging die gut überlegte Schlusspointe, Euri zum finalen Can-Can auftreten zu lassen. Nur wirkte die junge Schauspielerin an Tukurs Seite wie dessen Tochter und hatte so gar nichts von dem beschriebenen Bild seiner eigenwilligen Gattin. Der gemeinsam angedeutete Tanz wirkte da etwas zu deutlich an Klamauk erinnernd.
Das neue Veranstaltungskonzept soll ein neues Publikum an die klassische Musik heranführen. So kam es, dass viele Ausschnitte unterschiedlicher Stilarten leider in zu kurzen Spielsequenzen angespielt wurden. Sicherlich bedient das in Teilen den heutigen Publikumsgeschmack nach maximaler Abwechslung. Allerdings hätte es auch dem an diesem Abend viel geforderten hr-Sinfonieorchester gut angestanden, sich mit einem größeren Stück deutlicher in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stellen.
Das hr-Sinfonieorchester hatte sichtbar Freude zum KiezPalast zu gehören und war auch entsprechend gekleidet. Vielfache Kopfbedeckungen, vor allem Schutzhelme und -brillen, ebensolche Westen, wiesen auf die Unterwelt hin. Konzertmeister Ulrich Edelmann trat sogar als leibhaftiger Diavolo Musicalis mit dunklem Cape auf!
Das Orchester konnte an diesem Abend seine stilistische Bandbreite demonstrieren. Herausragend waren die Solobeiträge von Harfe, Violine, Klarinette, Trompete und Kontrabass. Hinzu kam die seltene Begegnung mit der Kontrabass-Klarinette, die von Ulrich Büsing in extremen tiefen Tonlagen zu erleben war.
Gast-Dirigent Roland Kluttig konzentrierte sich in seinem Dirigat auf einen gediegenen Vortragsstil. Klanglich wirkte das hr-Sinfonieorchester deutlich zurückhaltend und gestalterisch unterfordert. Dies war bedauerlich, da es vor allem im ersten Teil mit Ausschnitten aus Respighis „Pini di Roma“ oder dem Abstieg nach Nibelheim aus Wagners „Rheingold“ durchaus effektvolle Werke gab. Aber es blieb bei der vornehmlich korrekten Wiedergabe des Notentextes. Erst in der Schlussnummer des ersten Teils „In der Halle des Bergkönigs“ aus Griegs „Peer Gynt“ wirkte der musikalische Vortrag charaktervoll, begann die Musik zu leben.
Der zweite Teil gelang insgesamt deutlich kreativer in der musikalischen Gestaltung, z.B. mit einem kuriosen Medley verschiedener „Unterwelt-Musiken“ (Mozart, Liszt, Berlioz, Mahler, Strauss, Strawinsky und Saint-Saëns). Hier glänzte vor allem Konzertmeister Ulrich Edelmann mit edlem Geigenton. Mit Schmiss und Engagement gelangen Ausschnitte von Weil, Eisler und Wilden. Zum finalen Can-Can aus Offenbachs „Orpheus in der Unterwelt“ wurde das Parkett mit einer intensiv ausdauernden Konfetti-Parade bedacht.
Eine kurzweilige Veranstaltung mit hohem Unterhaltungswert.
Viel ausgelassene Begeisterung für eine gelungene Premiere!
Dirk Schauß, 3. Februar 2023
Alten Oper Frankfurt am 2. Februar 2023
KiezPalast – Untergrund
Von Gluck bis Strawinsky, von Heiner Goebbels bis Hildegard Knef,
von Tango bis Filmmusik.
Ein Orchesterkonzert mit Songs und Szenen, Tönen und Texten.
Ulrich Tukur – Moderation, Schauspiel, Gesang, Akkordeon
Ulrich Heissig – Buch und Regie
hr-Sinfonieorchester
Roland Kluttig